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01.09.2009

Gemischten Teams gehört die Zukunft

Angelika Winter
Angelika Winter
Vor gut einem Jahr trat Angelika Winter ihr Amt als Trierer Frauenbeauftragte an. In einem Gespräch mit der Rathaus Zeitung (RaZ) zieht sie eine erste Zwischenbilanz.

RaZ: Was hat Sie in den zurückliegenden zwölf Monaten überrascht, beziehungsweise was hatten Sie
sich anders vorgestellt?

Winter: Überrascht hat mich die sehr freundliche, interessierte, zuweilen etwas kritische Einstellung gegenüber der „neuen“ Frauenbeauftragten in der Verwaltung. Meinen Kolleginnen und Kollegen, ohne die ich diese Querschnittsaufgabe nur schwer bewältigen könnte, danke ich für die tolle Zusammenarbeit. Vielleicht habe ich vorher nicht gedacht, dass es so viele Frauenverbände, -initiativen, -gruppen in Trier gibt. Allein das Frauenhandbuch listet über 200 Kontakte auf. Die Vorstellungsrunde war daher eine große zeitliche Herausforderung.

Gibt es noch oder verspüren Sie Vorbehalte gegen die Tätigkeit einer Frauenbeauftragten?

Der Titel lädt das männliche Geschlecht nicht unbedingt ein, sich mit Geschlechtergerechtigkeit auseinanderzusetzen. Oft steige ich nach den berühmten Fragen „Wann gibt’s denn endlich einen Männerbeauftragten?“ oder „Sind Sie denn auch für Männer da?“ in die Diskussion ein. Danach habe ich den Eindruck, dass die Be-mühungen zu diesem Thema ernsthafter gesehen werden und auch Männer einen Mehrwert für sich erkennen.

Wie fühlt sich eine Lübeckerin in Trier? Und Münchnerin in Trier!

Ein Lübecker Kind sozialisiert im Münchner Raum und seit 18 Jahren in der Region heimisch. Lübeck und Trier haben sicher eines gemeinsam: „Man kennt sich halt, jeder kennt jeden!“

Was wünschen Sie sich für Ihre Tätigkeit für die Zukunft?

Viele Partnerinnen und Partner, um an einem Strang zu ziehen und mehr zeitliche Ressourcen. Insgesamt wünschen sich Männer, und viele Frauen, eine Gleichstellungspolitik, die sie einbindet. Das ist auch mein Selbstverständnis.

Bei der Gleichberechtigung gibt es nach wie vor Defizite. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist immer noch nicht überall gewährleistet, die Kommunalpolitik wird weiter von Männern dominiert. Frauen verdienen oft weniger als ihre Kollegen, um nur einige Punkte zu nennen. Was kann die Frauenbeauftragte leisten, um die Situation der Frauen zu verbessern?

Die Öffentlichkeit über diese Missstände unterrichten, sensibilisieren und hoffen, dass dadurch Bewusstseinsänderungen in Gang gesetzt werden.

Wie wird sich die Situation der Frauen in den nächsten Jahren entwickeln?

Frauen mit höherem Bildungsgrad sind zunehmend nicht mehr bereit, Kinder in die Welt zu setzen. Länder, in denen Frauen selbstverständlich Berufstätigkeit und Familie leben können, ohne in wirtschaftliche Abhängigkeit vom Partner oder vom Staat zu gelangen, haben diese geringe Geburtenrate nicht. Hauptprobleme bei uns sind unflexible Betreuungsplätze, Ferienzeiten in Kitas und Schulen, familienunfreundliche Arbeitsbedingungen und stereotype Rollenbilder. Die Hürden sind zu hoch. Die Quote für Aufsichtsräte wird kommen. Norwegen macht es vor. Nach und nach werden, auch bedingt durch den Generationswechsel, in Ausschüssen, Beiräten, kurzum allen Entscheidungsprozessen, mehr Frauen wahrzunehmen sein. Dadurch wächst die Chance auf eine geschlechtergerechte Politik.

Wie bewerten Sie die Lohnungleichheit zwischen den Geschlechtern?

Sie wird sich zum Teil durch andere Berufsbiografien von Frauen verringern. Ich hoffe, dass sie seltener aus dem Beruf aussteigen, sich weniger als „Zuverdienerin“ wiederfinden. Männer und Frauen sollten sich Familien- und Erwerbsarbeit 50/50 aufteilen.

Werden wir auch in Zukunft noch eine Frauenbeauftragte brauchen?

Vielleicht werden die Gleichstellungsbeauftragten für eine Männerquote in Aufsichtsräten im Jahr 2030 eintreten. Wir haben die top ausgebildetste Frauengeneration seit Menschengedenken. Die Wirtschaft kann nicht mehr auf dieses Potenzial verzichten, ob sie will oder nicht. Da wird sich in den nächs-ten 30 Jahren viel ändern. Heute ist eine Gleichstellungsstelle unverzichtbar. Frauen sind immer noch viel zu wenig in Entscheidungen eingebunden, verdienen bis zu 23 Prozent weniger als männliche Kollegen und sind als Mutter, besonders als Alleinerziehende, oft auf dem beruflichen Abstellgleis. Zudem müssen Frauen mehr Gewalt erleiden als Männer. Dies sind genügend Handlungsfelder, die gesellschaftlich angegangen werden müssen.

Sehen Sie die Gefahr, dass durch die Wirtschaftskrise Fortschritte bei der Gleichberechtigung der Frauen wieder in Frage gestellt sind?

Nein, ich sehe in der Krise für Frauen die Chance, endlich zum Zuge zu kommen. Gemischte Teams sind gefragt. Frauen müssen nur endlich durch die „gläserne Decke“ stoßen. Ich bin optimistisch, dass zudem der Generationswechsel die verkrusteten, meist männlichen Strukturen aufweichen wird.

Welche Bedeutung hat der in Trier laufende Ausbau der Kinderbetreuung für berufstätige Mütter?

Eine qualitativ hochwertige, flexible, bezahlbare Kinderbetreuung ist Voraussetzung für eine gute Balance zwischen Job und Familie. Der Ausbau, der eine Menge Geld kostet, ist lobend anzuerkennen. Die Stadt muss weiter in Krippen-, Ferien- und Hortbetreuung investieren. Wünschenswert wäre eine Kooperation mit der Wirtschaft, die ein Interesse an der Bindung ihrer Beschäftigten hat. Familienfreundlichkeit ist ein Imagegewinn und ein Standortvorteil.

Ein Jahr sind Sie jetzt Frauenbeauftragte – wie sieht – typisch männliche Frage – ihr normaler Arbeitstag/-woche aus?

Es gibt keine normale Arbeitswoche! Ist das nun eher typisch männlich? Im Schnitt arbeite ich 30 Stunden pro Woche, verteilt auf alle möglichen Tageszeiten. Nur nachts schließt sich aus.

Haben Sie Erfolgserlebnisse – oder anders gefragt – macht Ihnen Ihre Arbeit überwiegend Spaß oder ist sie auch oft frustrierend?

Solange ich in einem tollen Netzwerk von Frauen und Männern Unterstützung erhalte und mit ihnen spannende Projekte angehen kann, macht die Arbeit richtig viel Spaß. Frustrierend ist die oft zu spürende Resignation bei Frauen, die keinen Sinn darin sehen, sich zu engagieren oder politisch aktiv zu werden. Frustrierend ist auch, wie viele allein erziehende Elternteile – meist Frauen – am Rand des Zusammenbruchs die finanzielle und familiäre Verantwortung tragen. Es fehlt oft sowohl die Zeit für die Familie als auch das Geld. Dieser Teufelskreis macht traurig und führt zur Resignation. Es muss dringend Abhilfe geschaffen werden.

Wie würden Sie das Rathaus Trier in Bezug auf seine frauenspezifische Haltung einstufen? Gibt es noch viel zu tun?

Da ich ja nicht die interne Gleichstellungsbeauftragte bin, habe ich wenig Einblick in die Umsetzung des Landesgleichstellungsgesetzes. Ich wünsche mir aber, in führenden Positionen mehr weibliche Vornamen zu finden. Der Stadtrat ist mit einem fast 45-prozentigen Frauenanteil Spitze in Rheinland Pfalz. In der SPD-Fraktion arbeiten sogar mehr Frauen als Männer mit. In der Wirtschaft hat man erkannt, dass gemischte Teams ergebnisorientierter und zügiger zum Ziel kommen.