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01.12.2015

Krisen bedrohen Existenz der EU

Rolf-Dieter Krause spricht beim Sparkassenforum
Der 64-jährige Rolf-Dieter Krause leitet seit Mai 2001 das ARD-Studio in Brüssel. Foto: Sparkasse
Die bisher tiefste Krise ihrer Geschichte kann die EU nach Einschätzung des Brüsseler ARD-Korrespondenten Rolf-Dieter Krause nur durch tiefgreifende Reformen lösen. Als Redner beim Sparkassen-Forum 2015 sprach er sich für eine Kernunion aus, der vor allem Frankreich, Deutschland und die Benelux-Staaten angehören und die den Ausbau des Wirtschaftsraums und der gemeinsamen Außenpolitik vorantreiben solle.

Die anderen Staaten sollten sich abhängig von ihrer Wirtschaftsentwicklung sowie der Bereitschaft, nationale Souveränitätsrechte abzugeben und Grundwerte, wie Pressefreiheit, zu akzeptieren, in konzentrischen Kreisen um diesen Kern anordnen. Nur so sei die Schicksalsgemeinschaft Europa auf Dauer überlebensfähig. In dem Vortrag „Geschüttelt von Krisen – wie kann Europa überleben?“, zu dem Sparkassenvorstandsvorsitzender Günther Passek rund 700 Gäste, darunter Bürgermeisterin Angelika Birk und Baudezernent Andreas Ludwig,  begrüßte, lieferte Krause eine pointierte Analyse: „Europa befindet sich in einer neuen bedrohlichen Phase, in der es um nicht weniger geht als die Fundamente seiner Existenz und damit die Grundlagen unserer Lebensweise.“ Er verwies auf die immer noch nicht bewältigte Euro-Krise, die Auseinandersetzungen in der Ukraine, den islamistischen Terror und die Flüchtlingskrise. „Alle diese Krisen offenbaren eine grundsätzliche Schwäche: Wir Europäer haben kein gemeinsames Bild von Europa, sind uns unser selbst nicht mehr sicher“, analysierte Krause.

Auf der anderen Seite sei der Kontinent angesichts der Konflikte in der Nachbarschaft, vor allem im Nahen Osten, geradezu eine Insel der Seligen: „Zwar trägt der Terrorismus seine Ausläufer hierher, aber im Prinzip gibt es seit 70 Jahren Frieden und ein Wohlstandsniveau, um das uns sehr viele beneiden.“ Dazu hätten die durch die Europäische Union geschaffenen Strukturen einen entscheidenden Beitrag geleistet. Man dürfe die Erfolge und Fortschritte der letzten Jahrzehnte nicht zu selbstverständlich nehmen. „Europa ist ein Projekt auf Widerruf. Auch bei den handelnden Personen ist die Botschaft angekommen, dass es ein einfaches ,Weiter so‘ nicht geben kann.“ Derzeit stellten viele Staaten ihre nationalen Belange über die Interessen der Gemeinschaft. Krause übte in diesem Zusammenhang scharfe Kritik an der Flüchtlingspolitik mehrerer Mitgliedsländer: „Wir hätten kein Problem damit, ein oder zwei Millionen Menschen bei 500 Millionen Menschen in Europa unterzubringen. Es ist aber schon ein Problem, diese Flüchtlinge nur auf eine Handvoll Länder zu verteilen. Noch nie in der Geschichte der EU haben sich so viele Staaten so unverblümt aus der Solidarität verabschiedet. Das sind meist Staaten, die selbst von der Solidarität anderer profitieren.“

Die Krise habe aber auch damit zu tun, dass sich viele Spitzenpolitiker nicht an die von ihnen aufgestellten Regeln halten würden. Als Beispiel nannte Krause die Aufweichung des Euro-Stabilitätspakts durch Deutschland und Frankreich. Die fatale Wirkung sei nicht zuletzt in der Griechenland-Krise spürbar gewesen. Viele Politiker würden mit ihrem unsolidarischen Verhalten den Auftrag der Union missverstehen: „Europa ist auf dem Prinzip aufgebaut, nationale Souveränität abzugeben, um sie dann erst gemeinsam voll auszuspielen. Kein europäisches Land, auch nicht Deutschland, kann sich weltweit allein behaupten.“

Die Antwort auf alle diese Probleme dürfe aber nicht sein, sich frustriert von Europa abzuwenden: „Die aktuelle Zerstrittenheit kann nicht durch Zureden und gute Argumente überwunden werden. Es ist Zeit, über die Architektur Europas nachzudenken“, betonte Krause und verwies auf das Konzept eines Kerneuropas, das unter anderem von Finanzminister Wolfgang Schäuble entwickelt wurde. Es eröffne „den einzig gangbaren Ausweg, um die derzeit frustrierende Lage zu überwinden.“