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16.06.2009

Integration ist keine Einbahnstraße

Nicht nur bauliche Hürden stehen machmal dem Einstieg behinderter Menschen ins Arbeitsleben entgegen. Vorurteile sind ebenso zu überwinden wie partielle Defizite in der Aus- und Weiterbildung.
Nicht nur bauliche Hürden stehen machmal dem Einstieg behinderter Menschen ins Arbeitsleben entgegen. Vorurteile sind ebenso zu überwinden wie partielle Defizite in der Aus- und Weiterbildung.
„Trotz vieler Fortschritte ist die Situation immer noch nicht so, wie man sie sich wünscht. Es ist an der Zeit, das Thema ,Arbeit für Menschen mit Behinderung’ nicht nur im sozialpolitischen Kontext zu sehen, sondern die Wirtschaft als Hauptakteur einzubeziehen.“ Dieses Fazit zog OB Klaus Jensen nach der Tagung „Arbeit für Menschen mit Behinderung lohnt sich für alle“, bei der 120 Teilnehmer, darunter rund 40 Arbeitgebervertreter, der Einladung des Rathauses gefolgt waren. Neben mehr Transparenz forderte der OB eine Veränderung des Bewusstseins, wofür die Begegnung mit Betroffenen eine zentrale Rolle spiele. Diesen Ansatz setzte das Tagungsprogramm konsequent um: Nach einleitenden Informationen über Unterstützungs- und Förderprogramme berichteten zwei Betroffene mit Unterstützung von Experten, wie sie vom Budget für Arbeit oder dem persönlichen Budget als innovative Ansätze profitiert haben. Ergänzend stellte der Bürgerservice seine Integrationsbetriebe vor.
 
Maßgeschneiderte Förderung

Das 2005 eingeführte Budget für Arbeit ist eine Geldleistung, um Menschen mit Behinderung, die in geschützten Werkstätten arbeiten, den Übergang in den ersten Arbeitsmarkt zu erleichtern. Die Zahlungen setzen gezielt Anreize, damit mehr Arbeitgeber behinderte Mitarbeiter einstellen. Davon profitiert zum Beispiel Ina Leyendecker, die 25 Stunden pro Woche in der Küche des Mutter-Rosa-Altenzentrum arbeitet. In der Tagung erzählte sie stolz aus ihrem Arbeitsalltag, zu dem zum Beispiel das liebevolle Dekorieren der Teller gehört. Ihre Mutter Ursula betonte, man habe von Anfang an konsequent die Integration der behinderten Tochter gefördert: „Sie sollte so normal und selbstverständlich aufwachsen wie unsere beiden Söhne.“

In anderen Fällen passen standardisierte Förderprogramme aber nicht zu den Wünschen, Fähigkeiten und Bedürfnissen der Betroffenen. Dann greift das persönliche Budget, bei dem sie mit Unterstützung der Experten aus der Sozialverwaltung ihr passendes Programm „einkaufen“ können. OB Jensen, der als damaliger Staatssekretär im Mainzer Sozialministerium an der Einführung maßgeblich mitwirkte, lobte diese träger-übergreifende Lösung als „wirklichen Fortschritt für die Betroffenen“.

Bei Tim Becker, der eine 70-prozentige Behinderung hat, war das persönliche Budget der Schlüssel zu einer erfolgversprechenden Berufsperspektive. Er arbeitet vier Tage pro Woche beim Klavierhaus Marcus Hübner. Am fünften Tag wird er im Integrationsfachdienst betreut. Becker legt großen Wert auf eine abwechslungsreiche und vielfältige Arbeit. Ihm ermöglichte das persönliche Budget eine maßgeschneiderte Qualifizierung. Beide Budgets sowie die Integrationsbetriebe sollen generell die wirtschaftliche Situation der Menschen mit Behinderung verbessern und deren Eigenständigkeit stärken.

Mehr Durchlässigkeit

Das Budget für Arbeit, bei dem zehn Prozent der gesamten rheinland-pfälzischen Einzelhilfe in der Region Trier umgesetzt würden, hat nach Einschätzung von Bürgermeister Georg Bernarding für mehr Durchlässigkeit auf dem Arbeitsmarkt gesorgt und sich als Schnittstelle bewährt: „Wir stehen voll hinter diesen Projekten und können in Trier schon auf eine lange Tradition zurückblicken.“
 
Man müsse den positiven Schwung nutzen und diese Brücke zum ersten Arbeitsmarkt weiter ausbauen. „Die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung ist ein Gewinn für die Firma, für das Betriebsklima, aber auch in betriebswirtschaftlicher Hinsicht“, betonte der Sozialdezernent. Eine weitere Säule der Eingliederung seien die integrativen Betriebe des Bürgerservice und der Caritas. In diesem Bereich gebe es weitere vielversprechende Planungen. „Jetzt müssen noch mehr Arbeitgeber auf diesen Zug aufspringen“, betonte der Sozialdezernent.

Neue Chancen durch Fachkräfte

Zusätzliche Chancen für Menschen mit Behinderung können sich nach Einschätzung der Wirtschaft durch den Fachkräftemangel in einigen Branchen ergeben. Nach Angaben von Lothar Philippi (IHK) und Rudi Müller (Hwk) sind die ihren Verbänden angehörigen Unternehmen sehr aufgeschlossen und hätten dies in der Praxis vielfach bewiesen. Beide Kammern würde ihre Mitglieder verstärkt auf die neuen Fördermöglichkeiten hinweisen.

Verbesserte Aussichten für Menschen mit Behinderung könnten sich nach Einschätzung von Christa Schäfer (Netzwerk Selbstbestimmung und Gleichstellung) darüber hinaus durch den demographischen Wandel ergeben. Ein Beispiel sind Pflegeeinrichtungen, wie das Mutter-Rosa-Altenzentrum, die in den nächsten Jahren weiter expandieren werden.