Sprungmarken
09.01.2024

Doppeltes Comeback

Das Deckblatt des Buchs "Zeit der Stille" von Florian Illies zeigt auf einem Gemälde eine Frau und einen Mann in Kleidung des 19. Jahrhunderts in vertraulichem Gespräch auf einem Segelschiff

2024 stehen diverse Jubiläen an: Der Geburtstag von Immanuel Kant jährt sich zum 300., der Todestag von Franz Kafka zum 100. Mal. Nimmt man die Sonderausstellungen als Maßstab, welcher Stern am Kultur- Firmament am hellsten leuchtet, besteht kein Zweifel: Berlin, Dresden, Greifswald, Hamburg oder Weimar ehren den Maler Caspar David Friedrich zum 250. Die Bibliothek präsentiert daher das Buch „Zauber der Stille – Caspar David Friedrich“ von Florian Illies als „Objekt des Monats“.

Der Autor und Kunsthistoriker schafft es in seinem neuen biographischen Bestseller erneut, eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu schlagen, über die man sich mühelos in die Zeit von Caspar David Friedrich hineinversetzen kann. Die alten Bekannten der letzten Bestseller von Illies, wie Walter Gropius oder Rainer Maria Rilke, die die Landschaften des Malers zu schätzten wussten, begleiten bei diesem Spaziergang. 

Besonders interessant sind das künstlerische Nachleben und die Rezeption von Friedrich: Ob ein Maler anerkannt und erfolgreich ist und bleibt, hat etwas mit Glück zu tun, Gleichgesinnte zu finden und im Optimalfall einen Mäzen. Bei dem in Greifswald geborenen Maler muss man aber eher von Unglück sprechen: Seine Werke wurden von Mitgliedern des preußischen Königshauses gekauft und bewundert oder an den russischen Zarenhof verkauft. Trotzdem starb Friedrich 1840 verarmt in Dresden. „Um 1901 ist der Künstler in Deutschland komplett vergessen“, schreibt Illies, „in fast keinem öffentlichen Museum hängt ein Bild von ihm und auch in seiner pommerschen Familie gilt er nur noch als der skurrile malende Vorfahr, der einst aus der Hansestadt nach Sachsen geflüchtet ist, weil er zu tollpatschig zum Seifensiedern und Kerzenziehen war.“

Es war der norwegische Kunsthistoriker Andreas Aubert, der den Künstler der deutschen Frühromantik entdeckte und die Bedeutung seines Oeuvres vor Augen führte. In der Zeitschrift „Kunst und Künstler“ veröffentlichte er 1906 einen Artikel. Im gleichen Jahr waren die Werke des wiederentdeckten Friedrich in der Jahrhundertausstellung deutscher Kunst in Berlin zu sehen. 1915 publiziert Aubert die erste Monografie über den Greifswalder Maler und das Blatt wendete sich. Zum 200. Geburtstag des inzwischen sehr berühmten Malers zeigten Museen in Hamburg, Dresden und Leipzig Ausstellungen. Die erste Schau in  den USA fand im darauffolgenden Jahr statt und belegte das steigende weltweite Interesse.

Illies zeigt auch meisterhaft, dass der Weg zur Anerkennung nicht problemlos war. Im Nationalsozialismus wurde Friedrich als „blond, charakterfest und kämpferisch“ gefeiert. In Wirklichkeit war er rothaarig, depressiv und lebte eher zurückgezogen. Die teilweise durchaus zutreffende propagandistische Vereinnahmung des Malers, der die vermeintliche Essenz der deutschen Landschaft gemalt habe, hatte dann nach 1945 Konsequenzen: Der größte Maler der Romantik wurde nicht mehr so gern ausgestellt. 1947 erlebte Friedrich dann sein zweites Comeback in Deutschland: Mehrere Hundert Menschen besuchten die Ausstellungen in beiden Staaten und auf beiden Seiten der Mauer wurden dazu Briefmarken gedruckt.

Der Kunsthistoriker Florian Illies, bekannt dafür, sich in seinen Büchern mit einzelnen Jahren des Kulturlebens zu beschäftigen, zum Beispiel 1913 in „Der Sommer des Jahrhunderts“, hat sich in seinem neuen Bestseller (Abbildung links: Wissenschaftliche Bibliothek) gegen eine chronologische Reihenfolge entschieden. Stattdessen ordnet er das Leben, die Werke und das Nachleben von Caspar David Friedrich den vier Elementen zu. 

Seine Erzählung mäandert so durch Raum und Zeit, die Kunst und die Person des Malers kommen dem Lesenden sehr nahe. Der Autor hat das Buch an den Orten geschrieben, wo Caspar David Friedrich die meiste Zeit verbracht hat. Nach dieser Lektüre bleibt nur, einen Besuch einer oder mehrerer Ausstellungen zu empfehlen, um den Maler auch in einer persönlichen Begegnung zu erleben.

Dr. Magdalena Palica