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03.12.2024

Pioniere der Welterkundung

Eine alte Landkarte zeigt Teile von Nordamerika und de Küste des Golfs von Mexiko
Diese Ansicht aus dem italienischen Reiseführer zeigt ein Territorium, das Frankreich zwischen 1534 und 1763 in Nordamerika in Besitz nahm. Abbildung: Wissenschaftliche Bibliothek/Anja Runkel

Laut Börsenblatt des Deutschen Buchhandels zählten Bücher 2023 zu den beliebtesten Weihnachtsgeschenken. An erster Stelle standen Romane, dahinter Sach- und Kinderbücher, auf Platz vier Reiseliteratur. Seit Jahrhunderten sind Reisebeschreibungen sehr beliebt. Die Wissenschaftliche Bibliothek stellt ein Pionierwerk dieses Genres als Objekt des Monats Dezember vor: „Navigationi et Viaggi“ von Giovanni Battista Ramusio.

Die ältesten Reiseberichte sind in der Antike entstanden. Im Mittelalter gab es unter anderem Wegführer und Ortsbeschreibungen für Pilgerreisende. Die Epoche der transatlantischen Reisen löste eine große Nachfrage nach Reiseberichten aus. Die steigende Zahl der ausführlichen Beschreibungen war dank eines neuen Schriftträgers überhaupt erst möglich. 

Die ersten Papiermühlen in Europa entstanden im 13. Jahrhundert und die Zugänglichkeit des Papiers wirkte, neben der Erfindung des Buchdrucks, als Kulturkatalysator. Kunst und Wissen fanden damit leichter Ausdruck: Künstler konnte neue Wege gehen und unzählige Seiten mit Zeichnungen und Gedanken befüllen. 

Doch auch in anderer Hinsicht konnte Wissen gesichert werden: Die Kaufleute in Florenz, Venedig und Genua benutzten nun mehrere Registerbücher parallel und entwickelten die innovative Methode der doppelten Buchführung. Schließlich verfügten auch Reisende über ausreichend Schreibfläche, um Beobachtungen schriftlich festzuhalten und Schlussfolgerungen zu ziehen. 

Als Beispiel kann das berühmte Tagebuch des britischen Naturforschers Charles Darwin über seine Schiffstour mit der HMS Beagle angeführt werden. Es zählt zu den wichtigsten Reisebüchern der Weltliteratur. 300 Jahre vor Darwin hatte ein Beamter in Diensten der Venezianischen Republik eine ähnliche Idee: Giovanni Battista Ramusio (1485–1557). Der italienische Geograph war einer der ersten, der das steigende Interesse an Reiseliteratur erkannte. Er wurde zwar nicht so bekannt wie der britische Naturforscher, leistete aber wichtige Pionierarbeit, indem er leidenschaftlich Reiseberichte sammelte. 

Als Sekretär des Rates der Zehn, des zentralen politischen Gremiums in Venedig, hatte er Zugang zu mündlichen und schriftlichen Zeugnissen der Seefahrt, die damals als vertrauliche Informationen noch streng geschützt wurden. Ramusio setzte sich dafür ein, die neuen Erkenntnisse für ein breites Publikum bereitzustellen.

Zu Beginn des 16. Jahrhunderts war Venedig ein führendes Buchdruckzentrum in Europa mit über 100 Druckern und Verlegern. Der bedeutendste war Aldus Manutius (1449–1515). 1505 befand sich seine Druckerei auf dem Höhepunkt ihrer Produktivität. Immer, wenn seine Verpflichtungen als Sekretär es ihm erlaubten, verbrachte der junge Ramusio Zeit in den Arbeitsräumen von Aldus. Zu seinen Aufgaben gehörte unter anderem die Redaktion der Manuskripte und das Aufspüren unveröffentlichter Texte der Antike.

Viereinhalb Dekaden später brachte Ramusio dann sein eigenes Projekt zu Ende: eine Veröffentlichung jahrzehntelang gesammelter Reiseberichte. Das monumentale Werk „Navigationi et Viaggi“ („Schifffahrten und Reisen“) in drei Bänden war mit über 50 Reisetexten und geografischen Abhandlungen eine wahre Fundgrube. Sein Ziel war, eine solide und zuverlässige Grundlage zur Erarbeitung geografischen Wissens zu schaffen. Die Berichte bearbeitete er lediglich redaktionell und übersetzte sie ins Italienische, um sie in der Volkssprache seiner Zeitgenossen benutzerfreundlicher zu machen.

„Navigationi et Viaggi“ erschien in der Druckerei von Tommaso Giunti, ab 1550. Die Entstehungsgeschichte der drei Bände war mit Rückschlägen verbunden. Ramusio starb am 10. Juli 1557, als der zweite Band noch nicht fertig war. Wenige Wochen später brannte die Druckerei ab, wobei etliche Manuskripte verlorengingen.

Tommaso Giunti entschied sich trotzdem für eine Drucklegung des zweiten Bandes und erläuterte, warum das Werk nicht so „voll und reich“ war wie das vorherige.  Er erklärte auch, warum diesmal der Name des Herausgebers bekannt war. Aus Bescheidenheit hatte Ramusio dem Drucker beim ersten Band verboten, seinen Namen zu nennen. Nach dessen Tod wollte Giunti dies ändern. „Jetzt werde ich alles tun, was ich kann, um zu seinem Ruhm beizutragen. Also darf ich seinen Namen nicht länger verschweigen“, schrieb Giunti im Vorwort. 

Magdalena Palica