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Eindeutiges Bekenntnis zur Unschuld der Opfer

Rede von Oberbürgermeister Klaus Jensen anlässlich der Gedenkveranstaltung für die Opfer des Hexenwahns am 30. April 2014

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

es ist mir eine große Ehre und Freude, Sie alle am heutigen Tage zu unserer Gedenkveranstaltung für die unschuldig verurteilten Opfer des Hexenwahns begrüßen zu dürfen. Mit Frau Dr. Katarina Barley aus dem Bundestag, Herrn Kreisbeigeordneten Dieter Schmitt und meinen Stadtvorstandskolleginnen Frau Birk und Frau Kaes-Torchiani begrüße ich vor allem zahlreiche Mitglieder aller Fraktionen des Stadtrates. Ich heiße alle Pressevertreter und -vertreterinnen willkommen. Die große Resonanz in den Medien, lokal und überregional, freut mich sehr. Frau Dr. Rita Voltmer, eine international anerkannte Spezialistin auf dem Gebiet der Hexenforschung und Herr Professor Gunther Franz, langjähriger Vorsitzender der Friedrich-Spee-Gesellschaft Trier und ehemaliger Leiter der Stadtbibliothek, werden gleich im Anschluss auf die historischen Details unseres Anliegens eingehen. Ich darf mich an dieser Stelle daher auf einige grundsätzliche Überlegungen beschränken.

Gestatten Sie mir zunächst ein persönliches Wort: Seit langem ist es mir ein tief empfundenes Anliegen, die heutige Veranstaltung zustande zu bringen, über Jahre hinweg hat mich die Idee hierzu begleitet. Immer wieder hat es zudem Anstöße aus dem Kreis der Trierer Bürgerinnen und Bürger gegeben, die sich mit großem Nachdruck für eine Initiative zugunsten der Opfer des Hexenwahns eingesetzt haben.

Vergegenwärtigung menschlicher Not  

Es geht am heutigen Tage um die öffentliche Rückbesinnung auf geschehenes Unrecht, um die Vergegenwärtigung menschlicher Not und damit auch um die Stärkung von Recht, Solidarität und Menschlichkeit für unsere eigene Zeit. 

Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass ein Gemeinwesen den öffentlichen Diskurs und den solidarischen Ausdruck seiner sozialen und ethischen Grundüberzeugungen benötigt. Nur so gewinnt es an Stabilität, nur so vermag es seiner Schutzfunktion gegenüber Bürgerinnen und Bürgern, Schwachen und Andersdenkenden, Fremden und Bedrohten gerecht zu werden. Wir wissen es nur zu gut: Der erste Schritt in neues Unrecht resultiert oft aus dem Vergessen alten Unrechts auf der Ebene des öffentlichen Bewusstseins.

Die Stadt Trier hat daher, dem Beispiel anderer Städte folgend, mit Bedacht den Weg einer öffentlichen Gedenkveranstaltung gewählt. Wir, der Oberbürgermeister mit dem Stadtvorstand, die Fraktionen des Rates und die Bürgerschaft wollen heute ein eindeutiges Bekenntnis zur Unschuld der Opfer des Hexenwahns ablegen, die Gräuel des Hexenwahns in der öffentlichen Erinnerung bewahren und eine gesellschaftlich angemessene Form des Bedauerns und der Trauer hierüber entwickeln. Es ist dies der Versuch, das kollektive Vergessen zu verhindern und an seine Stelle eine Kultur der Erinnerung zu rücken. Wenn an dieser Stelle von Vergessen und von Erinnern die Rede ist, dann meint dies nicht das banale Vergessen eines Namens oder eines Geburtstages, wie es einem jedem von uns fast täglich passiert. „Kultur der Erinnerung“ meint hier das öffentliche Bekenntnis zur Sache, das solidarische Handeln der Gemeinschaft, den gesellschaftlichen Ausdruck einer humanen Idee, die mithilft, das Gemeinwesen zusammenzuhalten. Eine solche Veranstaltung besitzt eine andere Qualität als das persönliche, das private Erinnern oder als die – ohne Zweifel verdienstvolle – Forschungsarbeit des Historikers am Schreibtisch.

Zerbrechlichkeit der gesellschaftlichen Ordnung

Ich möchte nicht verschweigen, dass eine solche Initiative auch Fragen in sich birgt. Lässt sich die Kluft der Jahrhunderte überspringen, so wird manch einer fragen. Vermögen wir Licht zu werfen in das ungeregelte Rechtsleben aus grauer Vorzeit? Und vor allem: Droht nicht die Frage der Rechtsnachfolge einen neuen Zwist unter den heutigen Gesprächspartnern zu entfachen?

Alle diese Fragen und noch viele mehr liegen auf der Hand und werden gestellt. Sie haben ihre Berechtigung, sie dürfen nicht überhört, sie müssen ernstgenommen werden.

Ich selbst möchte eine Antwort hierauf geben, indem ich das Grundanliegen unseres Vorstoßes noch einmal klar vor Augen stelle. Hier gilt: Es geht uns nicht um die Zuweisung von Schuld, um das Abwägen von Versagen, um die Korrektur der Geschichte. Es geht uns vielmehr darum, geschehenes Unrecht zu vergegenwärtigen und dadurch ein Bewusstsein für die Zerbrechlichkeit der gesellschaftlichen Ordnung insgesamt wachzuhalten. Wir möchten einen angemessenen Ausdruck finden für die Trauer und die Scham, die uns erfüllt, wenn wir daran denken, dass arme und unschuldige Menschen als Hexen diffamiert, gequält und auf brutale Weise aus der Mitte ihres Lebens gerissen wurden. Mit einem Wort: Es geht uns nicht in erster Linie um die Schuld der Täter, es geht uns um die Not der Opfer und es geht darum, sie in einem umfassenden Sinne zu rehabilitieren. Zudem gilt es auch in dieser Stunde an unsere Verantwortung zu erinnern, ähnliche, heute stattfindende Verfolgungen und Tötungen in der Welt anzuprangern und für das Ziel umfassender Humanität einzutreten.

Kollektivpersönlichkeit Friedrich Spee

Gerade in Trier hat es aber auch die andere, die positive Seite gegeben. Der große Jesuit und Barockautor Friedrich Spee hat sich mutig für die unschuldig verurteilten „Hexen“ eingesetzt. Sein berühmtes Buch gegen den Hexenwahn hat entscheidend dazu beigetragen, die Exzesse zu überwinden. Wie kein Zweiter hat Friedrich Spee sich für die Opfer der Verfolgung eingesetzt und unter großen persönlichen Risiken eine Wende eingeleitet.

Wir kennen den Begriff der „Kollektivpersönlichkeit“. Damit gemeint sind Menschen, die durch ihr persönliches Wirken einen Beitrag leisten zur Entwicklung des Gemeinwesens insgesamt. Ihnen ist es gegeben, in Worte zu fassen, was von allen Menschen gedacht und gesagt werden müsste. Aus ihrem Munde erhebt sich die Stimme der Menschheit, ja der Menschlichkeit. Ohne Zweifel wird man auch Friedrich Spee die Ehre einer solchen „Kollektivpersönlichkeit“ zuerkennen dürfen. Von seinem Einsatz und seinem hohen Ethos zehrt unsere Gesellschaft noch heute.

Ich möchte Sie alle sehr herzlich einladen, sich zum Abschluss unserer Veranstaltung zum Grabe von Friedrich Spee zu begeben. An der Stätte seiner letzten Ruhe möchten wir dem großen Propheten der Humanität unseren Dank und unsere Anerkennung  abstatten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich danke Ihnen sehr herzlich für Ihr zahlreiches Erscheinen und für die große Zustimmung, die Sie unserer Gedenkveranstaltung damit gezollt haben. In meinen Augen ist dies ein Zeichen für die Intaktheit unseres Gemeinwesens, auf das wir stolz sein können. Die Stadt Trier zeigt sich in der Lage, Gegensätze zu überwinden und Gemeinsamkeiten zu stiften, wenn das Thema der Menschenwürde angesprochen ist. Es bewegt mich sehr zu sehen, dass mein Anliegen auch das Ihre ist.

Danken möchte ich auch all jenen, die durch ihre Vorträge und ihre musikalischen Darbietungen mit dazu beigetragen haben, den heutigen Tag zu einem denkwürdigen Ereignis werden zu lassen.

Herrn Prof. Embach danke ich für die großartige Begleitung durch viele Gespräche und wichtige Zuarbeiten, Herrn Prof. Franz nicht nur für das Grußwort, sondern auch für das Engagement in und mit der Spee-Gesellschaft, Frau Dr. Voltmer für das exzellente Referat, Herrn Reidenbach für das großartige Werk „Der Richter muss brennen“, mit dem er nachhaltig auf künstlerische Art das Erinnern wachhält und dem Spee-Chor dafür, dass er uns gleich am Grab Friedrich Spees musikalisch begleiten wird.

Diese Veranstaltung, meine sehr geehrten Damen und Herren, wird natürlich nicht die letzte Form der Erinnerung bleiben. So werden wir bald eine Erinnerungstafel zum Hexenwahn an geeigneter Stelle anbringen.