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02.03.2010

Streiter für soziale Gerechtigkeit

Pater Oswald von Nell-Breuning von seiner Jugendzeit, über den Jesuiten-Novizen 1912 bis zum 100-jährigen Nestor der katholischen Soziallehre. Fotos: „canisius“-Heft 1990
Pater Oswald von Nell-Breuning von seiner Jugendzeit, über den Jesuiten-Novizen 1912 bis zum 100-jährigen Nestor der katholischen Soziallehre. Fotos: „canisius“-Heft 1990
Er gilt als eine der prägendsten Gestalten der Katholischen Soziallehre, schrieb über 1 800 Veröffentlichungen, wirkte bei der päpstlichen Enzyklika „Quadragesimo anno“ (1931) mit, war ein viel gefragter Berater von prominenten Politikern, Gewerkschaftern und Unternehmern und wurde mit höchsten Auszeichnungen des Staates, der Kirche und der Gewerkschaften geehrt: Oswald von Nell-Breuning, Jesuit, Priester, Sozialgelehrter und Hochschullehrer wurde vor 120 Jahren, am 8. März 1890, in Trier geboren.

Die Stadt verlieh ihrem berühmten Sohn 1981 im Alter von 91 Jahren die Ehrenbürgerwürde und richtete anlässlich seines 100. Geburtstags eine Festakademie aus. Seit 2003 erinnert Trier mit dem „Oswald von Nell-Breuning-Preis“, der alle zwei Jahre vergeben wird, an den herausragenden Trierer, der zu den epochalen Gestalten des 20. Jahrhunderts gezählt werden darf.

Bei der Vergabe des Preises an die Brüder Hans-Jochen und Bernhard Vogel im März vergangenen Jahres bezeichnete Oberbürgermeister Klaus Jensen angesichts der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise die Lehre des Jesuitenpaters als „erstaunlich modern“. Nell-Breuning habe unzweideutig klar gemacht, dass wirtschaftliches Handeln an moralische Normen und somit an soziale Komponenten gebunden bleibe.
Die Frage nach dem ethisch-moralischen Fundament der Wirtschaft und des Wirtschaftens sei so aktuell wie schon lange nicht mehr. Zu ihrer Beantwortung gebe der christliche Sozialwissenschaftler Nell-Breuning auch heute noch viel Nachdenkenswertes mit auf den Weg.

Geburt in der Lindenstraße

Oswald von Nell-Breuning wurde in der Stadtwohnung seiner Eltern in der Lindenstraße geboren und schon am nächsten Tag in der Pfarrkirche St. Paulin getauft. Oswalds Vater war der Rittergutsbesitzer und Jurist Arthur von Nell. Die Mutter entstammte einer angesehenen Kölner Familie, ihr Vater war Landgerichtspräsident. Den Doppelnamen erhielt von Nell-Breuning durch den kinderlosen Bruder seiner Mutter. Damit konnte das bevorstehende Aussterben des Adelsnamens „von Breuning“ vermieden werden.

In einem Interview zu seinem 100. Geburtstag („canisius“, Heft 1, 1990) äußerte sich Pater von Nell-Breuning mit „größter Verehrung und Dankbarkeit“ über seine Eltern. In seiner Vaterstadt habe damals noch ein „Klima unproblematischen Glaubens“ geherrscht. Sein Vater, erster Beigeordneter der Stadt und langjähriger Präfekt der Marianischen Bürgersodalität, sei „mehr Praktiker als Intellektueller“ gewesen. Seine Mutter habe ihn „intellektuell bei weitem“ überragt und habe, nach heutigen Maßstäben bemessen, „zweifellos die Qualifikation für einen akademischen Lehrstuhl besessen“.

Prägende soziale Missstände

Oswald wuchs auf den Familiengütern in Mariahof auf, wo heute noch eine Madonna mit Strahlenkranz am ehemaligen Nellschen Rittergut an seinen Ordenseintritt erinnert. Er lernte in St. Matthias die Aktivitäten der Arbeitervereine kennen, die sich seit 1890 formiert hatten. Die Kluft zwischen katholischen Arbeitern und ihrer Kirche sowie die bedrückenden sozialen Verhältnisse seiner Geburtsstadt waren frühe Erfahrungen, die den späteren Lebensweg Nell-Breunings prägten. Dazu zählte auch das herausragende karitative Engagement seiner Familie.

Wie 73 Jahre zuvor Karl Marx, legte Oswald von Nell-Breuning seine Reifeprüfung am humanistischen Friedrich-Wilhelm-Gymnasium ab. Neben dieser äußeren Parallele verband Marx und Nell-Breuning die aufwühlende Frage nach Gerechtigkeit in der Gesellschaft. Was die beiden berühmten Trierer Sozialwissenschaftler hingegen diametral unterscheidet, sind – so Alexander Saberschinsky –  die Antworten, die sie gegeben haben. Anders als Marx mit dem wissenschaftlichen Sozialismus bezog der katholische Theologe Nell-Breuning die Position der christlichen Soziallehre mit ihren tragenden Säulen Solidarität, Subsidiarität und Gemeinwohl.

Durch die Geburt seines 16 Jahre jüngeren Bruders konnte sich Nell-Breuning seinen Wunsch erfüllen, Priester zu werden. 1911 in den Jesuitenorden eingetreten, beschäftigte sich der viel gefragte Pater sein Leben lang mit allgemeinen und ganz konkreten Fragen bei der Ausgestaltung einer gerechten Sozialordnung. Unbeirrt ging er dabei auf christlichem Fundament seinen eigenen Weg, einspannen ließ er sich von niemanden, auch wenn sich bis heute viele auf ihn berufen. Dabei lebte er asketisch und zurückgezogen bis zu seinem Tod am 21. August 1991 im Kreise seiner Societät in Frankfurt St. Georgen.