Sprungmarken
08.02.2022

Ein Ehrenbürger unter Verdacht

Feierliche Ratsssitzung zur Verleihung der Ehrenbürgerwürde an Bischof Bernhard Stein
Oberbürgermeister Josef Harnisch (4. v. l.) verlieh am 9. Januar 1975 die Ehrenbürgerwürde der Stadt Trier an Bischof Bernhard Stein (3. v. l.). Die Stadt würdigte damit unter anderem dessen Verdienste um die Renovierung des Trierer Doms, der 1974 nach umfangreicher Sanierung und zehnjähriger Schließung wiedereröffnet worden war. Foto: Stadtarchiv/Anja Runkel

Nachdem sich der SPIEGEL kürzlich in einer Titelstory mit dem Missbrauchsskandal im Bistum Trier beschäftigt hat, erreichte das Thema jetzt erneut den Stadtrat. In einer Expertenanhörung wurde die Rolle des früheren Bischofs und Trierer Ehrenbürgers Bernhard Stein (1904-1993) beleuchtet. Eine Entscheidung in der Causa könnte in der zweiten Jahreshälfte fallen.

Es gibt Hinweise, dass der Trierer Bischof Bernhard Stein, der die Diözese von 1967 bis 1980 leitete, Fälle von sexuellem Missbrauch durch Priester vertuscht hat. Für den Stadtrat stellt sich damit die Frage, ob Stein die ihm 1975 verliehene Ehrenbürgerwürde noch verdient und ob der ihm gewidmete Platz am Dom umbenannt werden soll. Die Grünen hatten vor einem Jahr dazu Anträge gestellt, die vorerst keine Mehrheit fanden. Doch das Thema blieb auf der kommunalpolitischen Tagesordnung und rückte nun mit einer Expertenanhörung im Stadtrat erneut in den Blickpunkt. Das Panel war hochkarätig besetzt:

  • Der Kriminologe Prof. Christian Pfeiffer war Justizminister in Niedersachsen und Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, das 2011 von der Deutschen Bischofskonferenz beauftragt worden war, eine kriminologische Studie zum sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche zu erstellen. 2013 kündigte die Bischofskonferenz den Vertrag und stoppte die Studie. Pfeiffer war aus Hannover zugeschaltet.
  • Mit Prof. Gerhard Robbers nahm ein weiterer früherer Justizminister (Rheinland-Pfalz) an der Anhörung teil. Er ist Professor für Öffentliches Recht und Kirchenrecht an der Uni Trier und leitet die Unabhängige Aufarbeitungskommission im Bistum.
  • Die Opferperspektive brachte Dr. Thomas Schnitzler ein. Der Historiker ist Vorsitzender der Initiative MissBit e.V. für Missbrauchsopfer und Betroffene im Bistum Trier.

Nach den Eingangsstatements der Experten hatten die Ratsfraktionen die Möglichkeit, jeweils bis zu fünf Fragen zu stellen. Thomas Schnitzler berichtete über seine Recherchen und Gespräche mit Missbrauchsopfern. Bisher seien 44 Täter, darunter Priester, Kapläne und andere Kirchenmitarbeiter, bekannt. Genauer schilderte er einen Fall aus dem Jahr 1968: Stein habe damals einen beschuldigten Kaplan nicht etwa angezeigt oder zumindest aus dem Dienst entfernt, sondern befördert und zum Pastor ernannt. Ein weiterer ähnlicher Fall sei aktenkundig.

Sowohl Schnitzler als auch Christian Pfeiffer empfahlen den Stadtratsmitgliedern, den Bischof-Stein-Platz umzubenennen und ihm die Ehrenbürgerwürde abzuerkennen. Aus kriminologischer Sicht bestehe für Stein der Verdacht der Strafvereitelung, so Pfeiffer. Mit Blick auf die Welle der Kirchenaustritte liege es im ureigenen Interesse der katholischen Kirche, dass die Aufklärung des Missbrauchsskandals endlich vorankommt.

Gerhard Robbers sprach von „verstörenden und schrecklichen Taten" im Bistum Trier, warnte aber zugleich vor einem voreiligen Urteil gegen Stein: „Die von mir bisher gesichteten Akten deuten darauf hin, dass es in der Amtszeit von Bischof Stein einen anderen Umgang mit Beschuldigten gegeben hat als unter seinen Vorgängern." Unter Stein seien die Fälle nicht mehr vertuscht worden, vielmehr seien Täter aus dem Priester- und Lehramt entfernt oder zumindest in eine andere Pfarrei versetzt worden. Die Rolle des Bischofs müsse aber noch genauer untersucht werden. Valide Ergebnisse werde die Aufarbeitungskommission voraussichtlich im Spätsommer vorlegen können.

Nach der mehr als zweistündigen Anhörung müssen nun die Fraktionen klären, wie sie weiter vorgehen. Es ist zu erwarten, dass es im Lauf des Jahres erneut Anträge zur Aberkennung der Ehrenbürgerwürde und zur Umbenennung des Platzes geben wird.

Die SPD-Fraktion erklärte inzwischen, dass sie den Bericht der Aufarbeitungskommission in ihre Entscheidungsfindung einbeziehen will: „Wir sehen eine Entscheidung umso valider an, wenn sie auf breitestmöglicher Basis geschieht. Es sollte allen daran gelegen sein, diese breite Basis im dritten Quartal abzuwarten, um eine größtmögliche Mehrheit vor allem im Sinne der Opfer nicht unnötig zu gefährden", heißt es in einer Pressemitteilung.

Ralph Kießling