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08.09.2015

"Diese Oper ist ein großer Steinbruch"

Tilman Knabe
Regisseur Tilman Knabe. Foto: teatrier
Er studierte nicht nur katholische Religion, sondern auch Theaterregie bei August Everding: Der Regisseur Tilman Knabe inszenierte an allen großen Theatern quer durch die Republik. In Trier bringt Knabe die Oper „Fidelio“ nach Ludwig van Beethoven (Premiere am 19. September, 19.30 Uhr, Großes Haus) auf die Bühne. Im Interview spricht Knabe über seine Inszenierung und sagt, was das Publikum erwarten darf und warum er eine besondere Beziehung zu Trier hat.

Herr Knabe, Sie inszenieren in Trier „Fidelio“. Der Untertitel lautet: ein Opernprojekt. Was daran ist projekthaft?

Knabe: Nennen wir es doch besser „Musiktheater-Projekt“. Diese Oper ist ein großer Steinbruch, ein Werk, das Beethoven immer wieder bearbeitet hat. Das Werk ist zudem eine seltsame Mischform aus unterschiedlichen Gattungen. Hier das Singspiel, dort fast oratorienhaftgleiche Musik, dann aber auch Ideendrama und große Oper. „Fidelio“ ist eine ständige Herausforderung. Die Fragen, die es stellt, die Situationen, die es beschreibt, als historisch „erledigt“ zu betrachten, halte ich nicht nur für fahrlässig, sondern geradezu für zynisch. Um den Kern des Werkes deutlich herauszuarbeiten, erweitern wir es um musikalisches Material und Textmaterial, das über verschiedene historische Etappen eine Linie bis in die Gegenwart zieht. All diese Werke verbindet, dass sie aus dem Geist einer visionären, kommunistischen, pazifistischen und humanistischen Idee heraus geschrieben und komponiert wurden. Die Dialoge sind seit jeher ein Problem in diesem Werk. Deswegen haben wir sie durch Texte anderer Autoren ersetzt – etwa von Samuel Beckett, dem Unsichtbaren Komitee und dem afrikanischen Autor Koffi Kwahulé.

Es heißt, Sie seien ein politischer Regisseur in der Tradition des Regietheaters. Ist das eine zu enge Schublade, oder fühlen Sie sich darin rundum wohl?

Jeder Regisseur hat sich, sofern er seinen Beruf ernst nimmt, mit Gesellschaft, mit unserer Welt auseinanderzusetzen – und ist deshalb per se politisch. Theater ist immer politisch! Theater ist nie privat, sonst sind wir bei „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“. Theater steht immer in einem Kontext von Gesellschaft, dort stehen die Figuren – in einer Staatsform oder in Verbindung zu dem Staat. Letztlich steht jede Oper, jedes Schauspiel in einem politischen Kontext.

Was also ist an „Fidelio“ politisch?

Dieses Werk, dieser Steinbruch ist eine Auseinandersetzung mit den Gedanken der Französischen Revolution. Es ist somit auch eine Auseinandersetzung mit großen Fragen: Was ist Freiheit? Wie gehen wir mit Andersdenkenden um? Wie gehen wir mit Strafvollzug und Folter um? Was sind Menschenrechte? Wie ist Freiheit im Diktat der Ökonomisierung zu verstehen? Was heißt Schuld, besonders vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte? Damit hängt beispielsweise auch die deutsche und europäische Flüchtlingspolitik zusammen. Wir kommen gerade bei diesem Werk auf ganz viele Themen, die uns heute mehr denn je wieder interessieren müssen.

Auf welche Besonderheiten darf sich das Trierer Publikum denn bei Ihrer Inszenierung einstellen?

Wenn ich jetzt einfach sage, sie ist sehr bunt, dann könnte das missverständlich sein. Aber dennoch trifft es zu. Mit dem zusätzlichen musikalischen Material und Textmaterial versuchen wir die Themen des Stückes, die Fragen, die es stellt, von vielen Seiten zu beleuchten. „Fidelio“ in seiner Brüchigkeit, Vielschichtigkeit, und seinem utopischen Potenzial, seiner politischen Dringlichkeit gerecht zu werden, ist und bleibt eine großartige Herausforderung. Wir dehnen die Aufführung auch auf die Pause aus: Es gibt mehrere Leonoren, und Schauspieler treten in diesem Projekt auf. Wir haben also viele Dinge, die aufeinander prallen, die in Beziehung stehen. Somit erwartet das Publikum sicher eine lustvolle, sinnliche und auch geistige Auseinandersetzung mit Beethovens „Fidelio“.

Sie haben das Stück für das ganze Haus geöffnet. Wo überall wird gespielt?

Ja, das haben wir, allerdings nicht überstrapaziert. Ein Text von Beckett wird auf der Studiobühne gespielt. Dann wird auch das Foyer bespielt. Es gibt ferner einen großen Steg durch den Zuschauerraum. Ja, es ist schon eine Art des Öffnens, wie man heute so schön sagt: zur Stadt hin. Auf jeden Fall ist es aufregend, und wir haben ein hochmotiviertes Ensemble, großartige Sängerdarsteller und Schauspieler, die sich auf diesen Weg mit großer Neugier und Energie einlassen.

Sie haben auf vielen großen Bühnen in der gesamten Republik inszeniert. Was reizt Sie daran, nun in Trier „Fidelio“ zu inszenieren?

Also zunächst einmal habe ich eine ganz persönliche Beziehung zu dieser Stadt. Meine Mutter ist nämlich hier von 1936 bis 1948 groß geworden. Das ist der eine Punkt. Was mich aber natürlich auch sehr interessiert, ist der Neuanfang von Karl Sibelius hier am Theater. Er ist ja ein sehr einnehmender, innovativer Intendant, der versucht, Neues zu machen und dies auch angstfrei tut. Das ist eine große Qualität und auch eine große Chance für Trier und dessen Theater. Gereizt hat mich aber auch, dass ich meine Interpretation und Bearbeitung mit dem ganzen Team so umsetzen kann, wie ich es für das Werk angemessen halte. Trier ist auch eine Metropole, eine Stadt mit großer Tradition, geistiger Weite und weltverändernden Denkern wie Karl Marx. Und hier landen wir wieder im Ideenkosmos von Beethovens „Fidelio“. Auf die geistige Tradition können die Trierer sich übrigens etwas einbilden, und es macht große Freude, hier zu sein.

Das Interview führte Eric Thielen