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10.11.2009

Der Meister der Versalien

Horst Müllers Schrift prägt die Seiten des Goldenen Buchs.
Horst Müllers Schrift prägt die Seiten des Goldenen Buchs.
Kunstvoll geschwungene Versalien, filigran verziert, mit kräftig roter Tinte besonders hervorgehoben. Daneben ein nicht minder sorgfältig geschriebener Text in Frakturschrift, der das erläutert, was Ehrengäste als Grußwort im Goldenen Buch der Stadt
Trier hinterlassen haben. Die kunstvolle Schönschrift, die neben all den Handschriften wichtiger Frauen und Männer ein einheitliches, geordnetes Bild abgibt, gehört Horst Müller. Als Hobby-Kalligraph gestaltete er seit 1970 die Seiten des Goldenen Buches und des Gästebuches sowie zahlreiche Urkunden, die die Stadt allen Trägern des Ehrensiegels, -briefs und -rings sowie den Ehrenbürgern, etwa Jean-Claude Juncker, verliehen hat.

Von der Schule zum Hobby

Die Liebe zur Kalligraphie entdeckte Müller schon in der Schulzeit. „Mein Kunst- und Musiklehrer im Gymnasium hat mich auf den Geschmack gebracht.“ Mit viel Ausdauer studierte der heute 82-Jährige zahlreiche Fachbücher, probierte verschiedene Schriften aus und forcierte seine Leidenschaft immer weiter. 1948 begann Müller eine Lehre als Vermessungstechniker bei der Stadt und war dort bis zum Renteneintritt als Abteilungsleiter für Kartografie tätig. Auch in seinem Beruf waren exaktes Zeichnen und Genauigkeit gefordert, etwas, das auch bei seinem Hobby sehr wichtig ist. Mit kunstvoll geschriebenen Glückwunschkarten überraschte er oft Familie und Kollegen zu besonderen Anlässen.

Nachdem sein Vorgänger das Kalligraphieren in den städtischen Büchern aufgegeben hatte, gestaltete Müller am 3. Juli 1970 seinen ersten Eintrag im Goldenen Buch. Es war der Besuch des Schöffenrates der Stadt Luxemburg und der Bürgermeisterin Colette Flesch. Seitdem unterscheidet sich seine Schrift nur noch in einem Punkt: Im Goldenen Buch führt er die Feder in einer kunstvolleren und reich verzierten Frakturschrift, im Gästebuch hat er sich für eine Kursivvariante entschieden. Und seine Handschrift? „Meine normale Schrift ist gar nicht so gut“, lacht Müller. Auf eine Kostprobe verzichtet er. Stattdessen erklärt er mit einem Leuchten in den Augen die einzelnen Schritte, bis ein solcher Eintrag fertig ist. „Das wichtigste sind die Linien. Die muss man korrekt mit einem Manormus vorziehen.“ Das ist eine Art Lineal mit zahlreichen Löchern, mit deren Hilfe man die Abstände zwischen den Linien genau markieren kann. Damit nachher alles an der richtigen Stelle steht, schreibt Müller die Texte stets auf Karton vor. Vor allem, wenn sie zentriert stehen sollen, ist es besonders schwierig. Aber auch eingerückte oder linksbündig geschriebene Namen finden sich in seinen Einträgen.

Seine Beschreibung lässt nur erahnen, wie zeitaufwändig dieses Hobby ist. Für einen fünfzeiligen Eintrag, den jeder handschriftlich in rund einer Minute schreiben kann, braucht Müller trotz jahrelanger Übung ungefähr zwei Stunden. Details und höchste Konzentration sind besonders wichtig. „Verschreiben darf man sich nicht, vor allem nicht im Goldenen Buch.“ Wenn es doch einmal passiert ist, muss der Fehler in mühsamer Arbeit mit einer Rasierklinge entfernt werden. Sehen darf man von dem Fauxpas später nichts.

Alle gleich wichtig

Beim Durchblättern der beiden Goldenen Bücher werden Erinnerungen wach. Einen Lieblingseintrag kann Müller allerdings nicht benennen. „Ich habe bei einem wichtigeren Mann oder einer wichtigeren Frau nicht schöner geschrieben. Sie waren mir alle gleich wert“, lautet die Antwort des bescheidenen Mannes, dem es vorrangig um den Schreibprozess an sich geht. „Die aufwändigsten Texte waren aber immer die feierlichen Rathaussitzungen zu Städtepartnerschaften. Die Einleitung für das zweite Goldene Buch war eine besondere und schöne Herausforderung“, erinnert er sich. Ganze acht Seiten ist sie lang.

„Es hat mir immer sehr viel Freude bereitet“, sagt er mit einem lachenden und einem weinenden Auge beim Blick auf die Bücher. Aus Alters- und Gesundheitsgründen kann er seine Leidenschaft in den städtischen Büchern nicht mehr fortführen. Jetzt bleibt ihm mehr Zeit für eines seiner anderen Hobbys: Müller sammelt und liest sehr gerne Trevirensien, Bücher über Trier.