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13.07.2010

Begegnung mit einer Unbekannten

Im Tempelbezirk des Oberpriesters Simon Mago verspottet sein Gehilfe Gobrias (Peter Koppelmann) mit seinem Gefolge die Christen.
Im Tempelbezirk des Oberpriesters Simon Mago verspottet sein Gehilfe Gobrias (Peter Koppelmann) mit seinem Gefolge die Christen.
Die „Trierer Erstaufführung“ kündigte Intendant Gerhard Weber bei der Premiere von Arrigo Boitos (1842 bis 1918) vieraktiger Oper „Nerone“ bei den Antikenfestspielen an. Mit dem ursprünglich fünfaktig geplanten Werk des berühmten italienischen Librettisten und Wagner-Verehrers, der für Verdi den Text für Otello und Falstaff schrieb, entspricht das Theater dem neuen künstlerischen Konzept des Festivals, thematisch zur Antike passende hochwertige, aber nicht so populäre Stücke exemplarisch im einmaligen Ambiente des Amphitheaters aufzuführen und sich mit diesem Alleinstellungsmerkmal von beliebigen Freiluft-Allerweltsaufführungen anderenorts abzusetzen.

Komplexe Charaktere

So konnten die Besucher ein unbekanntes und trotz Boitos Jahrzehnte langen Ringens nie fertig gestelltes Werk kennen lernen, dessen inhaltliche Vielschichtigkeit um den römischen Kaiser Nero sich schlüssig in wenigen Worten nicht zusammenfassen lässt, handelt es sich doch allein schon bei der Titelfigur laut informativem Programmheft um einen von „Todesangst, hybridem Künstlertum, Sadismus und Schizophrenie gezeichneten“ Menschen.

Und die Charaktere der übrigen Mitwirkenden sind nicht weniger komplex. Es geht um Macht und Liebe, um die Gier nach Ruhm, die Beherrschung und Unberechenbarkeit der Massen, um die Glaubensauseinandersetzung zwischen Christentum und römischen Gottheiten. Nicht Freundschaft und Versöhnung, sondern Intrigen, Gewalt und vielfältiges Morden kennzeichnen die Beziehungsgeflechte.

Boito schwebte eine Synthese deutscher und italienischer Kunst vor und so entwickelt das Werk einen eigenständigen Sound, dem kammermusikalische Züge wie stimmungsvolle opulente Klangbilder eigen sind. Sie erinnern zuweilen an Wagner, Verdi oder Puccini.

Grandiose Lichteffekte

Der düstere Inhalt des Stücks wird von Andrea Schwalbach mit ihrem Team (Bühnenbild Nanette Zimmermann; Kostüme Stephan von Wedel) auf einer im Oval stehenden kreisförmigen Bühne unter sparsamer Einbeziehung des ansteigenden westlichen Rangs großräumig in Szene gesetzt. Dabei faszinieren mit einbrechender Dunkelheit einmal mehr grandiose Lichteffekte und die Massenaufzüge, auch wenn das furchtbare Opern-Geschehen im römischen Colosseum unweigerlich schauerliche Assoziationen an die realen Ereignisse im Trierer Amphitheater hervorruft.

Das Publikum zollte den insgesamt rund 200 Mitwirkenden für die beeindruckende Lösung der Mammutaufgabe dieser Nerone-Begegnung dankbaren Applaus.