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03.07.2007

Vom Erlöser zum geächteten Mörder

Das Glück von Ödipus (Michael Marwitz) und seiner Frau Iokaste (Johanna Liebeneiner) ist bedroht. Ohne es zu ahnen, hat sich der König in seine leibliche Mutter verliebt und mit ihr eine Familie gegründet. Foto: Theater/Klaus Dieter Theis
Das Glück von Ödipus (Michael Marwitz) und seiner Frau Iokaste (Johanna Liebeneiner) ist bedroht. Ohne es zu ahnen, hat sich der König in seine leibliche Mutter verliebt und mit ihr eine Familie gegründet. Foto: Theater/Klaus Dieter Theis
König Ödipus von Theben ist eigentlich ein Monster. Erst tötet er seinen Vater Laios, heiratet später seine Mutter und zeugt Kinder mit ihr. Aber dank der theatralischen Qualität und Spannung der Sophokles-Tragödie, mit der die zweite Hälfte der Antikenfestspiele am Samstag begann, verfolgen die Zuschauer seit mehr als 2400 Jahren sein Schicksal dennoch mit großer Anteilnahme. Denn der Herrscher (Michael Marwitz) verfolgt aus seiner subjektiven Sicht keinen kaltblütigen Plan, sondern handelt tragischerweise völlig ahnungslos: Der Mord am Vater ist für ihn ein Totschlag nach einem Streit mit einem Unbekannten, von dem er sich provoziert fühlt. Seine Mutter Iokaste (Johanna Liebeneiner) hat er nie gesehen und schöpft keinen Verdacht, als die Liebesbeziehung beginnt.

Unerbittliche Aufklärung

Der Berliner Regisseur Horst Ruprecht inszeniert sehr pointiert diese ungeheuerliche und tragische Geschichte. Zu Beginn wird König Ödipus von seinem Volk als Erlöser angesehen, der eine Krise rund um eine Pestepidemie lösen soll. Sie ist die Strafe der Götter für einen Mord, den Ödipus aber selbst begangen hat.
 
Zug um Zug kommt die Wahrheit ans Licht. Zuerst erscheint Seher Teiresias (Michael Ophelders), dem Ödipus aber nicht glauben will, sondern hochmütig eine Verschwörung mit dem Schwager und Rivalen Kreon (Peter Singer) unterstellt. Durch den Auftritt des Boten aus Korinth (Manfred Paul Hänig) werden Ödipus’ Zweifel verstärkt. Schreckliche Gewissheit hat er aber erst nach den Erzählungen eines alten Hirten (Hans-Peter Leu). Dieser hatte ihn einst an ein Paar übergeben, von dem der König nun erfährt, dass es nicht die leiblichen Eltern sind. Ehefrau Iokaste, die zunächst hochmütig die Warnungen der Seher in den Wind schlägt, erkennt, dass sich das Orakel erfüllt hat und erhängt sich. Ödipus findet sie und sticht sich mit ihren Kleidernadeln die Augen aus, weil er die Realität nicht erträgt. Er ist ein gebrochener Mann und sein RivaleKreon hat leichtes Spiel. Der bisherige König muss in die Verbannung gehen und kann sich in dem anrührenden Finale gerade noch von seinen Kindern Antigone und Ismene verabschieden.
 
Eine wichtige Rolle für die Trierer Inszenierung im Amphitheater, die auf einer Bearbeitung von Hugo von Hofmannsthal basiert, übernimmt der Chor. Er kommentiert das Geschehen und äußert Hohn und Spott über Ödipus. Hofmannsthal hatte in seiner Version des griechischen Dramas die klassischen Chorpartien aufgelöst, sie auf mehrere Dialogsprecher verteilt und dem Volk so ein eigenes Gesicht verliehen.