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01.04.2008

"Politik ist kein Wunschkonzert"

OB Klaus Jensen im Gespräch mit der Presse.
OB Klaus Jensen im Gespräch mit der Presse.
Im Interview mit der Rathaus Zeitung zieht OB Klaus Jensen eine persönliche und politische Zwischenbilanz nach einem Jahr als Oberbürgermeister von Trier.

Rathaus Zeitung:
Herr Jensen, mit welchen Gefühl kommen Sie morgens in Ihr OB-Büro im Rathaus am Augustinerhof?

Jensen: Meistens mit guten Gefühlen! Ich freue mich auf interessante Begegnungen und spannende Themen. Mir macht die Arbeit Spaß und gelegentlich schlechte Nachrichten werden gemeinschaftlich verdaut.

Was hat sich nach 365 Tagen verändert gegenüber dem 1. April 2007?

Ich führe ein „beobachtetes“ Leben, werde überall freundlich angesprochen und bin für viele immer im Dienst. Aber dessen war ich mir schon vor meinem Amtsantritt bewusst.

Welche neuen Seiten von Trier haben Sie seit Ihrem Amtsantritt entdeckt? Gab es Überraschungen, Unerwartetes?

Dass ich auf so viel Zustimmung, Ermunterung und Unterstützung gestoßen bin, hat mich überrascht. Neue Seiten schlage ich täglich durch die vielen persönlichen Begegnungen mit Mitbürgerinnen und Mitbürgern, Unternehmerinnen und Unternehmern, Vertretern von Behörden und Institutionen und vielen anderen mehr auf, die ich nicht oder nicht gut genug kannte und die mir ein bislang noch unbekanntes Innenleben unserer Stadt offen legen.

Waren Sie auf die Fülle von Terminen vorbereitet, die ein OB wahrzunehmen hat?

Mit einer Fülle von Terminen habe ich gerechnet, aber dass sich so viele den OB wünschen, ihn einladen oder im Rathaus sprechen möchten, war nicht zu erwarten. Schade, dass ich nicht alle Anfragen erfüllen kann.

Bleiben wir bei den positiven Erfahrungen: Welche Termine nehmen Sie denn besonders gerne wahr?

Jeder Termin ist mir wichtig, so dass ich hier keine Differenzierungen vornehmen möchte. Besonders spannend sind aber meine zahlreichen Betriebsbesuche, die Gespräche mit den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, das Kennenlernen und Verstehen von Produktionsabläufen und Marketingstrategien. Wer sich so wie ich für Geschichte und individuelle Biographien interessiert, freut sich auf die Gratulationen bei 100jährigen und Paaren mit Diamantenen/Eisernen Hochzeiten.

Welche Erlebnisse oder Erfahrungen haben Sie in Ihrem ersten Amtsjahr am meisten beeindruckt?

Das Engagement der jungen Leute, die Tanja Gräff gesucht haben und noch suchen, die Konstantin-Ausstellung und die Begegnungen mit Überlebenden der Nazi-Herrschaft.

Gab es auch Enttäuschungen oder Dinge, die nach Ihrer Einschätzung hätten besser laufen können?

Natürlich, Politik ist kein Wunschkonzert. Ich hätte mir gewünscht, der Rat hätte einer Beteiligung der SWT am Kohlekraftwerk Hamm nicht zugestimmt und der kommenden Generation diese Hypothek auf unsere Umwelt erspart. Dass mir kürzlich die CDU und UBM keine Zeit und Gelegenheit gegeben haben, das Aulbrückenthema gründlich zu bearbeiten, hat mich wie die meisten der Bewohner der südlichen Stadtteile sehr enttäuscht.

Bei der OB-Wahl war die Wahlbeteiligung nicht besonders hoch und bei der jüngsten Ortsvorsteherwahl in Trier-Süd wählten gerade mal etwas mehr als 20 Prozent. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung und wie können Bürger wieder mehr für Kommunalpolitik begeistert werden?

Wir müssen mehr als bisher vermitteln, welchen großen Einfluss die Kommunalpolitik auf die persönliche Lebenssituation der Bürgerinnen und Bürger hat und sie – besonders junge Menschen – zwischen den Wahlen so oft es geht beteiligen. Sie ernst nehmen, auf sie zugehen und auch erklären, warum etwas nicht geht, kann Politikverdrossenheit und Wahlmüdigkeit mindern.

Ein Schwerpunkt Ihrer Tätigkeit ist eine stärkere Bürgerbeteiligung. Sind Sie mit der Resonanz auf die verschiedenen Angebote zufrieden? Wo liegen die Möglichkeiten und Grenzen von Bürgerpartizipation?

Zufrieden bin ich noch lange nicht, aber wir sind auf dem richtigen Weg. Viele Veranstaltungen wie zum Beispiel zum Integrationskonzept und Flächennutzungsplan hatten eine große Resonanz. Meine Sprechstunden sind immer gut besucht, wir beteiligen mehr und mehr Vereine und Institutionen an der Vorbereitung von Entscheidungen und beginnen, ab 2009 einen Bürgerhaushalt zu etablieren. Aber es geht noch mehr.

Die Parteien, die Sie bei der OB-Wahl unterstützt haben, befinden sich im Stadtrat und im Stadtvorstand in der Minderheit beziehungsweise sind dort gar nicht
vertreten. Wie gehen Sie damit um, wie leicht oder schwierig war im ersten Amtsjahr die Bildung von Mehrheiten?

Bis auf ganz wenige Ausnahmen (Kohlekraftwerk, Aulbrücke) konnte ich sachorientiert Mehrheiten gewinnen. Hier kam mir sicher auch zu Gute, dass ich mit 67 Prozent gewählt wurde, also auch mit Unterstützung von Wählerinnen und Wählern anderer Parteien. Ich orientiere mich aus-
schließlich an der Sache und biete allen das Gespräch an.

Es gab im ersten Jahr Ihrer Amtszeit von Ihnen initiierte Konferenzen zu Integration, Verkehr, Stadt am Fluss, Initiativen zur Gesundheitswirtschaft und Logistik. Wie soll es mit diesen Projekten konkret weiter gehen?

Für alle genannten Bereiche wurden und werden nach den Auftaktkonferenzen Projektgruppen gebildet, die an jeweils konkreten Maßnahmen arbeiten. Und dies unter Einbeziehung externen Sachverstands in Trier und unter Beteiligung des Landes. Mit neuen, dezernatsübergreifenden Arbeitsstrukturen und meinen kompetenten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Stadtverwaltung werden wir erfolgreich sein.

Welche Schwerpunkte setzen Sie sich für die kommende Zeit?

Meine Schwerpunkte sind die Wirtschaftsentwicklung, die Schulen und die Haushaltskonsolidierung – alles Themen, die für die Zukunft unserer Stadt von großer Bedeutung sind. Es werden die Schwerpunkte bleiben, denn durchgreifende Erfolge setzen voraus, dass wir über Jahre hier hart am Ball bleiben.

Was bedrückt Sie derzeit als OB am meisten?

Die aufgetürmten städtischen Schulden von rund 485 Millionen Euro und die damit verbundene jährliche Zinslast von etwa 20 Millionen Euro. Und es bedrückt mich, dass sich schon 15 Monate vor der Kommunalwahl reihenweise Ratsmitglieder in die Büsche schlagen, um unangenehmen Sparbeschlüssen auszuweichen. Dabei gibt es Handlungsdruck. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten eine vorausschauende Politik, die nicht zu Lasten nachfolgender Generationen geht.

Laut einer aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung sind Deutschlands Bürgermeister und Oberbürgermeister mit ihrem „Job“ durchweg sehr zufrieden.
Sie bedauern aber den Verlust an einem geregelten Familienleben. Wie sieht das bei Ihnen aus?

Ich bin als Oberbürgermeister durchweg sehr zufrieden. Was das Familienleben angeht, kommt es uns mehr auf die Qualität statt Quantität an. Meine Frau Malu Dreyer ist als Ministerin nur an Wochenenden zu Hause. Aber mit Hilfe unserer Sekretariate kriegen wir das gut hin. Wir haben beide gelernt, bei Terminanfragen zugunsten der Familie auch einmal „Nein“ zu sagen. Mit unausgeglichenen Führungskräften wäre der Bürgerschaft nicht geholfen.

Was nehmen Sie mit nach Hause, wenn Sie abends das Rathaus verlassen?

Meine Tasche.


Die Fragen stellte das Team der Rathaus Zeitung