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01.12.2015

Ziehen bis es leise knarrt

Foto: Zugversuch an einer Ulme am Zurlaubener Ufer
Arborist Johannes Scherer bringt das Zugseil, das an der alten Ulme befestigt ist, auf Spannung. Hochsensible Sensoren am Baum übertragen Neigung und Dehnung per Kabel an einen Laptop (rechts).
Bäume sind ständig dem Wind ausgesetzt, der von den Kronen über den Stamm bis zu den Wurzeln abgeleitet wird. Ein gesunder Baum kann kräftigen Stürmen widerstehen, doch einige der 47.000 städtischen Bäume, die unter der Aufsicht des Grünflächenamtes stehen, weisen Schäden auf, bei denen mit den üblichen Maßnahmen nicht geklärt werden kann, ob sie eine extreme Windlast noch aushalten. Hierfür kommt ein besonderes Verfahren zum Einsatz.

Es ist ein ungewöhnliches Bild, das sich den Joggern an diesem kalten Morgen am Zurlaubener Ufer bietet. An der Bleichstraße ist ein dicker Ast einer zirka 100 Jahre alten Ulme mit einem Drahtseil umwickelt. Er ist mit einer Manschette gegen Verletzungen geschützt. Das andere Ende des Seils steckt in einem Seilzug, der an einem schweren Lkw des Grünflächenamtes befestigt ist. Bei diesem sogenannten Zugversuch werden Stürme bis maximal Windstärke acht am Baum simuliert. Am knorrigen Fuß des einen Meter dicken Baumstammes sind zahlreiche Mess-Sensoren angebracht, die bei der vorgesehenen Zuglast Auskunft über das Dehnungs- und Neigungsverhalten der 15 Meter hohen Ulme geben.

Daten werden an Laptop gesendet

Daniel Gerhardt leitet den Test. Er ist Arborist beim Grünflächenamt. Ein Beruf, den man nur vereinfacht mit Baumpfleger übersetzen kann. Zu seinen Aufgaben gehört es unter anderem, den Zustand der Trierer Bäume zu beurteilen und erforderliche Maßnahmen durchführen zu lassen. Heute lässt er die Standsicherheit der alten Ulme ermitteln. Ein Brandkrustenpilz am Fuß des Stammes ist für den Fachmann ein Zeichen, dass der Baum im Inneren geschädigt ist. Als erste Maßnahme wurde bereits die Krone zurückgeschnitten, um den Baum zu entlasten. Jetzt soll der Zugversuch zeigen, wie stabil der Baum noch ist. Den zirka 1000 Euro teuren Test führt die Firma Baumtechnik Scherer aus Simmern aus.

Zunächst wird geprüft, ob die Übermittlung der Baumdaten per Kabel an einen Laptop funktioniert, der von Fachagrarwirt Pascal Schmitt bedient wird. Nach dessen OK geht Arborist Johannes Scherer zur Handseilwinde und gibt mit wenigen Zügen vorsichtig Spannung auf den Baum. Der reagiert auf die Krafteinleitung mit Dehnung und Stauchung. Daniel Gerhardt schaut gespannt auf den Monitor. Inzwischen hat sich der Wurzelteller um ein Viertel Grad gehoben. Das entspricht einer Windlast von Windstärke sechs. Hier wird der Versuch beendet, um Wurzelschäden zu vermeiden.

Zugrichtung wird verändert

Nach einem zweiten Versuch ändert man die Zugrichtung. Das Seil wird an einem anderen Ast befestigt, der Lkw mit der Winde setzt um und zwei weitere Male bedient Scherer die Seilwinde bis die nötige Last erreicht ist. Die Messdaten aus dem Laptop werden später in den Rechner der Firma übertragen. Ein Programm errechnet dann die Standsicherheit der Ulme. Den Ergebnissen zufolge gilt der Baum als standsicher, er muss jedoch in anderthalb Jahren erneut untersucht werden.

Silvia Rach freut sich: Die Besitzerin des bekannten Restaurants „Ente“ hatte besorgt gefragt, ob der Baum gefällt werden muss. Er wird ihr mit seiner mächtigen Krone noch längere Zeit Schatten spenden.