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28.12.2018

Weltgeschichte im Trierer Bahnhof

Ankunft der deutschen Waffenstillstandsdelegation um Matthias Erzberger am Trierer Hauptbahnhof.
Dreimal verhandelten Ende 1918 und Anfang 1919 Vertreter des Deutschen Reichs und der Entente im Hauptbahnhof die Verlängerung des Waffenstillstands, der den Ersten Weltkrieg beendet hatte. Am 16. Februar 1919 kommt die deutsche Delegation unter Leitung von Matthias Erzberger (Mitte) in Trier an. Foto: US National Archives and Records Administration

Mit einer Lesung aus den Briefen des im Ersten Weltkrieg gefallenen Trierer Soldaten Leo Scheuer und einem Vortrag der Saarbrücker Historikerin Professor Gabriele Clemens haben die Stadtbibliothek und der Verein Trierisch am 12. Dezember des Endes des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren gedacht.

Anlass war der Jahrestag der Verhandlungen über die Verlängerung des Waffenstillstands von Compiègne, der am 11. November die Kampfhandlungen des Weltkriegs beendet hatte, aber nur für 30 Tage galt. Deswegen musste dieser Waffenstillstand insgesamt dreimal verlängert werden, bis im Juni 1919 der Friedensvertrag von Versailles unterschrieben wurde. Die Kriegsgegner verhandelten die Verlängerung des Waffenstillstands jeweils in einem Salonzug im Trierer Hauptbahnhof. Die Provinzstadt Trier wurde so im Herbst und Winter 1918/ 19 gleich dreimal zum Schauplatz der großen Weltpolitik.

Die Saarbrücker Geschichtsprofessorin Gabriele Clemens erinnerte in ihrem Vortrag „Der Erste Weltkrieg und die Folgen für die Städte der Quattropole" daran, welche Auswirkungen der Erste Weltkrieg für die Menschen in der Großregion hatte: „Über vier Jahre erbitterte Materialschlachten und Millionen von Toten hatten die Menschen in der Region gegeneinander verbittert." Der Krieg und auch ein nationalistischer Chauvinismus gegenüber den jeweils anderen Mächten hätten für tiefgreifende Ressentiments gegenüber den Nachbarn gesorgt. „Frankreich war für die Deutschen schlicht der Erbfeind." Die großen Mächte seien alle bewusst auf diesen Krieg zugesteuert, motiviert durch imperialistische und chauvinistische Ziele. „Krieg galt als Mittel der Politik und die europäischen Mächte haben in dieser Krise alle zu hoch gepokert", umriss Clemens die Ergebnisse der neueren Forschung. „Trier und Saarbrücken, Luxemburg und Metz waren aufgrund ihrer Grenzlage und als Garnisonsstädte in besonderem Maße von den Auswirkungen der internationalen Politik betroffen", betonte Clemens. Als erstes habe es das neutrale Luxemburg getroffen, das bereits am 2. August besetzt worden sei.

Der Kriegsausbruch sei aber auch für die anderen Städte einschneidend gewesen. So seien in Trier 13 Prozent der männlichen Bevölkerung bis Oktober 1914 als Soldaten eingezogen worden. Sehr schnell wurden sie mit den Schrecken der Front konfrontiert. Die schockartige Erfahrung der Materialschlachten sei brutal in die Psyche der Soldaten eingedrungen.

Der Kriegsausbruch wurde, anders als lange angenommen, nicht überall gefeiert. Zwar meldete der Regierungspräsident Konstantin Baltz nach Berlin, dass es eine „patriotische Begeisterung aller Schichten der Bevölkerung" gebe. „Diese Aussage dürfte aber nur zum Teil den Tatsachen entsprechen", relativierte Clemens. So seien beim Kriegsausbruch 1914 Offiziersfrauen aus Trier geflüchtet und 60 als politisch unzuverlässig geltende Personen verhaftet worden. Lange habe die Forschung auch übersehen, dass Arbeiter und Landwirte eher verhalten auf den Ausbruch des Krieges reagiert hätten.

Zu Hause wuchsen derweil die Belastungen für die Frauen. „Sie mussten die Aufgaben der an der Front stehenden Männer übernehmen", beschrieb Clemens. In der Landwirtschaft und in Fabriken mussten Frauen Schwerstarbeit leisten. Verschlimmert wurde die Lage durch die britische Blockade der Seewege nach Deutschland. Lebensmittel waren daher knapp. Vor allem Kinder litten unter der Mehrbelastung der Mütter, unter Hunger und der Absenkung des Alters für Kinderarbeit auf 14 Jahre. Man könne teilweise von „Verwahrlosung des Nachwuchses" sprechen. Statistiken belegen, dass Kinder nach dem Krieg mehrere Zentimeter kleiner und leichter waren als Gleichaltrige vor dem Krieg.

Als erste Städte wurden die Quattropole-Städte auch Opfer des Luftkriegs. All das führte neben den verheerenden Verlusten dazu, dass die Stimmung in der Region mit zunehmender Kriegsdauer immer kritischer wurde und es zu einer politischen Radikalisierung kam. In Trier bildeten am 9. November 1918 Soldaten und Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei (SPD) einen Arbeiter- und Soldatenrat. Nach dem Waffenstillstand am 11. November übernahm er wie in den anderen Städten der Quattropole kurzfristig die öffentliche Gewalt. In Metz atmeten viele Alteingesessene befreit auf, weil das ihnen verhasste deutsche Kaiserreich nach 47-jähriger Herrschaft in der Stadt nun entmachtet war. Gleichzeitig erfolgte überall der geordnete Abzug der deutschen Truppen.

Ernst Mettlach