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09.04.2024

Eine Zeit großer Umbrüche

Aufnahme eines handschriftlichen Briefs von Immanuel Kant.
Der Brief Immanuel Kants an Friedrich Nicolovius stammt aus dem Jahr 1798. Foto: Wissenschaftliche Stadtbibliothek

In der RaZ-Reihe zum „Objekt des Monats“ präsentiert die Wissenschaftliche Bibliothek zum 300. Geburtstag des berühmten Philosophen Immanuel Kant im April einen seiner Briefe – auch im Vorgriff auf ein Ausstellungsprojekt in der zweiten Monatshälfte.

Historische Briefe sind wie Zeitkapseln. In ihnen sind einzelne Momente aus der Lebenswelt von Personen für die Nachwelt eingefroren. So auch jener Moment im Mai 1798, an dem sich der 74-jährige Immanuel Kant an seinen Schreibtisch setzte, um seinem späten Verleger, Matthias Friedrich Nicolovius (1768-1836), zu schreiben.

Der heutige Leser erhascht durch diesen Brief – der ab 23. April im Rahmen der Ausstellung „Vernunft jetzt! Kant 300“ in der Wissenschaftlichen Bibliothek an der Weberbach zu sehen ist – einen beinahe zeitlosen Blick hinter die Kulissen des Verlagswesens und auf die Arbeitsweise Kants. Schließlich könnten einige seiner Anmerkungen auch Reaktionen eines heutigen Autors auf den Erhalt von ersten Druckfahnen sein. Die Schriften Kants erscheinen dadurch weniger als zeitlose Monumente, sondern vielmehr als etwas menschlich Gemachtes.

Primär geht es in dem Brief (Abbildung unten: Wissenschaftliche Bibliothek) nämlich um kleinere Korrekturen und Änderungswünsche in einer der letzten Publikationen, die Kant herausgegeben hat, der Schrift „Streit der Fakultäten“, die bis heute zu seinen weniger rezipierten Werken zählt. Sie basiert auf einer Reihe von Vorlesungen für die breite Öffentlichkeit. Zu dem Zeitpunkt, zu dem er mit Nicolovius über die Drucklegung dieser Schrift korrespondiert, hatte er schon die gravierenden philosophischen Umbrüche bewirkt, für die wir ihn noch heute kennen. Er war bereits bekannt als der „alles Zermalmende“ , wie ihn der Philosophenkollege Moses Mendelssohn 1785 nannte. 

Mit seiner kritischen Philosophie schon im Gepäck, geht er im Streit der Fakultäten das Verhältnis der Philosophie zu anderen Wissenschaften an, und zwar zur Theologie, den Rechtswissenschaften und der Medizin. Ein Thema, das auch heute in Zeiten der Interdisziplinarität und Vernetzung, nichts an Relevanz verloren hat. Hierbei geht es Kant nicht zuletzt um die Frage, wie das Problem gelöst werden kann, welche Wissenschaft eine Deutungshoheit über Sachfragen beanspruchen kann. Auch die Thesen, die auf tiefreichenden Grundlagen seines philosophischen Schaffens beruhen, sind nach wie vor brisant: So spricht Kant von der Notwendigkeit einer stets revisionsoffenen, unabhängigen Bewertung tradierten Wissens und davon, dass niemals blind geglaubt werden dürfe. Es geht auch um eine Hoffnung für die Menschheit als Ganzes, auch in finsteren Zeiten. Wer mehr darüber erfahren will, wie sich derartige Vorstellungen bei einem der großen Denker des 18. Jahrhunderts entwickelt haben, wer die Vorgänger waren und wie seine Gedanken aufgenommen wurden, kann darüber einiges in der von der Kant-Forschungsstelle der Universität Trier in Kooperation mit der Wissenschaftlichen Bibliothek organisierten Ausstellung zum 300. Jubiläumsjahr erfahren.

Die Vernissage der Ausstellung beginnt am Dienstag, 23. April, 17 Uhr, Vortragssaal der Bibibliothek. Interessierte sollten sich vorher anmelden: anmeldungenweba@trier.de