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26.04.2022

Wie wird man Theater-Intendant in Trier

Deckblatt der vertraulichen Akten zum Stadttheater 1934-1936.
Deckblatt der vertraulichen Akten zum Stadttheater 1934-1936. Foto: Wissenschaftliche Stadtbibliothek
Seit Erfindung der Schrift wurden immer Mittel und Wege gefunden, Informationen unter Verschluss zu halten, um den Zugang und das damit verbundene Wissen als Machtfaktor zu kontrollieren. Heute regeln das demokratische Archiv- und Datenschutzgesetze. Vertrauliche oder brisante Inhalte haben auch immer einen Reiz und rufen besonderes Interesse hervor. Nach dem Ende gesetzlicher Sperrfristen treten immer wieder Akten zutage, die auch heute noch weitreichende Erkenntnisse liefern, so dass Geschichte nicht selten neu geschrieben werden muss.

Auch im Stadtarchiv warten noch viele Quellen auf ihre Entdeckung. Eine mit dem Titel „Vertrauliche Akten Stadttheater", 1934 – 1936, (Abbildung rechts unten) enthält sechs Vorgänge zu unterschiedlichen Personen, so dass lediglich die Vertraulichkeit als gemeinsames Element den Titel ergab. Der umfangreichste Teil erzählt auch eine kurzweilige Geschichte um den ehemaligen Heldenbariton Theo A. Werner, der sich 1934 anschickte, die Intendanz des Theaters seiner Geburtsstadt Trier zu übernehmen und damit den amtierenden Intendanten Fritz Kranz abzulösen. Er wendete sich am 22. Mai brieflich an den damaligen Oberbürgermeister Ludwig Christ, um sich ohne Ausschreibung als Idealbesetzung für diesen Posten zu empfehlen.

Bis auf wenige Zeugnisse fügte er von der Ortspolizeibehörde Trier beglaubigte Abschriften und Bescheinigungen über seine letzte Tätigkeit als Oberspielleiter des Theaters Krefeld bei, die jedoch durchweg von Parteigenossen und NS-treuen Beamten stammen. Werner wird als „Könner" seines Fachs beschrieben, der nur, weil er bereits 1931 der NSDAP beigetreten sei, nicht den ihm gebührenden beruflichen Rang erreicht hätte, vielmehr Repressalien ausgesetzt gewesen sei und nun endlich die Stellung erhalten solle, die ihm zustünde – ein sehr oft bis zum Märtyrertum genutztes Narrativ des NS-Regimes.

Nur drei Tage später entzauberte Intendant Kranz in einer vom OB angeforderten, sehr analytischen Stellungnahme diese Beschreibung. Die Unterlagen bestätigten zwar in der persönlichen Beziehung „den sympathischen Eindruck des Augenscheins: Tüchtigkeit, Arbeitsfreudigkeit und Zuverlässigkeit im nationalsozialistischen Sinne", doch sei in sachlicher Beziehung keine Qualifikation belegt.

Hartnäckiger Bewerber

Doch Werner gab nicht auf: Nach angeblich positiven Verhandlungen mit OB Christ quartierte er sich in ein Hotel in Berlin ein, um „hier die Betreibung meiner Bestätigung [für die Stelle] durchzusetzen". Er sei jedoch erstaunt, dass der Fall beim Reichspropagandaministerium noch nicht bekannt sei, habe Intendant Kranz doch der Kündigung zugestimmt. Telefonate, Telegramme und Schriftstücke gingen hin und her. Oberbürgermeister Christ, der sich zunächst womöglich zu weit aus dem Fenster gelehnt hatte, versuchte eine Hinhaltetaktik, während sich Werner überall in Berlin schon als neuer Intendant von Trier der nächsten Spielzeit vorstellte, so auch beim Deutschen Bühnenverein, was umgehend dementiert wurde.

Christ wendete sich hilfesuchend an einen Ministerialrat im Reichspropagandaministerium. Schließlich wanderte die Angelegenheit im Ministerium noch eine Ebene höher, wo man einen Kompromiss mit Kranz als Intendant und Werner als Opernspielleiter vorschlug, was Christ aber ablehnte. Er teilte dem Ministerium Anfang August stattdessen mit, Kranz als Intendant doch noch für eine weitere Spielzeit zu behalten.

Werner fiel letztlich bei Oberbürgermeister Christ in Ungnade, weil er die Stadt Trier verklagen wollte und angab, Einblick in eine interne Stellungnahme des OB zu seinen Gunsten gehabt zu haben. Auch vor diesem Hintergrund sollte die Angelegenheit wohl so schnell wie möglich zwischen zwei Aktendeckeln verschwinden.

Was aus Theo A. Werner wurde, bleibt weiteren Recherchen vorbehalten. Die Quelle ist bei aller vordergründigen Kuriosität auch ein Beispiel für die NS-Kulturpolitik in einem Deutschland, aus dem seit 1933 viele begabte Kunst- und Kulturschaffende fliehen mussten und wo so manche aus der zweiten oder dritten Reihe nun eine Chance für einen Aufstieg witterten.

Simone Fugger von dem Rech