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23.11.2010

Von nächtlicher Einsamkeit fasziniert

Rut Blees Luxemburg
Rut Blees Luxemburg
Rut Blees Luxemburg zählt zu den derzeit international gefragtesten Fotografinnen. Die in London lebende Künstlerin unterrichtet am Royal College of Art. Sie wurde in Trier geboren und ist in Leiwen an der Mosel aufgewachsen. Bei den Fototagen Trier ist sie mit fünf Arbeiten im Stadtmuseum Simeonstift vertreten. Außerdem hängen zwei ihrer Werke mit Trierer Motiven in der Dauerausstellung. Im interview mit der Rathaus Zeitung gibt die Künstlerin einen Einblick in ihre Arbeit.

RaZ: Ihre Arbeiten zeigen häufig öffentliche Plätze und Gebäude, die allerdings immer menschenleer sind. Warum?

Rut Blees Luxemburg: Das Thema, mit dem ich mich beschäftige, ist der öffentliche Raum. Ich stelle mir die Frage: „Wie kann man an einer Stadt teilnehmen?“. In meinen Arbeiten versuche ich die Möglichkeit zu erforschen, ob sich Betrachter in den leeren Raum hineindenken können oder wollen. Besonders deutlich wird das bei der Aufnahme vom Chorgestühl der Kirche in Klausen. Die Bänke sind leer, doch sieht man ihnen an, dass bereits über Jahrhunderte viele auf ihnen Platz genommen haben. Die Rückenlehnen zeigen Gebrauchsspuren. Das dunkle Holz ist blank gerieben und auf den Sitzkissen sind sogar noch Abdrücke zu erkennen. Die Arbeit entstand 2009 wäh-rend meiner sakralen Phase. Die ist aber jetzt vorbei.

Wie gelingt es, dass niemand ins Bild läuft? Sperren Sie die Szenerien ab?

Nein, ich betreibe grundsätzlich keinen großen organisatorischen Aufwand. Das Fotografieren funktioniert wie ein organischer Prozess. Die Motive finden sich im Dialog mit Ideen, die ich gerade untersuche. So entstehen wenige, nur circa zehn bis zwölf Bilder pro Jahr. Ich arbeite nachts, dann sind die Straßen leer. Stadt und Menschen sind zur Ruhe gekommen. Das Tagesgeschäft ist beendet. Das ist eine Atmosphäre, die ich schätze, und in der ich gerne agiere. In der Nacht erscheint vieles klarer, es herrscht weniger Ablenkung, und die unsichtbaren Dinge werden sichtbarer.

Sie fotografieren ohne künstliche Beleuchtung. Das ist für Nachtaufnahmen ungewöhnlich. Welche Technik wenden Sie dann an?

Ich nutze das vorhandene, natürliche Licht. So wenig Intervention wie möglich. Ich fotografiere mit einer 5 x 4-Großformatkamera mit einer langen Belichtungszeit, ungefähr zehn bis 15 Minuten. Das verleiht den Arbeiten diesen gesättigten, gold-grün schimmernden Ton.

Wie wählen Sie die Motive für Ihre Fotoarbeiten aus?

Zunächst stelle ich mir die Frage, welche Bilder von einer Stadt reproduziert werden, welche Gebäude einer Stadt ihr Gesicht verleihen. Ich entscheide mich, gerade nicht repräsentative Orte zu zeigen, die es aber in jeder Stadt gibt und die jedem vertraut sind, wie ein Brunnen oder ein Parkhaus. Eine Arbeit in der Ausstellung zeigt den Blick von der 16. Etage eines Londoner Wohnhauses. Die Perspektive ist ungewöhnlich und eindringlich. Die Arbeit wurde beeinflusst von dem Gemälde „Kreidefelsen auf Rügen“ von Caspar David Friedrich. Darauf sieht man einen Mann, der den Blick nach unten, in den Abgrund wagt. Dieser Blick, in dem die Spannung zwischen Tiefe und Höhe, fallen und hochziehen konzentriert ist, beherrscht viele meiner Arbeiten. Die Szene habe ich lediglich in die heutige Zeit transportiert. Thema ist also der Abgrund, der Sog nach unten, aber auch die Möglichkeit eines Heraufziehens oder Hochschwebens.

Woran arbeiten Sie gerade? Wo kann man noch Arbeiten von Ihnen sehen?

Meine neue Arbeit, die ich dieses Jahr in New York gemacht habe, heißt „Black Sunrise“. Sie ist noch bis 15. Januar 2011 in der Pariser Galerie Fiat zu sehen.

Das Gespräch führte Sonja Mißfeldt