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27.06.2017

Musik zeichnet die Psyche nach

Christopher Ryan (Dr Jekyll)
Christopher Ryan ist in der Inszenierung von Malte C. Lachmann in der Rolle des Dr. Jekyll zu sehen. Foto: ArtEO
Malte C. Lachmann inszeniert das Rockmusical „Jekyll and Hyde Resurrection“, das derzeit im Trierer Theater zu sehen ist. Im Interview mit Theater-Sprecher Dominik Huß spricht der Regisseur über ein Werk, das den Fokus auf die Extreme menschlicher Emotionen rückt.

Huß: Im Roman „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ verwandelt sich der Arzt und Wissenschaftler Dr. Jekyll in sein böses Äquivalent Mr. Hyde. Geht es auch in „Jekyll and Hyde Resurrection“ um den Gegensatz von Gut und Böse?

Lachmann: Im Roman sind Dr. Jekyll & Mr. Hyde zwei unterschiedliche Wesen. Bei der Verwandlung von Jekyll in sein böses Pendant findet auch eine physiologische Veränderung statt. In unserer Bearbeitung geht es dagegen mehr um ein psychologisches, innerliches Phänomen. Durch die Einnahme einer Substanz tritt bei Dr. Jekyll das Enthemmte, Triebgesteuerte in den Vordergrund.

Oft wird der Gegensatz von Dr. Jekyll und Mr. Hyde benutzt, um das Krankheitsbild der Schizophrenie zu erklären. Wie verhält es sich damit wirklich?

Wenn man über Schizophrenie nachdenkt, denkt man zuerst an das seltene Phänomen der gespaltenen Persönlichkeit. Dabei handelt es sich aber genaugenommen um eine dissoziative Identitätsstörung. In der medizinischen Realität umfasst Schizophrenie jedoch ein breites Spektrum an Symptomen, an denen ein Mensch leiden kann. Ich habe während meiner Recherchearbeit für das Stück Interviews mit Menschen aus unserem heutigen Alltag geführt. Diese Interviews dienten uns als Ausgangspunkt für die Erarbeitung der drei Figuren, die schlussendlich auf der Bühne agieren. Eines der Interviews führte ich mit einer Frau, die an einer schizo-affektiven Störung leidet. Symptome ihrer Erkrankung waren unter anderem, dass sie Stimmen hörte, an Angstzuständen litt oder Dinge tat, ohne sich im Anschluss daran zu erinnern.

Trotzdem bieten die Figuren für die Besucher ein hohes Maß an Identifikation.

In Maßen kennt jeder Mensch diese Zustände, an denen die Figuren leiden, ob nun hervorgerufen durch emotionale Ausnahmezustände oder Drogenrausch. Jeder hat in Extremsituationen Dinge gesagt oder getan, die er im Nachhinein bereut. Die Inszenierung ist dementsprechend so angelegt, dass dem Publikum eine Brücke zur Identifikation mit den Figuren gebaut wird.

Das klingt erstmal nach einem anspruchsvollen Theaterabend.

Mein Anspruch ist es, bei Musicals genauso ernsthaft zu arbeiten wie beim Sprechtheater oder der Oper. Musicals haftet der unbegründete Ruf an, holzschnittartig zu sein, was weder inhaltlich noch musikalisch zutrifft. In der Musical-Literatur ist es deshalb genauso legitim, neu zu interpretieren, was komponiert und geschrieben wurde.

Dem Titel ist das Wort „Resurrection“ (zu deutsch: Auferstehung) hinzugefügt worden. Inwiefern unterscheidet sich die Trierer Fassung vom Original?

Unsere Inszenierung wird von den drei Figuren getragen – anders als noch im Original, das mit viel Personal und großer Orchestrierung aufwartet. Dieses Originalmusical von 1990 wurde 2006 vom Komponisten Frank Wildhorn als Rockstück neu vertont, reduziert auf drei Sängerinnen und Sänger. Auch fehlen auf der CD die Dialoge zwischen den Figuren. Ich habe durch Hinzufügen von epischem Erzähltext und Interviews daraus eine Bühnenfassung kreiert. Unser musikalischer Leiter Dean Wilmington hat parallel dazu ein neues, sehr rockiges und manchmal funkiges Arrangement geschaffen.

Inwiefern trägt die Musik zum Gelingen eines Abends bei, der sich mit extremen Gefühlszuständen beschäftigt?

Stilistisch und vom Arrangement her zeichnet die Musik durch krasse Gegensätze extrem gut die menschliche Psyche nach. Außerdem bietet sie auf einer emotionalen Ebene einen ganz anderen Zugang zu dem Thema als eine intellektuelle Auseinandersetzung. Und ich bin davon überzeugt, dass Musik eine gewisse Angst vor der Beschäftigung mit komplexen Sachverhalten abbaut.

Die Fragen stellte Dominik Huß