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04.05.2021

Live dabei im Rathaussaal

OK 54-Leiter Sebastian Lindemans am Regiepult  bei einer der ersten Live-Übertragungen des Stadtrats im März 2017
OK 54-Leiter Sebastian Lindemans (vorne) bei einer der ersten Live-Übertragungen des Stadtrats im März 2017. Mittlerweile verfolgen jeweils über 1200 Menschen die Sitzungen online – hinzu kommen die Zuschauer vor den Fernsehern.

Die Übertragung der Stadtratssitzung vergangene Woche ins regionale Fernsehen und ins Internet war die fünfzigste seit es damit Anfang 2017 losging. Das Projekt war in Rheinland-Pfalz eine Pionierleistung und hat über die Grenzen des Landes hinaus viel mediale Aufmerksamkeit erregt und ist eine Blaupause für andere Städte und Kommunen.

Rund elf Tage müsste man ohne Unterbrechung fernsehen, wollte man alle 50 Liveübertragungen seit Jahresbeginn 2017 noch einmal verfolgen. Zum Vergleich: Alle Staffeln der Serie „Game of Thrones" erfordern „lediglich" zweieinhalb Tage Lebenszeit. Inhaltlich sind die Schnittmengen glücklicherweise eher gering, obgleich es natürlich auch im Stadtrat hin und wieder besonders spannende Abende gegeben hat. Da ging es beispielsweise um das geplante Baugebiet am Brubacher Hof, die Annahme einer Karl-Marx-Statue aus China oder das erste Einwohnerbegehren rund um die „Blaue Lagune". Bei diesen Themen fieberten tausende Bürgerinnen und Bürger vor den Bildschirmen und mobilen Endgeräten mit und die Stadtpolitik war an diesem Abend sicherlich Quotensieger im Vergleich zu parallel laufenden Krimis.

Den ersten Aufschlag für eine Stadtratsübertragung machten seinerzeit der inzwischen verstorbene OK 54- Leiter Otto Scholer und das Ratsmitglied Thomas Albrecht. Damals scheiterte das Projekt an den rechtlichen Rahmenbedingungen: Ein einzelnes Ratsmitglied hätte jede Übertragung verhindern können. Doch 2016 kam Bewegung in die Sache, als das Landestransparenzgesetz die Grundlage dafür schuf, dass die Übertragungen mit einer Zweidrittel-Mehrheit in der Hauptsatzung verankert werden können.

Der damals neue Oberbürgermeister Wolfram Leibe erkannte die Gelegenheit und machte das Projekt umgehend zur Chefsache. Noch Ende 2016 gab es eine Aufzeichnung als Pilotprojekt und am 2. Februar 2017 ging der Stadtrat erstmals live auf Sendung.

„Wer schaut sich das denn an?" und „Da fehlt ja die journalistische Einordnung – das verstehen die Leute doch gar nicht", waren seinerzeit typische Wortmeldungen. Doch von der ersten Übertragung an kam alles anders. Sebastian Lindemans, seit Anfang 2016 OK 54-Leiter, erläutert: „Mehr als 1200 Menschen verfolgen die Sitzungen im Schnitt online – dazu kommen die vielen Zuschauerinnen und Zuschauer an den Fernsehgeräten, deren Quote technisch nicht erfasst werden kann." Und weiter: „Die Kritiker sind quasi von heute auf morgen verstummt und die Wahrnehmung der Arbeit des Rats hat sich in der Öffentlichkeit auch gewandelt." Legendär ist vor allem eine Sitzung des Rates von 2019, die von 17 bis 2 Uhr in der Nacht dauerte. Mehrere Zuschauer bekundeten in der Folge, dass ihnen nicht bewusst gewesen sei, wieviel Arbeit dort ehrenamtlich geleistet wird. „Dieser Faktor ist heute viel sichtbarer für die Bürgerinnen und Bürger", glaubt auch Lindemans.

Ehrenamtliches Engagement

Möglich war und ist dies nur durch die enge Kooperation mit dem Offenen Kanal vor Ort, denn durch das ehrenamtliche Engagement war für die Stadt nur die einmalige Investition in drei fest installierte fernsteuerbare Kameras im Rathaussaal nötig. Die Technik kommt in den letzten Corona- Monaten auch für die Videokonferenz-Sitzungen, Bürgersprechstunden und kurzfristige Pressekonferenzen zum Einsatz. 20.000 Euro hatte die Stadt 2017 investiert: „Seinerzeit ist Trier damit sehr innovativ vorangegangen. Derzeit sind die Kameras aufgrund der enormen Nachfrage quasi nicht mehr lieferbar", erläutert Lindemans. Bewährt hat sich die festinstallierte Technik auch in den Stunden nach der schrecklichen Amokfahrt vom 1. Dezember 2020. Live aus dem Rathaussaal wurde eine Pressekonferenz gesendet, die zehntausende Menschen mitverfolgten.

Dr. Marc Jan Eumann, Direktor der Medienanstalt Rheinland-Pfalz, die die Offenen Kanäle im Land technisch ausstattet und hauptamtlich unterstützt, erläutert: „Mit 20 Offenen Kanälen haben wir in Rheinland-Pfalz auf neun Sendeplattformen eine bundesweit einmalige Struktur." Gerade in der Coronakrise zeige sich die Bedeutung dieser ehrenamtlichen Struktur als wichtige lokale Ergänzung. Das Stadtratsfernsehen in Trier war laut Eumann „eine echte Initialzündung" für viele Kommunen – nicht nur in Rheinland-Pfalz."

Große Eklats und Peinlichkeiten indes blieben in den 50 Livesendungen der Stadtratssitzungen übrigens aus. Die Kameraführung ist für die Ratsmitglieder transparent. Bedenken und Sorgen waren also rasch vergessen. Was bleibt, sind viel Transparenz und ein ungebrochen großes Interesse der Bürgerinnen und Bürger an ungefilterter kommunalpolitischer Arbeit.