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20.03.2007

"Ich habe auch sehr viel Glück gehabt"

Der Weimarer Andreas Kossmann (links) überreicht OB Helmut Schröer ein Paket mit rund 2 000 Briefen, in denen Weimarer an ihre Partnerstadt Trier Einladungen und Kontaktwünsche aussprechen (1990).
Der Weimarer Andreas Kossmann (links) überreicht OB Helmut Schröer ein Paket mit rund 2 000 Briefen, in denen Weimarer an ihre Partnerstadt Trier Einladungen und Kontaktwünsche aussprechen (1990).
Der dritte und letzte Teil des Rückblicks auf die Amtszeit des scheidenden Oberbürgermeisters Helmut Schröer beschäftigt sich mit den Themenfeldern Konversion, Haushalt und Finanzen, Wirtschaft, Städtepartnerschaft zu Weimar und der Frage „Was ist nicht gelungen?“

Wie sehr das politische Weltgeschehen, die so genannte „große Politik“, manchmal bis in die „Niederungen“ der Kommunalpolitik das Leben und Handeln der Akteure und sogar die Entwicklung eines Gemeinwesens entscheidend beeinflussen kann, hat Helmut Schröer gleich am Anfang seiner Amtszeit als Oberbürgermeister in Trier erlebt. „In meiner Einführungsrede vor dem Rat habe ich am 1. April 1989 die programmatischen Schwerpunkte meiner künftigen Arbeit skizziert, noch nicht einmal neun Monate später musste ich in meiner ersten Neujahrsrede als OB völlig andere Politikfelder in den Mittelpunkt meines Handelns rücken!“ Mit dem Fall der Mauer im November 89 fielen auch im weit entfernten Trier Grenzen, die seit Jahrzehnten unumstößlich schienen. Zu Zeiten des „Kalten Krieges“ noch größte französische Garnisonsstadt nach Paris, zeichnete sich mit der Wiedervereinigung und der einhergehenden Abrüstung sehr schnell ab, dass Trier als Militärstand­ort keine Zukunft mehr haben würde. Die französischen Streitkräfte begannen zügig mit dem Abzug ihrer Soldaten und kündigten an, sich nach und nach ganz zurückziehen zu wollen. „Das war zuerst schon ein großer Schock für die Stadt. Die Diskussionen bewegten sich anfänglich zwischen Hoffen und Bangen, Ängste herrschten vor allem auch bei Handel und Gewerbe“, erinnert sich Schröer. Verständlich, waren doch direkt und indirekt in Trier über 2600 Arbeitsplätze von den französischen Streitkräften abhängig, jährlich gaben die Militärs und ihre Angehörigen in Trier rund 140 Millionen Mark aus.

Wende wirkte auch im entfernten Trier

Noch heute hält Schröer es für einen großen Glücksfall, auch für sein eigenes politisches Wirken, dass mit der Wende auch im entfernten Trier alte verfestigte Strukturen aufbrachen und Neues Platz greifen konnte. Auch hier fielen im wahrsten Sinn des Wortes Mauern: im Stadtgebiet wurden nach und nach 43 Militärflächen mit sieben Kasernen, insgesamt 632 Hektar vormals nicht öffentlich nutzbarer Flächen, frei. Dazu kamen 2600 Wohnungen auf den Markt.

„Relativ früh habe ich dann erkannt, welche Chancen für die Stadt in der Konversion liegen. Diese riesigen Areale, die vorher für die Stadtentwicklung nicht zur Verfügung standen, die die Trierer Bürger vielfach über 50 Jahre nicht betreten durften, konnten jetzt auf einmal aktiv gestaltet werden.“

Eindrucksvolle Zahlen belegen heute die beispielhaften Erfolgsgeschichte der Konversion: Über 170 Betriebe und Institutionen mit rund 3000 Arbeitsplätzen haben sich inzwischen auf Konversionsflächen angesiedelt, der Wissenschaftspark auf dem Petrisberg ist nach wie vor maßgeblicher Impulsgeber für einen positiven strukturellen Wandel auf dem regionalen Arbeitsmarkt. Neue Wohngebiete entstehen auf ehemaligen Militärflächen, die Großraumhalle „Arena Trier“ auf dem vollständig umgewandelten Castelforte-Gelände oder auch das ehemalige französische Casino auf dem Kornmarkt haben Stadtbild und –qualität entscheidend verändert.

Sechser mit Zusatzzahl

Als weiteren Glücksfall oder auch „Sechser im Lotto mit Zusatzzahl“ für Trier und die Konversion des Petrisberges bezeichnet der scheidende OB den gegen starke Konkurrenz erhaltenen Zuschlag für die Ausrichtung der Landesgartenschau (LGS) 2004. Der nachhaltige Effekt der LGS lässt sich an vielen Stellen aufzeigen. Auch drei Jahre nach der erfolgreichen Schau ist der Boom auf dem Petrisberg ungebrochen: Zu den 100 Millionen Euro, die die Entwicklungsgesellschaft bis 2012 für das Gebiet einschließlich öffentlicher Fördermittel ausgibt, kommen private Folge­investitionen von mittlerweile rund 250 Millionen Euro. Im Wissenschaftspark, wo mittlerweile 85 Unternehmen mit mehr als 550 Mitarbeitern ansässig sind, geht die Entwicklung rasant weiter. Das Landesgartenschaugelände, der jetzige Petrispark, hat sich vor allem auch Dank der herausragenden Lage und der hochwertigen dort nach der LGS verbliebenen Infrastruktur wie Skaterbahn, Wasserspielplatz, Biergarten, Partnerschaftsgärten etc. zu einem der beliebtesten Naherholungsgebiete der Trierer entwickelt. „Der Petrisberg ist heute nach dem Kaiserslauterner Betzenberg der zweitbekannteste Berg in Rheinland-Pfalz.“

Maßgeblichen Einfluss auf das Gelingen der Konversion hatte dabei das strategische Konzept „Zukunft Trier 2020“, das nach einer breiten und offen geführten Diskussion schon Mitte der 90er Jahre verabschiedet wurde. Auf Grundlage dieser stadtentwicklungspolitischen Ziele sind zahlreiche Konversionsobjekte entwickelt und in die gesamtstädtische Entwicklung einbezogen worden. „Diese Basis und die klare Zielkonzeption haben die Entwicklung stark beschleunigt, alle Akteure – Bürger, Institutionen  politische Repräsentanten und das Rathaus – haben gemeinsam daran mitgewirkt und in der Folge auch den Mut bewiesen, in wirtschaftlich schwierigen Zeiten Geld in die Hand zu nehmen und antizyklisch zu agieren“, schwärmt Schröer noch heute.

Als wahres Glück empfindet er, dass  „...zum ersten Mal in der neueren Stadtgeschichte in den letzten Jahrzehnten nicht Krieg, sondern der Frieden die Regel gewesen ist. Trier hat die damit verbundene historische Chance genutzt und ist in den letzten 20 Jahren eine ganz andere, eine europäische Stadt geworden.“

Blick in die Stasi-Akte

Dass Kommunalpolitik durchaus auch „große Politik“ sein kann, hat Schröer hautnah miterlebt. Im September 1987, gut zwei Jahre vor dem Fall der Mauer, wurde die seinerzeit bundesweit viel beachtete innerdeutsche Städtepartnerschaft zwischen Trier und Weimar im Rahmen feierlicher Stadtratssitzungen offiziell besiegelt. Vorausgegangen waren seit 1986 langwierige schwierige Vertragsvorbereitungen, die die komplizierte politische Lage im geteilten Deutschland widerspiegelten. „Zeitweilig standen die Verhandlungen damals sogar vor dem Abbruch. Auf Geheiß der SED sollte auch die sechste innerdeutsche Städteverbindung in erster Linie einen Beitrag zur völkerrechtlichen Anerkennung der DDR bewirken. Wir auf Trierer Seite versuchten dagegen, diesen staatsrechtlichen Aspekt zu umgehen und vor allem verstärkte Kontakte der Menschen beider Städte untereinander zu ermöglichen“, erinnert sich Schröer. Auch die Staatssicherheit hatte ihre Finger, wie sich später nachweisen ließ, in der turbulenten Anfangszeit der Partnerschaft kräftig mit im Spiel. Schröer, damals noch Wirtschaftsdezernent, fand Jahre nach der Wende bei dem von ihm beantragten Einblick in seine Stasi-Akte „Operativer Vorgang Test“ Abhörprotokolle vertraulicher Gespräche, die er in Weimar mit Regimekritikern geführt hatte. „Ich glaube, dass die kommunalen Brückenschläge zwischen Deutschland-West und Deutschland-Ost die Wiedervereinigung nicht unerheblich gefördert haben. Ich bin froh, auch im Rahmen der Städtepartnerschaft zwischen Trier und Weimar ein entscheidendes Stück deutsch-deutscher Geschichte miterlebt und im kommunalen Bereich mitgestaltet zu haben“, betont Schröer.

Einen zumindest gestaltenden Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt beansprucht der studierte Wirtschaftswissenschaftler rückblickend schon für sich. Als Schröer 1977 zum ersten Beigeordneten des neu gegründeten Wirtschaftsdezernates gewählt wurde, war Trier in einer problematischen Situation. Die Arbeitslosenquote lag bei 15 Prozent, Post und Bahn bauten in großem Stil Arbeitsplätze ab. Der Nachholbedarf zur Förderung der wirtschaftlichen Struktur war groß. Mit Hilfe eines eigentlich für die strukturschwachen Gebiete Eifel und Hunsrück aufgelegten Förderprogramms konnten in Trier erste Erfolge erzielt werden. „Damals war Wirtschaftsförderung weitgehend Ansiedlungspolitik. Geeignete Flächen mussten ausgewiesen, Firmen akquiriert werden.“ Heute, in Zeiten der Globalisierung und des weltweiten Wettbewerbs, muss Kommunalpolitik auf diesem Feld laut Schröer andere Schwerpunkte setzen. „Die Zeit der großen Neuansiedlungen ist vorbei, jetzt geht es vorrangig um die qualifizierte Förderung der heimischen Wirtschaftsbetriebe.“ Eine offensichtlich erfolgreiche Strategie: Im Vergleich zu anderen rheinland-pfälzischen Städten befindet sich Trier in einer recht komfortablen Situation. Als eine der ersten deutschen Städte überhaupt verabschiedete Trier ein Einzelhandelskonzept. Heute gehören Geschäftslagen in der Trierer Innenstadt zu den begehrtes­ten bundesweit, die Einzelhandelszentralität beträgt 231 Prozent. Trier profitiert von der Nähe zu Luxemburg und natürlich auch vom Alleinstellungsmerkmal „älteste Stadt Deutschlands“. Einzelhandel, Fremdenverkehr und heimische Wirtschaft bescheren der Stadt derzeit so hohe Gewerbesteuereinnahmen wie noch nie.

Einnahmen reichen nicht aus

Und doch kann Trier seinen Haushalt nicht ausgleichen. „Es ist mir in der Tat nicht gelungen, der Verschuldung der Stadt Trier entgegenzuwirken“, so Schröer selbstkritisch. Allerdings ist Trier dabei in „guter“ Gesellschaft. Keine einzige kreisfreie Stadt in Rheinland-Pfalz kann einen ausgeglichenen Haushalt vorweisen. Schröer hält neben dem his­torischen Problem – Trier war nie eine reiche Stadt – vor allem die zunehmende Ignorierung des Konnexitäts-
prinzips durch den Gesetzgeber für das Haupt­übel. „ ,Wer die Musik bestellt, bezahlt sie auch’, dieser einfache Grundsatz wird zu Lasten der Städte missachtet.“ Die hohen städtischen Einnahmen reichen nicht einmal mehr für die Deckung der nicht zu beeinflussenden gesetzlich übertragenen Aufgaben. Wichtige Investitionen in Schulen, Straßen oder kulturelle Einrichtungen können in Trier seit langem nur bruchstückhaft, und dann über Schulden finanziert, vorgenommen werden. Die in den vergangenen Jahren im Rahmen eines breit angelegten Konsolidierungsprogramms im städtischen Haushalt regelmäßig eingesparten Millionen werden zur Zeit direkt wieder durch neu übertragene Aufgaben „aufgefressen“.

Trotz aller finanziellen Probleme sieht Schröer die Stadt für die Zukunft gut aufgestellt. Im Wettbewerb um Menschen, um Köpfe, der zwangsläufig alleine schon auf Grund der demographischen Entwicklung zwischen den Städten einsetzen werde, habe Trier auch dank der Region und der unmittelbaren europäischen Nachbarn gute Ausgangspositionen. Die regionale Zusammenarbeit und Vernetzung auf unterschiedlichsten Feldern auch über Grenzen hinweg, wie schon mit der Schwesterstadt Luxemburg praktiziert, davon ist Schröer überzeugt, wird die Stadt weiter voranbringen. „Alleine können wir nicht bestehen, aber zusammen bilden wir eine schlagkräftige Einheit!“
Nach dem Ausscheiden aus dem Amt wird der überzeugte Europäer Helmut Schröer der Region treu bleiben. „Als gebürtiger Kölner bin ich inzwischen eingefleischter Trierer und ich empfinde es als ein schönes Geschenk und ein Glück, in einer solchen Stadt leben zu können.“

Ralf Frühauf