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28.09.2021

Losentscheid für Gerty Spies

Gerty Spies
Gerty Spies. Foto: LpB
Der Ortsbeirat Mitte-Gartenfeld machte es spannend: Erst nach vier Wahlgängen und einem Losentscheid stand der künftige Name der bisherigen Hindenburgstraße fest. Gerty Spies, die 1897 in Trier geborene jüdische Schriftstellerin, ist die neue Namensgeberin. Der Stadtrat muss den Beschluss noch bestätigen. Vorausgegangen war eine Bürgerbeteiligung.

Spies wurde in eine alteingesessene jüdische Familie in Trier geboren und besuchte die Auguste-Viktoria-Schule. Nach der Trennung von ihrem Mann, mit dem sie zunächst nach Freiburg gezogen war, lebte sie ab 1929 mit ihrer Tochter in München. 1942 wurde sie in das KZ Theresienstadt deportiert. Dort begann sie, auch „um zu überleben“, Gedichte zu schreiben. Nach ihrer Befreiung veröffentlichte sie 1947 den Gedichtband „Theresienstadt“. Für ihre autobiographischen Aufzeichnungen „Drei Jahre Theresienstadt“ und ihren Roman „Bittere Jugend“ hingegen fanden sich erst in den 1980er Jahren Verleger. Die späte Anerkennung spiegelte sich in der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes 1987 wider. Obwohl sie als Holocaust-Überlebende unvorstellbares Leid erlitt und miterlebte, ging es ihr in ihren Texten auch darum, zu „verzeihen, aber nicht zu vergessen, das Herz rein zu halten von Hass- und Rachegefühlen“.

Dorothee Bohr (CDU) warb vor der Abstimmung im Ortsbeirat für den Vorschlag: „Es ist Aufgabe der Stadt, die Erinnerung an Gerty Spies wachzuhalten. Eine Straße in der Nähe der Synagoge erscheint mir dafür besonders geeignet.“ Die Schriftstellerin starb 1997 im Alter von 100 Jahren in München.
Zu Beginn der Sitzung des Ortsbeirats, der das Vorschlagsrecht für Straßennamen hat, standen noch 15 Vorschläge zur Auswahl. Neben Gerty Spies zählten dazu die Widerstandsgruppe Weiße Rose sowie die Persönlichkeiten Hannah Arendt, Fritz Bauer, Bertha von Suttner, Hilde Hubbuch, Else Scheuer, Louis Scheuer, Gustav Stresemann und „Mutti“ Krause. Fünf Vorschläge hatten einen örtlichen Bezug: Südtor, Römisches Forum, Neumarkt, Synagoge und Theater. Im ersten Wahlgang erhielten die Vorschläge Römisches Forum, Gerty Spies und An der Synagoge die meiste Unterstützung und kamen eine Runde weiter. Im zweiten Wahlgang schied der Vorschlag Synagoge aus, sodass bei der dritten Abstimmung die Entscheidung zwischen Gerty Spies und dem Römischen Forum fallen sollte. Es ergab sich jedoch ein Patt: Beide Vorschläge erhielten je sieben Stimmen. Auch die Wiederholung des Wahlgangs brachte kein anderes Ergebnis. Der nun fällige Losentscheid entfiel auf Gerty Spies.

Damit geht auch eine jahrelange kommunalpolitische Kontroverse um den Namen Hindenburg zu Ende. Der Stadtrat hatte im Juli 2020 beschlossen, dass dem General Paul von Hindenburg, der 1933 als Reichspräsident Hitler zur Macht verhalf, kein ehrendes Gedenken mehr zuteil werden soll. Damit war der Weg frei für einen neuen Namen für die Hindenburgstraße, die von der Kaiserstraße auf Höhe der Synagoge in die Altstadt abzweigt und am Theater vorbei zum Viehmarktplatz verläuft.

Der Ortsbeirat Mitte-Gartenfeld initiierte daraufhin in Kooperation mit dem Amt für Presse und Kommunikation der Stadt Trier im November 2020 eine Bürgerbeteiligung über die Plattform trier-mitgestalten.de. 243 Vorschläge wurden innerhalb von drei Wochen eingereicht. Der Vorschlag Gerty Spies stammt von Jana Schollmeier und Martin Jäckels. Nach dem Abzug von Dopplungen und rechtlich nicht zulässigen Vorschlägen blieben noch 168 Straßennamen übrig. Daraus trafen die Ortsbeiratsmitglieder eine Vorauswahl.

Norbert Freischmidt, der die Sitzung als Stellvertreter für den erkrankten Ortsvorsteher Michael Düro leitete, bilanziert: „Es war ein spannendes Verfahren und wir waren positiv überrascht von der großen Resonanz in der Bevölkerung. Der Ortsbeirat hat sich intensiv mit dem Thema beschäftigt und sich diese richtungsweisende Entscheidung nicht leicht gemacht.“ Rechtskräftig wird der Beschluss nach der Bestätigung durch den Stadtrat, die für Dezember geplant ist.

Ralph Kießling