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Verzweifelte Geschichten

AVG-Schülerin Hanah Reichert über Indien

"Es ist mir eine große Freude, Ihnen heute davon erzählen zu dürfen, was Indien für mich, aber natürlich auch für viele der Schüler des AVG bedeutet. Gandhi hat einmal gesagt, Selbstverwirklichung sei nur durch „den Dienst an und die Identifikation mit den Ärmsten“ möglich. Und in dieser Aussage steckt unfassbar viel Wahres. Ich möchte Ihnen erklären, warum ich das denke.

Als ich vor anderthalb Jahren mit meiner Reisegruppe nach Indien aufbrach, war mein Bild von Indien das einer exotischen, spirituellen, fremden - ja teilweise sogar befremdlichen Welt. Ich weiß jetzt, dass sich in meiner Vorstellung Vorurteil an Vorurteil reihte.

Es war die Neugier, die uns alle trieb. Neugier auf eine neue Kultur, Neugier auf die Menschen, Neugier auf mich selbst. Denn mit sechzehn - als eine der Jüngsten damals - erscheint das eigene Weltbild fragil, naiv, formbar. Ich – und ich spreche hier wahrscheinlich für die meisten Indienreisenden unserer Schule – wollte mich besser kennen lernen. Ich suchte nach Selbstverwirklichung und fand sie nicht in mir, auch nicht in der Faszination des fernen Landes, sondern in der Begegnung mit den Menschen.

Indien hat uns überrascht. Zuerst einmal lernten wir, dass Indien keineswegs nur arm ist. Es ist ein Land der Kontraste – ohne Frage – aber in seiner Tradition, Philosophie und Natur atemberaubend reich. Indien ist in seinem innersten Wesen ein Land der Initiation, des Lernens und der Erkenntnis. Eine solche Reise war niemals nur Selbstzweck, sondern eine Erinnerung daran, wie verschieden wir alle leben und denken. Dieser interkulturelle Austausch ist das elementarste Merkmal der Indienreisen des AVG.

Wir begeben uns in die Situation der Menschen in ärmlichen, ländlichen Regionen, hören den verzweifelten Geschichten über Dürre und Wassermangel zu, besuchen die Schüler einer Dorfschule, machen Fotos und lernen (meist weniger erfolgreich) indische Tänze, mit denen wir die Schulgemeinschaft zum Lachen bringen. Wir packen die Rucksäcke alle paar Tage neu und lassen uns auf neue Menschen und neue Gegebenheiten ein."