Sprungmarken
22.06.2021

Prüfer können früher aktiv werden

Jugendschutzbeauftragte Christine Schmitz
Jugendschutzbeauftragte Christine Schmitz
Bundesweit gilt seit 1. Mai ein geänderte Jugendschutzgesetz, das eine zeitgemäße Regelung im 21. Jahrhundert sicherstellen soll. Die vorher geltenden Vorgaben stammten noch aus der Zeit vor Facebook, Twitter, Instagram und WhatsApp. Im Interview mit der Rathaus Zeitung (RaZ) erläutert die städtische Jugendschutzbeauftragte Christine Schmitz die Änderungen und die Auswirkungen auf ihre Arbeit vor Ort.

RaZ: Warum waren die Änderungen erforderlich?

Christine Schmitz: Das letzte Jugendschutzgesetz wurde 2004 nivelliert. Es war wegen der rasanten Medienentwicklung überhaupt nicht mehr zeitgemäß. Man hat gemerkt, dass hier ein dringender Handlungsbedarf besteht.

Was sind die wichtigsten Ziele?

Im neuen Gesetz wird festgelegt, dass sogenannte „Trägermedien“, also alle Druckerzeugnisse, DVDs, Filme und Computerspiele, aber auch die sogenannten „Telemedien“, also alle elektronischen Informations- und Kommunikationssysteme, darunter Internet, Social Media und Messenger- Dienste, in die Jugendschutzbestimmungen aufgenommen werden müssen. Zudem werden die Anbieter verpflichtet, Kinder und Jugendliche über Voreinstellungen vor Risiken, wie Mobbing, sexueller Belästigung, aber auch vor Kostenfallen zu schützen. Das kann zum Beispiel durch Warnsymbole passieren. Ein zentrales Ziel ist das Recht von Kindern und Jugendlichen auf eine unbeschwerte Teilhabe in sicheren medialen Interaktionsräumen.

Welche zentralen Neuerungen sind damit verbunden?

Das sind technische Einstellungen der kommerziellen Anbieter, die meist im Hintergrund laufen. Die Bundesprüfstelle, die jetzt Bundeszentrale für Jugendschutz heißt, kontrolliert das. Sie hat mit der Gesetzesänderung erweitere Kompetenzen erhalten, weil zusätzliche Prüfungen durch die rasanten Entwicklungen im Internet nötig sind.

Ändert sich auch die konkrete Arbeit der Jugendschützer vor Ort?

Eher indirekt. Die bisherige Bundesprüfstelle ist eine sehr wichtige Einrichtung, wo wir als Jugendämter, aber auch die Polizei Zugang haben, um sogenannte Indizierungsverfahren einzuleiten. Das heißt: Jede Bürgerin und jeder Bürger kann sich an uns wenden, wenn zum Beispiel ein Angebot mit rechten Parolen auffällt. Dann können wir solche Fälle an die Prüfstelle weiterleiten. Jetzt hat sie mit dem neuen Namen auch mehr Aufgaben. Man strebt verstärkt den Austausch mit anderen europäischen Ländern an, versucht aber auch, Prüfungen und Kontrollen über die deutschen Grenzen hinaus durchführen zu können. Ich könnte beispielsweise Luxemburger Titel, die mir verdächtig vorkommen, dort melden. Die Prüfer haben auch einen rechtlichen Zugang ins Ausland.

Ist das nach Ihrer Einschätzung ein ähnlicher Trend wie bei der EU-Datenschutzgrundverordnung?

Ja, die Globalisierung macht sich auch an dieser Stelle deutlich bemerkbar und mit der Gesetzesänderung wurde jetzt darauf reagiert.

Wie wirkt sich die Reform auf Ihre Arbeit als Jugendschutzbeauftragte und die Projekte vor Ort in der Region aus?

Wir haben schon seit vielen Jahren eine Kooperation mit der Suchtberatungsstelle „Die Tür“, die als einzige derartige Einrichtung in Rheinland- Pfalz auch ein Bildungsprogramm für Eltern und Kinder anbietet. Dabei geht es nicht zuletzt darum, die Erziehungskompetenzen der Eltern zu stärken, damit sie Suchtgefahren in der Mediennutzung erkennen. Dieses Angebot muss jetzt auch aktualisiert werden. Nach der Gesetzesänderung müssen wir unsere Info-Arbeit verstärken und noch mehr dafür werben, dass man sich bei Problemen in der Mediennutzung an uns wenden kann.

Welche konkreten Kontrollmöglichkeiten gibt es bei den Alterskennzeichnungen?

Alle Medien, also auch die Messenger-Dienste, müssen die konkreten Altersbeschränkungen beachten. Diese wurden vereinheitlicht und damit vereinfacht, um Eltern und Fachkräften die Orientierung zu erleichtern. Vorher war das manchmal eher eine Grauzone. Hier gibt es jetzt eine einheitliche Definition der Regeln, die Anbieter werden deutlich stärker in die Verantwortung genommen. Früher lief die Alterseinstufung freiwillig über die FSK, jetzt gibt es klare gesetzliche Vorgaben. Diese gelten unabhängig davon, ob die Angebote gestreamt oder über die Ladentheke verkauft werden. Wir wollen bei unseren regelmäßigen Testkäufen diesen Vertriebsweg verstärkt mit ins Blickfeld rücken und zum Beispiel prüfen, ob die Altersangaben stimmen. Es gab auch schon mal den Fall, dass eine CD für Kinder in einem Elektronikmarkt neben Softpornos lag.

Welche weiteren Neuerungen der Gesetzesänderung sind außerdem wichtig?

Da möchte ich den Schutz vor sogenannten „Interaktionsrisiken“ nennen. So gibt es bei vielen Games Kostenfallen oder die Gefahr einer psychischen Abhängigkeit. Die Anbieter werden jetzt verpflichtet, Vorkehrungen zu treffen, um Kinder vor exzessivem Gebrauch zu schützen. Das kann zum Beispiel eine Zeitsperre sein.

Was erhoffen Sie sich persönlich mit ihrer langjährigen Erfahrung als Jugendschutzbeauftragte von diesen Neuerungen?

Ich begleite das gesamte Thema schon seit mehr als einem Jahrzehnt. Viele psychische Erkrankungen oder Entwicklungsstörungen bei Kindern und Jugendlichen, aber auch Verschuldung oder sogar Straftaten entstehen dadurch, dass sie sich ungeschützt im Netz bewegen können. Oft wissen sie es gar nicht besser und vielen Eltern mangelt es an Medienkompetenz. Wenn da der Gesetzgeber gemeinsam mit den Anbietern von vorneherein eine Regelung trifft, werden viele Probleme, wie etwa auch sexuelle Übergriffe im Netz, erst gar nicht entstehen. Wenn es schreckliche Fälle von explizitem Missbrauch mit Bildern von Opfern im Netz gibt, wie etwa bei den jüngsten Fällen in Nordrhein-Westfalen, ist natürlich in erster Linie die Polizei gefragt. Unser Konzept im Trierer Haus des Jugendrechts mit der engen Kooperation von Jugendschutz und Polizei hat sich auch an dieser Stelle bewährt.

Das Gespräch führte Petra Lohse