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20.09.2022

Der "Einstein des Geschlechts"

Collage: Historische Aufnahme des Landesgerichts Trier und Deckblatt einer Schrift von Magnus Hirschfeld
Der Arzt und Sexualforscher Magnus Hirschfeld trat im Jahre 1910 im Landesgericht in Trier als Sachverständiger auf. Seine Schriften sind bis heute im Bestand der Wissenschaftlichen Bibliothek der Stadt Trier an der Weberbach vorhanden. Abbildung: Anja Runkel

Nach der Ferienpause setzt die Wissenschaftliche Bibliothek in der Rathaus Zeitung ihre Reihe „Objekt des Monats" fort. Im Beitrag für September steht der bekannte Sexualwissenschaftler Dr. Magnus Hirschfeld im Fokus, der Trier mehrfach besucht hat.

Magnus Hirschfeld (1868-1935), Pionier der Sexualwissenschaft in Deutschland und erster Experte zum Thema Homo-, Bi- und Transsexualität, hat Trier vermutlich öfters besucht. 1913 schrieb er: „So kam ich früher oft nach Stettin, Nürnberg, Trier und wunderte mich, dass dort scheinbar nichts von Homosexualität bemerkbar war, als ich dann aber später von Ortsansässigen und Unterrichteten – beides trifft keineswegs zusammen – an die sehr versteckt gelegenen Schlupfwinkel der Homosexuellen geführt wurde, fand ich gerade das Gegenteil von dem, was ich anfangs wahrgenommen hatte." Welcher Schlupfwinkel in Trier gemeint ist, bleibt offen.

Ein anderer von ihm besuchter Ort ist bekannt: das Landesgericht. Dort fand der Prozess im Mordfall Friedrich Mattonet statt, der im Kaiserreich wegen der besonderen Umstände für Aufsehen sorgte: Der 29-jährige Josef Breuer wurde beschuldigt, seinen Liebhaber erschossen zu haben. Im Juli 1909 und Oktober/November 1910 wurde der Fall verhandelt, mit Magnus Hirschfeld als Sachverständigem. Er war damals schon als Experte zum Thema Homosexualität bekannt: Bereits 1897 hatte er das Wissenschaftlich-Humanitäre Komitee als weltweit erste Organisation gegründet, die sexuelle Handlungen zwischen Männern entkriminalisieren wollte. Auf seinen zahlreichen Vortragsreisen machte er dieses Anliegen weltweit bekannt. In den 1930er Jahren wurde in den USA dafür der griffige Slogan „Einstein of Sex" erfunden, der von der deutschen Presse als „der Einstein des Geschlechts" übersetzt wurde.

Petition mit 270 Unterschriften

Im Oktober 1910 berichtete der Trierische Volksfreund über seinen Auftritt vor dem Landesgericht: „Dr. Magnus Hirschfeld, der sich seit Jahren mit der Frage der Homosexualität befasst und darüber auch Schriften herausgegeben hat, hält einen Fall von Chantage für vorliegend." Genau vor solchen Erpressungen hatte Hirschfeld gewarnt und für die Aufhebung des Paragraphen 175 im Strafgesetzbuch, der homosexuelle Kontakte unter Strafe stellte, plädiert. Für die erste Petition von 1898, die die Wissenschaftliche Bibliothek als Objekt des Monates präsentiert, gab es rund 270 Unterschriften, darunter von bekannten Persönlichkeiten wie Schriftsteller und Nobelpreisträger Gerhard Hauptmann sowie Maler Max Liebermann. Trierer Namen stehen aber nicht auf der Liste.

Interessierte können sich in der Wissenschaftlichen Bibliothek aus weiteren Werken Hirschfelds informieren, darunter das Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen Jahrgang I und II. Manche Schriften tragen den damals eingefügten Vermerk „nicht verleihbar", konnten aber im Lesesaal eingesehen werden. Hinweise zu möglichen Motiven liefert der Bericht des Wissenschaftlich-Humanitären Komitees von 1905: „Es wurden uns 500 Mark zu dem Zwecke zur Verfügung gestellt, sämtliche Jahrbücher sowie ,§ 175‘ von Dr. Hirschfeld an die Bibliotheken des Rheinlands zu senden, mit der Bedingung, daß die Werke nicht sekretiert werden." Die Stadtbibliothek hat sich an diese Regel gehalten.

Die Schriften von Magnus Hirschfeld sind so der Nachwelt erhalten geblieben. Sie haben die Säuberung der Bestände durch die Nationalsozialisten, die Hirschfeld verfolgten und ins Exil zwangen, überstanden. Heute sind sie wichtige Zeugen der Emanzipation der queeren Bewegung von über 100 Jahren.

Dr. Magdalena Palica