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07.10.2008

Zeugnisse einer Verfolgten

Trier unter dem Hakenkreuz – die Ausstellung im Palais Walderdorff dokumentiert das persönliche Schicksal von Marianne Elikan vor dem Hintergrund der Stadtgeschichte in der NS-Zeit.
Trier unter dem Hakenkreuz – die Ausstellung im Palais Walderdorff dokumentiert das persönliche Schicksal von Marianne Elikan vor dem Hintergrund der Stadtgeschichte in der NS-Zeit.
1939 wurde Marianne Elikan mit ihrer Familie aus Wawern an der Saar zwangsweise in ein „Judenhaus“ in der Trierer Brückenstraße umgesiedelt. „In diesem Moment erwachte bei der damals Elfjährigen das Bewusstsein, eine Verfolgte zu sein. Mit einem fotografischen Gedächtnis registrierte sie jetzt alles, was um sie passierte, ganz genau. Besonders die seltenen Momente der Geborgenheit hat sie in ihrer Erinnerung bewahrt.“ So charakterisiert der Historiker Thomas Schnitzler die heute 80jährige Frau, die als eine der letzten Holocaust-Überlebenden aus Trier gilt.

Schnitzler hat Tagebuchaufzeichnungen, Briefe und Gedichte von Marianne Elikan gesichtet, transkribiert und für ein Buch zusammengestellt, das im November unter dem Titel „Das Leben ist ein Kampf“ erscheinen wird. Einen Vorgeschmack auf diese Neuerscheinung bietet eine Ausstellung im Palais Walderdorff mit vielen persönlichen Erinnerungsstücken Elikans, die sie unter anderem aus dem KZ¿Theresienstadt retten konnte.

Als Marianne Elikan 1928 im badischen Durlach geboren wurde, lebte ihre jüdische Mutter bereits von ihrem Vater getrennt. Sie wuchs zunächst im Haushalt ihrer Großmutter auf, doch als diese starb und die Mutter erneut heiratete, kam sie 1932 als Pflegekind zu dem jüdischen Ehepaar Wolf nach Wawern. Bald verblassten Mariannes Erinnerungen an ihre frühe Kindheit: Eduard und Melanie Wolf wurden für sie zu Vater und Mutter. Die Ausgrenzungspolitik, die die Nationalsozialisten in den ersten Jahren des Dritten Reichs gegenüber den Juden betrieben, konnte der familiären Idylle zunächst nichts anhaben. Doch ab 1938 war das Leben der Wolfs von gewaltsamen Einschnitten geprägt.

Während des Novemberpogroms wurde das Wohnhaus der Familie von einem Nazi-Schlägertrupp verwüstet. Im Juni 1939 wurden die Wolfs nach Trier zwangsevakuiert. Die Juden lebten dort nun in speziellen „Judenhäusern“, während ihnen im täglichen Leben immer mehr Beschränkungen auferlegt wurden. 1940 meldete sich bei der Familie unerwartet Mariannes leiblicher Vater. Auf diese Weise erfuhr Marianne Elikan ihre Familiengeschichte. Der „arische“ Vater bot an, seine Tochter bei sich aufzunehmen. Doch einen Besuch bei ihm in Frankfurt empfand Marianne als bedrohlich und sie entschloss sich, trotz des ungewissen Schicksals zu ihren Pflegeeltern zurückzukehren.

Die Trennung der Familie erfolgte zwei Jahre später gewaltsam: 1942 wurde Marianne Elikan alleine in das tschechische Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Die NS-Propaganda stilisierte dieses KZ zu einem „Vorzeigeghetto“ und Altersruhesitz für prominente Juden. In der Tat gab es Verschönerungsaktionen, um das Lager ausländischen Delegationen präsentieren zu können. Doch handelte es sich dabei nur um kurzfristige Täuschungsmanöver. In Wirklichkeit war Theresienstadt nichts anderes als eine Durchgangsstation für Auschwitz und die anderen Vernichtungslager. Von 155.000 Insassen wurden 88.000 weiter nach Osten deportiert, rund 35.000 starben in Theresienstadt selbst an Unterernährung, Fleckfieber oder Typhus – Krankheiten, an denen auch Marianne Elikan litt. In ihrem Tagebuch beschreibt sie eindringlich den alltäglichen Schrecken von Theresienstadt. Am Ende gehörte sie zu den wenigen Tausend Überlebenden. Weniger Glück hatten ihre Angehörigen, die in den Vernichtungslagern ermordet wurden. Trotzdem kehrte Marianne Elikan nach ihrer Befreiung nach Trier zurück, wo sie bis 2002 lebte.

Der Buchtitel „Das Leben ist ein Kampf“ stammt aus dem Eintrag einer Freundin im Posiealbum von Marianne Elikan. „Diese Einträge sind ein unglaublich lebendiges Zeugnis für das Zusammengehörigkeitsgefühl der verfolgten Juden“, betonte Thomas Schnitzler, der die Ausstellung mit einem Vortrag eröffnete.

OB Klaus Jensen hatte zuvor die zahlreichen Gäste im Vortragssaal des Palais Walderdorff begrüßt. „Die Erinnerung an Personen wie Marianne Elikan wachzuhalten, ist ein Thema von enormer Wichtigkeit“, sagte Jensen. „Ihr Schicksal mahnt uns, die Stimme gegen Menschenrechtsverletzungen zu erheben und unsere demokratische Gesellschaftsordnung zu verteidigen.“