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15.01.2019

"Karl Marx gehört jetzt für viele Trierer selbstverständlich dazu"

OB Wolfram Leibe im Interview.
OB Wolfram Leibe im Interview.

Großes Karl-Marx-Jubiläum, die Deutschland-Tour zu Gast in Trier und der neue Flächennutzungsplan: Trier blickt auf ein ereignisreiches Jahr 2018 zurück. Im Interview mit der Rathaus Zeitung (RaZ) zieht Oberbürgermeister Wolfram Leibe eine Bilanz und blickt nach vorn auf die Herausforderungen für 2019.

RaZ: Herr Leibe, beim Jahresinterview 2018 haben Sie uns gesagt, Sie würden Ihrer Frau versprechen einmal im Quartal mit ihr Mittagessen zu gehen. Ist das gelungen?

OB Leibe: Da holt einen alles wieder ein. Im Cityradio wurde ich gefragt, ob ich mich nun mehr um meinen Garten kümmern werde. Aber er sieht noch gammliger aus als im Jahr davor (lacht). Und in der Tat: Ich war 2018 einmal mittags mit meiner Frau essen, bin also dem Anspruch nicht ganz gerecht geworden. Aber ich möchte auch anmerken, dass 2018 im besten Sinne ein Ausnahmejahr war.

Apropos Ausnahmejahr: Vor allem war es das Marx-Jahr. Was ist ihr Fazit in Bezug auf den Tourismus aber auch für die Triererinnen und Trierer?

Es war spannend. Das ist kein Euphemismus. Wenn man überlegt, welche Konflikte es im Vorfeld gab, und dann stehe ich am 5. Mai auf dem Rednerpodium, gucke nach rechts und sehe 3500 Menschen, die zur Enthüllung der Statue gekommen sind. Ich gucke nach hinten. Dort stehen über 100 Journalisten aus der ganzen Welt. Die Ministerpräsidentin stupst mich an und sagt: So viele Kamerateams waren nicht mal bei der Verkündigung der neuen Koalition in Berlin. Alle Welt war in Trier. Dabei habe ich gemerkt, dass die Triererinnen und Trierer einfach fantastisch sind. Viele waren zwar gegen die Statue, aber auch bereit, über Marx nachzudenken.

Was war Ihnen mit Blick auf das Karl-Marx-Jahr insgesamt besonders wichtig?

Mein Fokus war nicht, weitere Millionen Tagestouristen zu bekommen, sondern Marx eine Heimstatt zu bieten. Seine Philosophie kann kritisiert werden. Doch die Triererinnen und Trierer weisen zu Recht darauf hin, dass er hier geboren ist. Vor kurzem hat mir jemand erzählt, dass er im Urlaub gefragt wurde, woher er kommt. Dann hat er gesagt: aus Trier, wo gerade der 200. Geburtstag von Karl Marx gefeiert wird. Das fand ich wunderbar. Lange haben wir damit gefremdelt und uns auf unser römisches Erbe fokussiert. Aber durch die Medienpräsenz sind mittlerweile viele Triererinnen und Trierer soweit, dass sie sagen, Karl Marx gehört selbstverständlich dazu.

Gab es für Sie persönlich etwas Überraschendes, das Sie über Karl Marx gelernt haben?

Es gab zwei Dinge. Vorher hatte ich einen Zugang durch die Biographie seiner Frau Jenny. 2018 kam noch eine andere Seite hinzu, durch die Tochter Tussy Marx. Sie hatte ganz wichtige sozialpolitische Funktionen in England. Das war in dieser internationalen Familie noch ein weiterer hochinteressanter Aspekt. In der Ausstellung im Simeonstift habe ich unter anderem gelernt, dass die mütterliche Seite von Karl Marx mit der Familie Philips in den Niederlanden verwandt war. An dieser Stelle wird es hoch spannend: Karl Marx hat eine Verbindung zu einem der größten Konzerne Europas. Trotz dieser und einiger weiterer Überraschungen weiß ich aber leider immer noch nicht, was für ein Mensch Karl Marx war. Es gibt zum Beispiel kaum Geschichten aus seiner Kindheit.

Ein weiteres Highlight 2018 war der Besuch des niederländischen Königspaars – ein Medienspektakel mit Glamour-Effekt. Aber kann das eine nachhaltige Wirkung für die Stadt haben?

Nicht durch den einmaligen Besuch eines Königspaars. Es gab so viel: Wir hatten Karl Marx, wir hatten die Deutschland-Tour, wir hatten unsere Kanzlerin, wir hatten das Königspaar und mal nebenbei ganz viele ausländische Gäste. Und durch diese Kontinuität ist es uns gelungen, das Jahr 2018 mit Bildern zu beleben und diese nach außen zu transportieren. Die Deutschland-Tour im August haben beispielsweise 100 Sender für ihr Programm eingekauft. Die Flugperspektive einiger Kameras über Trier lieferte fantastische Bilder. Vor kurzem war ich im Gemeinderat meines Heimatorts zu Gast. Auch dort war bekannt, was in Trier passiert ist. Und diese Gemeinde ist immerhin 450 Kilometer von hier entfernt.

Bei Treffen mit anderen Stadtoberhäuptern – international und national – geht es auch um die Herausforderungen der Städte. Wie stehen wir im Vergleich da? Wo sind wir vorne dabei?

Seit Mitte Dezember fahren hier die ersten beiden Elektrobusse in Rheinland-Pfalz – nicht zum Test, sondern im Regelbetrieb. Wir sind bei der Kita-Ausstattung quantitativ und qualitativ in Rheinland- Pfalz ganz vorne dabei. Beim Thema Verwaltungsreform kommen immer mehr Kommunen zu uns, um zu gucken, was wir machen. Schauen wir uns außerdem an, wie viele Preise wir in einem Jahr gewonnen haben: den Kulturmarken-Award im Bereich Tourismus, den Energie- Award für die Stadtwerke und den Spar-Euro vom Steuerzahlerbund. Das heißt, wir sind in manchen Bereichen ein Maßstab für andere, weil wir nachweisen können, was wir geleistet haben und dies auch kommunizieren. Ein Höhepunkt für die Bürgerinnen und Bürger ist das neue Bürgeramt. Bei meinem Amtsantritt habe ich gesagt, wir müssen Stück für Stück weiterkommen. Der erste Baustein war der erneuerte Rathaussaal, dann kam die Kfz-Zulassungsstelle und jetzt in meinem dritten Jahr das modernisierte Bürgeramt. Das heißt: Es wird nach innen und außen spürbar, dass wir handeln.

Zum Thema Verkehr: Es gibt die zwei Elektrobusse, es gibt aber auch den Stau: Gibt es Ansätze, um den immer wieder drohenden Verkehrskollaps in Trier zu bekämpfen?

Wir sind eine kleine Großstadt, liegen im Moseltal und haben morgens und abends Stau im Berufsverkehr. Wir haben auch ein Problem, wenn ein Unfall passiert: Dann gibt es keine Umfahrungsmöglichkeiten. Aber im Vergleich zu anderen Großstädten muss man das relativieren. Es ist keine Katastrophe. Aber es stimmt auch, dass die Kfz-Anmeldezahlen steigen. Dem müssen wir entgegenwirken, indem wir einen attraktiven ÖPNV anbieten. Da ist einiges passiert. Wir haben immer mehr Buslinien mit einem viertelstündigen Takt. Nächstes Thema sind die Busspuren: Wir können nicht in ganz Trier welche anlegen, weil es dafür zu eng ist. Aber wir haben überall Beipässe gelegt, um Bussen zu ermöglichen, die Staus zu umfahren. Im Durchschnitt haben unsere Buslinien alle Verspätung. Wenn wir diese nur um zwei Minuten pro Linie reduzieren, können wir zehn Prozent mehr Linienverkehr anbieten – für den gleichen Preis. Es löst unser Problem also nicht, mehr Busse auf die Straße zu bringen, sondern wir müssen die vorhandenen beschleunigen und wirtschaftlicher fahren lassen. So erzielte zusätzliche Erlöse können zum Beispiel in den Straßenbau investiert werden. Derzeit legen wir außerdem einen starken Fokus auf den Radverkehr. Wir müssen aber auch die Fußgänger fördern und die Autofahrer. Denn es ist naiv zu glauben, dass wir ganz ohne Autos auskommen. Dieser Gleichklang ist ganz wichtig.

Wenn man sich einige innovative Projekte des Jahres 2018 anschaut – Energie- und Technikpark, Fahrradstation am Hauptbahnhof oder das Parkleitsystem für Freiluftparkplätze – sind die Stadtwerke immer mit dabei. Woran liegt das?

Die Stadtwerke sind eine 100-prozentige Tochter und Dienstleister der Stadt. Früher hatte ich immer den Eindruck, dass wir enger zusammenarbeiten könnten. Und genau das tun wir jetzt. Nehmen Sie das Beispiel Paulinstraße. Dort wurden neue Leitungsnetze verlegt und erst hinterher kam die Frage nach einer neuen Teerdecke auf. Diese Großprojekte müssen besser koordiniert werden. Dem Bürger ist nämlich egal, ob die SWT oder die Stadt die Straße erneuert hat. Das Ergebnis muss stimmen. Wir haben außerdem bewusst im SWT-Aufsichtsrat beschlossen, dass wir eine Immobiliensparte aufmachen und damit die Geschäftsfelder ausdehnen. Die ersten Ergebnisse haben wir bei der Entwicklung des Energie- und Technikparks gesehen.

Was machen Sie, um die Gewerbesteuereinnahmen zu erhöhen? Was wird getan, um zukunftsträchtige Wirtschaftszweige anzulocken?

Wir wollen innenstadtnah Möglichkeiten für Unternehmen schaffen, um sich anzusiedeln. Dadurch soll ein Alleinstellungsmerkmal generiert werden, denn es gibt nicht viele Gewerbegebiete in der Nähe der Innenstadt. Der zweite Hebel ist, gemeinsam mit Trierweiler- Sirzenich ein interkommunales Gewerbegebiet auf die Beine zu stellen, um dort größere Unternehmen ansiedeln zu können. Der dritte Schwerpunkt sind Start-ups. Die Gründer haben gute Ideen und zu 90 Prozent hier in Trier studiert. Um sie hier zu halten, bedarf es einer Infrastruktur und einer vielfältigen Unterstützung durch die Wirtschaftsförderung, beispielsweise durch den künftigen Digital Hub. Die Ausgaben für Start-ups sind Zukunftsinvestitionen, da diese erst perspektivisch Gewerbesteuern zahlen. Die Alternative wäre jedoch, dass sie nach Hamburg, München oder Berlin gehen. Und jetzt sind wir bei den positiven Dingen: Es gibt hier Start-ups, die Mitentwickler für eine Programmierung in den USA sind. Die großen IT-Unternehmen in Kalifornien haben Subunternehmen in Trier.

Thema Stadtplanung: Der Flächennutzungsplan ist jetzt beschlossen. Trotzdem ist das künftige Wohngebiet Brubacher Hof weiter umstritten. Wie kann mehr Akzeptanz geschaffen werden?

Indem man die Versprechungen, die gemacht wurden, auch einhält. Zum Beispiel durch Verbesserungen der Verkehrsinfrastruktur. Es gibt eine ganze Liste von Dingen, die erforderlich sind, bevor Brubach bedient werden kann. Was ich aus der Debatte gelernt habe ist, dass man sehr viel früher Informationen hätte verteilen müssen. Dieses Projekt hat 25 Jahre Vorlauf. Dadurch entstand der Eindruck, dass es nie realisiert wird. Daher wird die Umsetzung von vielen Bürgern als Überraschung wahrgenommen, obwohl Fachleute seit 25 Jahren dieses Projekt planen. Das hat große Hürden aufgebaut.

Welche anderen großen Planungsprojekte stehen 2019 an?

Die Innenraumverdichtung ist ein großes Thema. Wir verkaufen erstmals ein Grundstück an eine Wohnungsbaugesellschaft, die bezahlbares Wohnen in der Innenstadt realisieren soll. Wir wissen aber natürlich auch, dass Bürgerinnen und Bürger, die in der Nähe wohnen, nicht unbedingt begeistert sind. Manche haben etwa bislang ein freies Grundstück neben ihrem Haus und können einfach dort parken. Wenn es bebaut wird, fällt dieser Vorteil weg. Oder auf einem Trümmergrundstück ist in 70 Jahren ein schöner Baum gewachsen. Wie geht man damit um, dass er gefällt werden muss? Wir setzen uns auch mit solchen Themen auseinander. Ein wichtiges Projekt ist das Burgunderviertel, das die EGP zu zwei Dritteln gekauft hat. Im Moment stellt sie die Pläne für die Bebauung auf, um 2019 ins Genehmigungsverfahren gehen zu können. Dann steht die Jägerkaserne als großes Wohnbauprojekt an und die Seidel-Kaserne als Gewerbestandort. Man kann sagen, wir haben alles gekauft, was zu kaufen war: das frühere Polizeipräsidium als künftige Feuerwache, ein Drittel des Burgunderviertels und die frühere General-von-Seidel-Kaserne. Ich glaube, wir konnten die verfügbaren Grundstücksflächen im öffentlichen Interesse sichern. Positiv ist außerdem, dass es uns trotz dieser Ausgaben gelungen ist, die Haushaltssanierung fortzuführen.

Sie haben im April 2018 das Jahr des Ehrenamts ausgerufen und sich seitdem mit verschiedenen Gruppen getroffen. Wie lautet Ihr Fazit? Wie steht es um das Ehrenamt in Trier?

Es bietet sich ein differenziertes Bild. Die Ehrenamtsagentur mit den Profis, die das freiwillige Engagement unterstützen, ist ganz wichtig. Aber nicht alle Ehrenamtlichen wussten davon. Wir haben es nun geschafft, dass diese Dienstleistung bekannter ist. Meinen persönlichen Aha-Effekt gab es bei einem Treffen von Vereinsvertretern. Einer brauchte für ein Fest ein Zelt als Regenschutz. Aber das war zu teuer. Dann sagte einer ganz hinten im Raum: Brauchen Sie nicht. Wir haben das Zelt vor zehn Jahren gekauft. Das können Sie kostenlos kriegen. Das war ein positives Ergebnis mit einer erheblichen Dynamik: Beide Gruppen werden weiter zusammenarbeiten. Viele Vereine haben weitere praktische Probleme. Sie haben keine Räume, wo sie sich treffen können, und uns wegen einer Unterstützung angesprochen. Ein weiteres großes Thema ist die Datenschutzgrundverordnung. Viele Vereine haben sich deswegen Sorgen gemacht. Jetzt können wir im Februar unter anderem zusammen mit der Ehrenamtsgentur einen großen Workshop zum Steuerrecht, zur Datenschutzgrundverordnung und zur rechtlichen Stellung von Vereinen anbieten. Insgesamt wurde in diesem Schwerpunktjahr der Bedarf definiert. Zusammen mit der Ehrenamtsagentur sind wir für die Vereine da.

Ab April kommt als nächster Jahresschwerpunkt Kinder und Familie. Allein 2019 investiert die Stadt immerhin rund 50 Millionen Euro in die Kindertagesstätten. Welcher Bereich ist Ihnen als Schwerpunkt neben dem Kita-Ausbau besonders wichtig?

Ein Thema sind Spielplätze. Ein Erzieher hat mir gesagt, er brauche für seine Gruppe einen eingezäunten Spielplatz, damit die Kinder nicht weglaufen. Wir sind daraufhin gedanklich die Innenstadtspielplätze durchgegangen: Es gibt keinen, der wirklich geeignet ist. Und da sind wir genau an dem Punkt, wo es gilt, genauer hinzuhören und neben den Großinvestitionen auch zu schauen, wie der Bedarf aussieht. Die Beratungsangebote für Familien sind ein weiteres Thema. Der Bedarf wird immer größer, weil die Welt komplexer geworden ist. In diesem Bereich sind ganz viele Ehrenamtliche aktiv. Wir müssen schauen, was wir dort zusammenführen können. Meine Rolle ist vor allem das Zuhören und bei aktuellen Problemen, eine gemeinsame Klärung auf den Weg zu bringen.

Dem Theater hatten Sie als Ziel 100.000 Zuschauer pro Spielzeit ausgegeben. In der Spielzeit 2017/18 waren es etwa 92.000. Das war eine Steigerung im Vergleich mit der Saison vorher, aber immer noch von der Zielmarke 100.000 entfernt. Wie bewerten Sie die aktuelle Situation?

Es läuft im Theater. Wenn ich sehe, dass sehr viele Vorstellungen ausverkauft sind und allein das Weihnachtsmärchen „Der Zauberer von Oz" rund 20.000 verkaufte Tickets hat, bin ich optimistisch. Schulklassen, die in den letzten Jahren in andere Theater, beispielsweise nach Saarbrücken, gefahren sind, sind alle wieder zurückgekommen. Und das spricht für die Qualität. Ich bin sehr optimistisch, dass wir die Zahl von 100.000 Theaterbesuchern in dieser Spielzeit schaffen. Warum ist diese Marke wichtig? Theater kostet Steuergeld. Zeitweise wurde in Trier eine Karte mit 97 Prozent subventioniert. Das war in Deutschland der höchste Zuschuss pro Ticket. Im Durchschnitt sind es 85 Prozent, also 15 Prozent spielen die Theater ein. Damit wir eine solche, für die einzelnen Häuser faire Quote auch in Trier wieder schaffen, brauchen wir mindestens 100.000 zahlende Zuschauer.

2018 haben Sie wieder immens viele Termine absolviert. Stechen da zwei, drei raus, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind?

Da muss ich echt überlegen. Wenn man von einem Termin zum nächsten unterwegs ist, dann vergisst man manchmal die besonderen Dinge. Das war 2018 tatsächlich der Besuch des niederländischen Königspaars. Aber nicht das spektakuläre Abendessen, sondern der Eintrag ins Goldene Buch. Da haben sich alle mit Königin Máxima unterhalten und ich hatte Zeit, in aller Ruhe mit dem König zu sprechen – über Kindererziehung und über die Niederlande. Er war auch sehr gut informiert über Trier und hat es genossen, im Hintergrund einfach mal mit jemandem zu reden und ich auch.

Nun steht ja mit der Kommunal- und Europawahl am 26. Mai eine zentrale Weichenstellung für die nächsten Jahre an. Befürchten Sie nach den Erfahrungen der letzten Jahre eine weiter sinkende Wahlbeteiligung?

Ich kann es nicht einschätzen. Früher hat man die Europa- mit den Kommunalwahlen kombiniert, weil die Beteiligung auf kommunaler Ebene sehr hoch und bei der Stimmabgabe für das EU-Parlament dagegen oft sehr gering war. Es gibt nun zwei Möglichkeiten. Das Interesse an kommunalen Themen in einer Großstadt ist weiterhin da. Dann kann Europa davon profitieren. Oder die Stimmung für Europa ist im Moment nicht wirklich positiv und das führt dazu, dass viele sagen: Ich gehe nicht zur Wahl und auch die Kommunalwahlbeteiligung wird geringer. Ich kann es nicht einschätzen und nur appellieren: Es ist das demokratische Recht, wählen zu gehen. Bei den Einbürgerungen geht es auch immer wieder darum. Diese Menschen sind jetzt deutsche Staatsbürger und kommen ganz oft aus Ländern, wo es keine Demokratie gibt. Ich richte immer einen Appell an sie: Nutzen Sie die Chancen der Demokratie, gehen Sie wählen! Und das sage ich auch den Triererinnen und Trierern. Denn nur, wer seine Stimme abgegeben hat, kann sich hinterher auch über Entscheidungen der gewählten Gremien beschweren.

Welche Möglichkeiten haben Rat und Verwaltung, einer sinkenden Wahlbeteiligung und der Politikverdrossenheit entgegenzuwirken?

Ganz oft hört man: Kommunalpolitik ist Hinterzimmerpolitik. Aber das stimmt nicht. Jeder kann Stadtrat gucken – vor Ort im Rathaussaal und in der Fernsehübertagung im Offenen Kanal. Jeder kann sich von jedem einzelnen Stadtratsmitglied ein Bild machen. Wir haben Transparenz geschaffen und die Bürgerinnen und Bürger haben die Chance, sich wirklich zu informieren – nicht nur zu den Sachthemen, sondern auch zu den Personen, die im Stadtrat agieren. Ich hoffe sehr, dass die Menschen diese Möglichkeiten wahrnehmen.

Könnte es sein, dass mangels Kandidaten einzelne Positionen nicht besetzt werden können oder es nur einen Bewerber gibt, etwa bei den Ortsvorstehern?

Das korrespondiert mit der Situation im Ehrenamt. Die Kommunalpolitik ist ein ziemlich anstrengendes Ehrenamt mit vielen Terminen. Die Ortsvorsteher entlasten uns in der Verwaltung. Ganz viele Themen erledigen sie vor Ort oder übernehmen die Kommunikation ins Rathaus hinein. Ortsvorsteher haben eine tolle Übersetzerfunktion zwischen den Bürgern und dem Stadtrat. Allerdings sind die Zeiten vorbei, in denen alle Parteien Kandidaten für diese Funktion aufstellen. Ich stelle außerdem fest, dass viele Ortsbeiratspositionen nicht mehr zu besetzen sind, weil es nicht genug Kandidaten gibt.

Zum Schluss des Interviews noch eine persönliche Frage: Was macht Ihnen in Ihrem Job am meisten Spaß?

In letzter Zeit werde ich häufig von Kolleginnen und Kollegen aus anderen Städten auf unsere Verwaltungsreform, auf die Elektrobusse und das City-WLAN oder den Königsbesuch angesprochen. Es wurde immer gesagt, dass diese Stadt viel Potenzial hat und ich glaube, wir nutzen dieses Potenzial jetzt stärker. Das macht mir Spaß. Die Trierer sind zurückhaltend, aber ab und zu sagt jemand zu mir: Es ist gut, dass sie Oberbürgermeister geworden sind, und das tut manchmal auch gut.

Sie stehen kurz vor der Halbzeit Ihrer achtjährigen Amtsperiode. Denken Sie schon mal darüber nach, ob Sie 2022 wieder zur Wahl antreten?

Keinen Tag (lacht).

Das Gespräch führten Michael Schmitz, Petra Lohse, Ralph Kießling, Björn Gutheil und Britta Bauchhenß.