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Genialer Kopf mit großer Seele

Prof. Gunther Franz: Grußwort für die Friedrich-Spee-Gesellschaft anlässlich der Gedenkveranstaltung für die Opfer des Hexenwahns am 30. April 2014

Die Hexenverfolgung vor mehr als 400 Jahren im Erzbistum Trier, zu dem neben dem Kurfürstentum auch Teile des Herzogtums Luxemburg und kleinere Territorien gehörten, fand ein großes publizistisches Echo im ganzen Reich. Die Schrift des Trierer Weihbischofs Binsfeld gegen die Hexen von  1589 wurde als neuer „Hexenhammer“ benutzt. Da ist es für uns als Nachgeborene ein gewisser Trost, dass in Trier und Luxemburg auch einzelne prominente Gegner der blutigen Prozesse und des Aberglaubens gewirkt haben, die im Namen der Barmherzigkeit Gottes und der Vernunft ihre Stimme erhoben. Antonius Hovaeus, Abt der Benediktinerabtei Echternach, hat bereits 1563 das Buch des Arztes Weyer gegen die Hexenprozesse begeistert begrüßt. Der Theologieprofessor Cornelius Loos hat 1592 in Trier eine rhetorisch hervorragende Streitschrift verfasst, die beim Druck beschlagnahmt wurde; er kam ins Gefängnis. Friedrich Spee hat seine ersten Jahre im Jesuitenorden 1610-1612 im Noviziat in Trier (heute Mutterhaus der Borromäerinnen) verbracht und wurde nach der Veröffentlichung der „Cautio Criminalis“ 1632 nach Trier versetzt, wo er sich 1635 bei der Pflege von kranken Soldaten infizierte und starb.

Spees Traktat gegen die Hexenprozesse und die unter der Folter erpressten angeblichen Geständnisse ist in deutscher Übersetzung noch heute mitreißend zu lesen. Man fragt sich, warum das Buch nicht sofort die durchschlagende Wirkung hatte, die sich auch der Autor Spee erhoffte. Die Fürsten und ihre Räte und Richter mussten doch beim Lesen erkennen, dass die ganze Grundlage der blutigen Prozesse nicht stimmte  und diese abschaffen. So einfach war das nicht gegen die herrschende Meinung der Gelehrten und der Bevölkerung, die ja fortlaufend durch die erzwungenen Geständnisse der Opfer scheinbar bestätigt wurden. Man hätte ja auch zugegeben, dass man Tausende von Menschen unschuldig gequält und verbrannt hatte. Aber die „Cautio Criminalis“ wurde als Schrift eines Theologen von Juristen ernst genommen und hat mit verschiedenen Auflagen  und Übersetzungen von Frankreich bis Polen zur  Beendigung dieses massenhaften Justizmordes beigetragen. Die „Cautio“ war nicht die einzige Schrift gegen die Hexenprozesse, aber eine besonders wichtige. Sie gehört zu den „Büchern die wie Welt bewegten“.

Spee-Renaissance ab 1980

Das Gedächtnis an Friedrich Spee und sein Kampf gegen den Hexenwahn ist in Trier seit über hundert Jahren lebendig, wie die 1896 angebrachte Tafel beim Eingang des Jesuitenkollegs, des damaligen Friedrich-Wilhelm-Gymnasiums, zeigt. 1907 wurde das Denkmal in der Jesuitenkirche eingeweiht. Eine Spee-Renaissance erfolgte ab 1980 durch die Auffindung des Grabes in der Gruft unter der Jesuitenkirche durch den Regens des Priesterseminars Dr. Anton Arens. Eine langanhaltende Wirkung hatte die Ausstellung zum 350. Todesjahr 1985 in der Stadtbibliothek Trier, die ich zusammen mit Trierer Speeforschern zeigen konnte. 1985 und 87 wurden in Düsseldorf-Kaiserswerth – Spees Geburtsort – und in Trier – seinem Sterbeort - Friedrich-Spee-Gesellschaften gegründet, die eine Arbeitsgemeinschaft bilden und das Spee-Jahrbuch herausgeben. Gleichzeitig bildete sich die Arbeitsgemeinschaft „Hexenprozesse im Trierer Land und in Luxemburg“ an der Universität und der Stadtbibliothek Trier. Von Anfang an war Dr. Rita Voltmer dabei, die seit 2009 auch Vorsitzende der Friedrich-Spee-Gesellschaft Trier ist. In einem Zeitraum von 25 Jahren wurden von Wissenschaftlern, Heimatforschern und Studenten die umfangreichen Quellen studiert und diskutiert. Gegenüber vielen verbreiteten Irrtümern konnten die Prozesswellen erforscht werden, die eine Voraussetzung für Spees Streitschrift bildeten.

Für die Mitglieder der Spee-Gesellschaft ist es wichtig , dass der Kampf gegen die Hexenprozesse nur ein Aspekt dieser herausragenden Persönlichkeit war. Am bekanntesten sind heute die Lieder in katholischen und evangelischen Gesangbüchern. Für etwa 124 Lieder wird Spees Verfasserschaft angenommen. Das Adventslied „O Heiland reiß die Himmel auf“ ist international verbreitet. Die „Trutz-Nachtigall“ ist ein Zyklus von geistlichen Liedern und gilt als schönste Gedichtsammlung der Barockzeit, zumindest im katholischen Deutschland. Der menschliche Dichter kann im Lobpreis des Schöpfers mit der Nachtigall in Wettstreit treten, ihr Trotz bieten. Bekannt ist das von Brahms vertonte Lied „Bei stiller Nacht zur ersten Wacht“. Spee hat sich mit dem „Güldenen Tugendbuch“ einem großen Andachtsbuch, in besonderem Maße für Frauen engagiert, in einer Zeit, wo das keineswegs üblich war.

Neun Grundsätze eines gerechten Prozesses

Spee stand als Jesuitenpater im Dienst der Gegenreformation gegen die Evangelischen. Und doch spricht er auch die Evangelischen an. Mit seinem von Herzen kommenden Vertrauen auf die Barmherzigkeit Gottes trotz der Schrecken von Krieg, Pest und Hexenprozessen, seiner Begeisterung vermag er auch heute noch mitzureißen oder zumindest zum Nachdenken anzuregen.

Von besonderer Aktualität ist leider die „Cautio Criminalis“. Wenn wir heute zum Gedenken an die Opfer der Hexenprozesse zusammenkommen sind, ist es wichtig, dass wir die Gefolterten und Verbrannten nicht nur als Opfer eines finsteren Aberglauben in einer längst vergangenen Zeit betrachten; man redet gerne vom Mittelalter, obwohl das 16. und 17. Jahrhundert eindeutig zur Frühen Neuzeit gehören. Der Theologe Friedrich Spee hat bereits 1631 vor der Zeit der Aufklärung Rechtsgeschichte geschrieben, indem er neun Grundsätze eines gerechten Prozesses aufgezeigt hat:  Das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit -  die Unschuldsvermutung und der Grundsatz „In dubio pro reo“ -  Besondere Sorgfalt bei sogenannten Ausnahmeverbrechen (damals Hexenprozesse, heute Terroristenbekämpfung) - Völlige Abschaffung der Folter -  Recht auf Verteidigung - Recht auf Appellation - Unabhängigkeit der Richter - Menschliche Haftbedingungen - Recht auf baldiges Verhör und Urteil.  Nach den Schrecken des Zweiten Weltkrieges erfolgte eine internationale Kodifizierung der Menschenrechte. 1948 wurde in Ergänzung der Charta der Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte angenommen; sie wurde durch neun internationale Pakte zu den Menschenrechten festgeschrieben. Nicht nur in Europa, sondern auch in Afrika und im islamischen Raum wurden entsprechende Konventionen beschlossen.

Folter und Misshandlung noch nicht überwunden

Trotz dieser international anerkannten Regelungen, die durch Gerichtshöfe überwacht werden und Eingang in die nationale Gesetzgebung gefunden haben, gibt es heute Folter und Misshandlung in mehr als der Hälfte aller Staaten der Erde. Bestürzend ist es, dass es nach dem Schock des Terroranschlags gegen das World Trade Center 2001 Tendenzen gibt, anerkannte Rechtsgrundsätze über Bord zu werfen oder aufzuweichen.  Es scheint die Auffassung Anhänger zu finden, dass wir uns die Menschenrechte nur in normalen Zeiten, sozusagen am Sonntag, leisten können. Im Kampf gegen eine so schreckliche  Gefahr wie den internationalen Terrorismus dürfe man es mit dem Recht nicht so genau nehmen.

Die zweite aktuelle Bedeutung der Forderungen Spees betrifft die Kollateralschäden.  Jesu Gleichnis vom Unkraut im Weizenfeld spielte bei der Diskussion um die Hexenprozesse eine große Rolle. Nachts hat Satan Unkraut zwischen den Weizen gesät. Muss man in Kauf nehmen, dass beim Ausreißen des gefährlichen Unkrauts auch guter Weizen mit ausgerissen wird? Wenn eine Rakete oder Drohne auf einen Fahrzeugkonvoi oder ein Gebäude gelenkt wird, in dem sich nach Geheimdienstinformationen  ein Terrorist befindet, muss man fragen, ob die übrigen Anwesenden  getötet werden dürfen. Das Gleichnis bezieht sich generell auf das „Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“, das zu den wesentlichen Grundrechten im Grundgesetz gehört.

Die Aktualität von Spees Kampf für die Menschenrechte kann man auch daran sehen, dass die von ihm als Moraltheologe abgelehnte Sentenz „Der Zweck heiligt die Mittel“ heute wieder zitiert wird, nicht als Polemik gegen angeblich unmoralische Jesuiten, sondern zustimmend.

Der Jurist Heribert Waider hat 1971 - vor vierzig Jahren – einen Vortrag mit folgenden Worten beendet: Friedrich Spee ist „als ein Vorläufer und Apostel der Menschenliebe und als ein Lehrer des Rechts anzusehen.“ Ich gehe noch weiter zurück, auch wenn die Sprache uns etwas fremd ist. 1820 veröffentlichte Johann Hugo Wyttenbach – der verdiente Direktor der Trierer Stadtbibliothek und des Gymnasiums - eine Würdigung Spees mit folgendem Schluss: „Wahrhaft half er die Welt verbessern, da er in seinem Kreise der Beste und Gewissenhafteste zu seyn sich bemühte. In ihm war der geniale Kopf mit einer großen Seele innig verbunden – ein höchst seltener Fall auf unserem Planeten.“

Die Gedanken zur Aktualität von Spee sind ausführlich begründet in folgendem Aufsatz:
Gunther Franz: Friedrich Spee als Vorkämpfer der Menschenrechte und seine aktuelle Bedeutung. In: Spee-Jahrbuch 19/20 (2012/2013), S. 7-44.