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10.03.2009

Die Brüder und der Brückenbauer

Klaus Jensen, Malu Dreyer, Bernhard Vogel und Michael Köhler, Schwiegersohn von Hans-Jochen Vogel (v. l.), verfolgen die Laudatio von Günther Nonnenmacher.
Klaus Jensen, Malu Dreyer, Bernhard Vogel und Michael Köhler, Schwiegersohn von Hans-Jochen Vogel (v. l.), verfolgen die Laudatio von Günther Nonnenmacher.
Die Verleihung des Oswald von Nell-Breuning-Preises der Stadt Trier an die Brüder Hans-Jochen und Bernhard Vogel hatte viel Symbolkraft. Zwei Brüder, zwei herausragende Repräsentanten der großen deutschen Volksparteien SPD und CDU wurden geehrt im Namen eines Mannes, der oft als Brückenbauer bei der Überwindung parteipolitischer und ideologischer Gegensätze bezeichnet wird. So erinnerte der leider erkrankte Hans-Jochen Vogel in seiner von Michael Köhler vorgetragenen Dankesrede an den „substanziellen Beitrag“ Oswald von Nell-Breunings zur Normalisierung des historisch belasteten Verhältnisses zwischen der katholischen Kirche und der SPD. Bernhard Vogel sprach vom  „Skandal der Entfremdung von Kirche und Arbeiterschaft“, den Nell-Breuning überwinden wollte, indem er dem klassenkämpferischen Sozialismus eine klare Absage erteilt und gleichzeitig vor einem übersteigerten Liberalismus gewarnt habe.

Während des Festakts wurde immer wieder deutlich, dass beide Vogel-Brüder sich dieser politischen Idee verpflichtet fühlen. „Offensichtlich ist der Bezug Ihres Denkens und Handelns zu den Grundwerten Oswald von Nell-Breunings, nachweisbar die persönliche Verbundenheit und Wertschätzung und beispielgebend auch die glaubwürdig umgesetzte Maxime, dass eine gemeinsame christliche Basis ein Engagement in unterschiedlichen demokratischen Parteien nicht ausschließt“, betonte Oberbürgermeister Klaus Jensen in seiner Begrüßungsansprache. Zwar seien „alle Versuche, uns gegenseitig zu bekehren, wohl für immer gescheitert“, wie Bernhard Vogel scherzhaft bekannte. Doch wichtiger war ihm folgende Feststellung: „Uns verbindet die Überzeugung, dass man ohne einen archimedischen Punkt und ohne Orientierung an verlässlichen Werten auf Dauer kein sinnvolles Leben führen kann. Uns verbindet, dass wir aus voller Überzeugung zu unserem Grundgesetz stehen, dem ein Menschenbild zugrunde liegt, das Orientierung gibt. Ein Menschenbild, zu dem die katholische Soziallehre – und die evangelische Sozialethik – entscheidend beigetragen haben.“

Auch Laudator Günther Nonnenmacher bescheinigte den Brüdern viele Gemeinsamkeiten: Sie sammelten ihre ersten politischen Erfahrungen jeweils in der Kommunalpolitik, für beide zählte der RAF-Terrorismus zu den prägenden Erfahrungen, als sie in verantwortlicher Position schwerwiegende Entscheidungen zu treffen hatten – Hans Jochen Vogel als Bundesjustizminister, Bernhard als rheinland-pfälzischer Ministerpräsident. Nonnenmacher hob hervor, dass beider Karrieren weder durch politische noch durch persönliche Skandale getrübt seien: „Nie hat einer von ihnen das Ur-Einvernehmen zwischen Demokraten dadurch verletzt, dass er seine politischen Gegner angeschwärzt oder herabgewürdigt hätte. Deshalb genießen sie bis heute in der Öffentlichkeit einen Respekt, der über  Parteizugehörigkeiten oder -vorlieben hinausgeht.“ Und schließlich: „Ihr Abschied aus wichtigen Ämtern und Funktionen ist ihren Parteien nicht sonderlich gut bekommen.“ Mit diesem Hinweis spielte der FAZ-Herausgeber auf den häufigen Wechsel im SPD-Bundesvorsitz und auf den dauerhaften Machtverlust der CDU in Rheinland-Pfalz an.

Die Orientierung am Gemeinwohl, die Nell-Breuning mit den Vogels verbinde, wurde von allen Rednern auch für die heutige Politikergeneration eingefordert. Und geradezu in der Luft lag die von Hans-Jochen Vogel gestellte Frage, was der Jesuitenpater „zur gegenwärtigen Banken- und Finanzkrise wohl sagen würde. Ich bin ziemlich überzeugt, er würde denen zustimmen, die fordern, dass der Staat in der Lage sein muss, dem Markt Schranken zu setzen und ihm einen Rahmen zu geben, innerhalb dessen er seine Wirkungen als Instrument entfalten kann, ohne den Menschen zum Kosten- und Gewinnsteigerungsfaktor zu erniedrigen.“ In der Tat lässt Nell-Breunings Abhandlung über die „Grundzüge der Börsenmoral“ aus dem Jahr 1928 an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. In diesem Sinne forderte auch OB¿Jensen ein kontrolliertes Regelwerk und einen gesellschaftlichen Ordnungsrahmen als Voraussetzung für die Sicherung und Weiterentwicklung der sozialen Marktwirtschaft.

Eine besondere Note erhielten die Dankesreden von Hans-Jochen und Bernhard Vogel durch ihre Schilderungen persönlicher Begegnungen mit Oswald von Nell-Breuning. Hans-Jochen erinnerte sich an eine bewegende Rede des Paters an seinem 100. Geburtstag, Bernhard berichtete von Besuchen in Nell-Breunings „mehr als bescheidenen, kargen Zelle“ in St. Georgen, wo er seine Beiträge, Briefe und die beliebten Postkarten noch bis ins hohe Alter selbst getippt habe.

Ralph Kießling