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22.05.2007

Vom Flüchtling zum Ehrengast

Marion Cassirer im Gespräch mit OB Klaus Jensen.
Marion Cassirer im Gespräch mit OB Klaus Jensen.
Eigentlich wollte sie nie wieder nach Deutschland, doch nun ist sie zurückgekehrt: Marion Cassirer, eine jüdische Emigrantin, übernahm die Patenschaft für einen „Stolperstein“ in der Friedrich-Wilhelm-Straße zum Gedenken an ihren aus Trier stammenden Vater. OB Klaus Jensen em-
pfing sie vergangene Woche im Rathaus und betonte, es sei ihm ein großes Anliegen, in Trier Erinnerungsarbeit zu leisten. Während ihres Besuchs berichtete Marion Cassirer Schülern des AVG von ihren Erfahrungen aus der NS-Zeit und ihrer Flucht, die in Trier begann.
 
Kein leichter Gang nach Trier

Man hätte sie erschossen oder ins Konzentrationslager gebracht, wenn man sie damals entdeckt hätte. 65 Jahre später wurde sie als Ehrengast empfangen: Für Marion Cassirer war es kein leichter Gang zurück nach Trier. Ambivalente Gefühle habe sie deshalb: „Die Erinnerung an die Zeit der Flucht ist auch nach 65 Jahren noch präsent, obwohl ich damals erst fünf Jahre alt war.“ Allerdings sei nun alles „umgedreht“ in Deutschland,  eine Kehrtwendung, die man bei den Menschen feststelle und die sie sehr berühre. Auch fühle sie sich hier  nicht mehr in Gefahr und das sei ein gutes Gefühl, erzählte die jüdische Emigrantin.
 
Im Oktober 1942 hatte von Trier aus ihre Flucht aus Nazi-Deutschland begonnen, die sie über Holland schließlich nach Vancouver in Kanada führte, wo sie heute noch lebt. Die gebürtige Berlinerin war zuvor gemeinsam mit ihrer Mutter nach Trier gekommen, um nach ihrem Vater Walter Bruno Kaufmann zu suchen. Allerdings musste sie feststellen, dass er  bereits ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert worden war, wo er später umgebracht wurde. In Trier bei ihrer Tante Betty Wolff, die 1943 im KZ Auschwitz ermordet wurde, versteckten sie sich und starteten kurz darauf ihre Flucht. Von ihrer Mutter getrennt, fand sich Marion Cassirer wenig später mit nicht einmal sechs Jahren allein in Holland wieder. „Nur dank glücklicher Zufälle und der Hilfe von mutigen Menschen aus dem Untergrund habe ich den Holocaust überlebt“, berichtete sie.

Gerührt von Aktion der Schüler

Der Kontakt nach Trier war über Dr. Thomas Schnitzler zustande gekommen, der das Projekt „Stolpersteine“ als Historiker unterstützt. Schnitzler habe ihr schon vor zwei Jahren geschrieben, doch eigentlich habe sie nicht kommen wollen, sagte Cassirer. Da Schüler des AVG aber für ihre Verwandten, die Familie Wolff, Stolpersteine in der Fleischstraße gestiftet hatten, war sie gerührt und entschied sich für eine Rückkehr nach Trier. Bedingung war: Sie wollte vor  den Schülern über ihre Erlebnisse sprechen. „Es ist wichtig, dass die letzte Generation von Überlebenden vor den jungen Leuten steht und sagt: Es ist wirklich passiert.“
 
Dr. Johannes Verbeek, Philosophie- und Geschichtslehrer am AVG, hatte das Projekt im vergangenen Jahr gemeinsam mit Oberstufenschülern angestoßen und zeigte sich erfreut: „Das war eine Geschichtsstunde, die die Schüler nicht so schnell vergessen werden.“ Es sei wichtig, die Erinnerung wach zu halten und bei den Schülern ein Bewusstsein zu bilden. Svenja Marschall, ehemalige Schülersprecherin des AVG, bestätigte die Einschätzung Verbeeks: „Hier ist Geschichte greifbar und man bekommt einen persönlichen Bezug zu dem Thema.“ Auch Marion Cassirer war gerührt von dem Engagement der Schüler: „Ich habe gemerkt, dass die Stiftung für meine Familie von Herzen kam.“ Im Stadtmuseum Simeonstift ist ein Zeitzeugen-Interview mit Marion Cassirer zu sehen.