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15.02.2022

Odyssee nach 100 Jahren nicht zu Ende

Grafik: James Joyce, Ulysses
Mit diesem Motiv wirbt die Bibliothek auch im Internet (www.stadtbibliothek-weberbach.de) für das „Buch des Monats“. Im Hintergrund zu sehen ist unter anderem die Biblioteca General Antonio Machado de la Universidad de Sevilla. Abbildung flickr.com/Anja Runkel

Als „Buch des Monats" präsentiert die Wissenschaftliche Bibliothek das Roman-Meisterwerk „Ulysses" von James Joyce, das vor 100 Jahren erstmals publiziert wurde: „Joyce‘ Geburtstag, der zweite Februar, kam näher und ich wusste, sein Herz hing daran, das Erscheinen am gleichen Tag zu feiern" schrieb die Buchhändlerin und Verlegerin Sylvia Beach. Am 2. Februar 1922, dem 40. Geburtstag des Autors, erhielt sie an einem Pariser Bahnhof zwei erste Exemplare. Sie ahnte vermutlich, dass sie eines der wichtigsten literarischen Werke der Moderne in den Händen hielt.

Es waren mehrere bemerkenswerte Frauen, die sich für das Meisterwerk eingesetzt und es ermöglicht hatten, erste Kapitel zu lesen. Vier Jahre vor dem runden Geburtstag von Joyce hatte die amerikanische Herausgeberin und Publizistin Margaret C. Anderson erste Teile in ihrer avantgardistischen Zeitschrift „Little Review" gedruckt. Diese wurden mehrfach vom United States Postal Service konfisziert und verbrannt sowie die Verlegerin wegen der Obszönität des Werks zu 100 Dollar Strafe verurteilt. In England bemühte sich Redakteurin und Feministin Harriet Shaw Weaver, die Werke des irischen Autors bekannt zu machen: 1919 veröffentlichte sie fünf Fortsetzungen von „Ein Porträt des Künstlers als junger Mann" in der von ihr finanzierten Zeitschrift „Egoist", fand aber keinen Drucker, der für das Buch eine Strafe riskieren wollte.

Joyce beschreibt in „Ulysses" einen Tag, den 16. Juni 1904, im Leben von Leopold Bloom, Anzeigenakquisiteur bei einer Dubliner Tageszeitung. In Anlehnung an Homers Irrfahrten des Odysseus lässt er den Leser an Blooms (Irr-)Gängen teilhaben. Er schildert Gedanken seiner Protagonisten mit allen Assoziationen, Erinnerungsfetzen und Vorstellungen. Diese Elemente eines bruchstückhaft Bewusstseinsstroms sind erstmals zentrales Gestaltungselement eines Romans.

Die Veröffentlichung des umstrittenen Romans in den USA war sogar unmöglich. Dieser Aufgabe hat sich dann Sylvia Beach in Paris gestellt. Als sie vor 100 Jahren auf die beiden ersten „Ulysses"-Ausgaben wartete, war sie dort sehr bekannt: 1916 hatte sie „Shakespeare und Company" eröffnet, einen Buchladen mit Leihbücherei, die viele bekannte Schriftsteller besuchten. In Beach hatte Joyce die treueste Begleiterin und Verlegerin gefunden, die er sich vorstellen konnte. Sie beschrieb später sehr nüchtern den Umgang mit dem damals schon berühmten Schriftsteller, der ein Genie der Literatur war, als Kooperationspartner aber nicht leicht zu ertragen. Der Vorwurf, „Ulysses" sei zu obszön und skandalös, der eine Veröffentlichung in den USA und England verhindert hatte, war auch in Paris Thema, wenn auch kein Hindernis. Beach schrieb ironisch: „Mr. Joyce hatte auch seine eigenen Ansichten darüber, was in Gegenwart von Damen erörtert werden durfte. Und doch hatte Joyce keine Bedenken, seinen Ulysses Damen in die Hand zu geben oder ihn von Damen veröffentlichen zu lassen."

Die Fertigstellung war nach der Erinnerung von Beach langwierig: „Die Setzer befolgten meine Anordnungen, Joyce mit so viel Fahnen zu versorgen, als er brauchte, und er war unersättlich. (…) Joyce sagte mir, ein Drittel des Ulysses habe er auf die Fahnen geschrieben". Der Drucker hatte vor den sehr hohen Kosten gewarnt. Beach selbstkritisch: „Aber nein, ich wollte davon nichts hören. Ulysses sollte in jeder Hinsicht genauso werden, wie Joyce es wünschte. Ich würde ,wirklichen‘ Verlegern nicht raten, meinem Beispiel zu folgen, und Autoren nicht raten, es Joyce gleichzutun. Es wäre der Tod des Verlagswesens. In meinem Fall lag die Sache anders. Es kam mir natürlich vor, daß meine Bemühungen und Opfer im Verhältnis zur Größe des Werkes standen, die ich herausgab."

Streit um die Übersetzung

Auch manche „Ulysses"-Übersetzungen gleichen einer Odysse: Die erste deutsche Fassung von 1927 von Georg Goyert wurde 1975 durch die epochale Fassung von Hans Wollschläger ersetzt. 2007 willigte er kurz vor seinem Tod ein, dass Fachleute seine Version überarbeiten. Seine Erben protestierten, mit Verweis auf das Urheberrecht, obwohl die Gruppe schon zehn Jahren Arbeit investiert und mehr als 5000 Änderungen eingearbeitet hatte. Die Veröffentlichung stand kurz bevor. In der alten Version erschien dann am 17. Januar die Jubiläumsausgabe im Suhrkamp-Verlag. Man kann zwischen mehreren Coverfarben wählen: von Gold, über Rot und Türkis bis zu Dunkelblau. Zum 100. Jahrestags der Erstveröffentlichung wurde der deutsche „Ulysses" zwar nicht gerettet, erhielt aber neue Kleider. Daher sollte auch an Sylvia Beach erinnert werden, ohne die dieses große literarische Jubiläum nicht möglich gewesen wäre.

Magdalena Palica