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16.01.2024

Ein Römer in Trier

Porträtfoto von Franz Roberg vor einer Bücherwand
In Rom geboren und liiert mit einer Bulgarin, schätzt PD Dr. Francesco Roberg die Internationalität, die seiner Ansicht nach Trier auszeichnet.

Privatdozent (PD) Dr. Francesco Roberg leitet seit 1. Mai 2023 die Wissenschaftliche Bibliothek und das Stadtarchiv. Was ihn an dieser Stelle besonders reizt, was für ihn Trier als Stadt ausmacht und vieles mehr, verrät er im Interview mit der RaZ.

RaZ: Herr PD Dr. Roberg, vor rund einem dreiviertel Jahr sind sie nach Trier gekommen. Welchen Eindruck haben Sie von Land und Leuten?

Roberg: Ich bin sehr glücklich, in Trier gelandet zu sein und fühle mich hier von Anfang an sehr wohl. Beruflich arbeite ich mit einem sehr netten, sehr motivierten Team zusammen. Aber auch die Stadt als solche mit ihrer reichen Geschichte und ihrem großen kulturellen Erbe bietet viel Lebensqualität. Was mir auffällt, ist das schöne gastronomische Angebot, das deutlich besser ist als in vergleichbaren Städten. Mir scheint, das fällt den Ur-Trierern gar nicht mehr auf, mir ist das sehr aufgefallen und ich nutze das sehr gerne. Und dann die Nähe zu Frankreich, Luxemburg und Belgien. Ein Tagesausflug über die Grenze ist hier gar kein Problem, selbst ein Ausflug nach Paris ist ohne weiteres machbar. Diese Lage zeichnet Trier aus. Ich bin in Rom als Sohn einer italienischen Mutter und eines deutschen Vaters geboren und mit einer Bulgarin liiert – Internationalität ist mir wichtig und die ist hier für eine Stadt diese Größe ungewöhnlich. Interessant ist auch die Sprache. Ich denke, dies und jenes könnte ich so auch in Köln hören.

Was wussten sie überhaupt von Trier, bevor Sie die jetzige Arbeitsstelle angetreten haben? 

Natürlich denkt man bei Trier sofort an das Touristenziel an der Mosel, die Römer und Karl Marx. Aber Trier ist auch in anderen Bereichen bei manchen ein Begriff. So weiß jeder, der in meinem Bereich tätig ist, von den überragenden Beständen der Wissenschaftlichen Bibliothek hier in der Weberbach, die einzigartig sind. Das ist in Trier gar nicht so bekannt. Aber unter Historikern sind die Bestände hier sehr bekannt, übrigens auch international. Je nachdem, was man als Historiker tut, ist dieses Haus weltweit bekannt. Außerdem wusste ich natürlich viel über die klösterliche Geschichte, weil ich dazu geforscht habe. Damals war ich übrigens als Wissenschaftler zu Gast in dem Haus, dass ich jetzt leite. Ich erinnere mich,  dass ich in der Dietrichstraße im Kolpinghaus wohnte. Es ist für mich auch eine wissenschaftliche Heimkehr, ich habe ja auch meine Doktorarbeit zum Trierer Kloster St. Maximin geschrieben. 

Sie waren vorher Referatsleiter im hessischen Landesarchiv in Marburg. Warum sind Sie nach Trier gekommen und was reizte Sie an der Stelle in Trier? 

Hier bin ich fachlich unabhängig und habe einen großen Gestaltungsspielraum. Das ist einer der Hauptgründe, der mir wichtig ist. Auf dieser Stelle bin ich nicht nur Behördenleiter, der ein Amt managen muss, sondern immer auch Wissenschaftler. Das ist auch ausdrücklich gewünscht und diese Konstruktion ist reizvoll und klug erdacht. Diese Kombination aus einer sehr interessanten Stelle und der schönen Stadt – da musste ich nicht lange überlegen. Übrigens war auch der Unesco-Titel für dieses Haus ein Pfund, das da in der Waagschale lag. Mittlerweile haben wir ja sogar zwei Unesco-Titel. Was historische Buchbestände betrifft, spielen wir in Deutschland ganz oben mit. Dabei ist aber zu bedenken, dass unsere Mitspieler große Staatsbibliotheken in ehemaligen Residenzstätten sind – schauen sie sich Berlin oder München an. Eine Bibliothek in städtischer Trägerschaft mit so wertvollen Beständen und zwei Unesco-Titeln zu leiten, das ist schon sehr reizvoll und erfüllt mich auch mit Stolz – und meine Kolleginnen und Kollegen auch.

Was waren ihre bisherigen beruflichen Stationen? 

Ich habe nach dem Abitur in Bonn und Perugia studiert. Anschließend war ich dann in Marburg an der Universität als wissenschaftlicher Mitarbeiter, dann Assistent und habe daran anschließend am hessischen Landesarchiv ein Referendariat gemacht. Zuletzt war ich Referatsleiter im hessischen Landesarchiv in Marburg.

Warum beschäftigt sich ein habilitierter Historiker damit, Akten und Dokumente der Trierer Stadtverwaltung und alte Bücher aufzubewahren? 

Das ist alles andere als dröge. Ich habe hier einen absoluten Traumjob als Historiker. Wenn ich eine Professur an einer Universität hätte, könnte ich in der Bibliothek nur auf eine Quellen-
edition zurückgreifen. Ich dagegen arbeite hier wissenschaftlich an einem Thema und wenn ich eine Quelle dazu benötige, gehe ich nach nebenan habe dort Urkunden, Handschriften oder sonstige Dokumente im Original. Ich habe auch historische Grundwissenschaften studiert und kann auch mit den ungedruckten Materialien arbeiten. Als solcher mit den Dokumenten zu arbeiten, die hier im Magazin sind, das ist eine unschlagbare Kombination. Ich sitze hier im wahrsten Sinne des Wortes direkt an der Quelle. 

Trier gilt als Römerstadt, aus der Antike sind aber nur wenige Quellen erhalten. Warum brauchen wir überhaupt eine Institution, die sich mit der Aufbewahrung von Büchern, Handschriften und Urkunden befasst? 

Trier gilt zurecht als Römerstadt. Es gibt keine andere Stadt in Deutschland, die so sehr profitieren kann von ihren römischen Hinterlassenschaften. Diese Stadt ist aber aus Sicht des Mittelalter-Historikers mit ihren vielen, vielen bedeutenden Klöstern für diese Epoche mindestens genauso wichtig wie für die Forschung zur Antike. Auf der Grundlage von Beständen aus den Trierer Klöstern haben sich ganze Disziplinen entwickelt, die heute fest etabliert sind. Diese gefühlte Lücke zwischen Rom und Karl Marx besteht zu unrecht. Es ist für uns in Trier die Frage, wie wir uns darstellen wollen. Wollen wir neben dem Standbein römische Geschichte auch ein Standbein mittelalterliche Geschichte entwickeln? Dabei geht es nicht darum, die Bedeutung der Römer zu relativieren. Die Bedeutung des Mittelalters gäbe es jedenfalls her. Nicht umsonst stammen der Egbert-Kodex und das Ada-Evangeliar, die beiden von der Unesco als Weltdokumentenerbe ausgezeichneten Handschriften unseres Hauses, aus dem Mittelalter. Und wir haben da noch einige Pfeile im Köcher, Ada und Egbert sind nicht unsere einzigen bedeutenden Handschriften. Es geht darum, ein Mittelalter-Narrativ zu entwickeln. Das geht nur mit den anderen Akteuren in der Stadt.

Welche Schwerpunkte wollen Sie bei ihrer Arbeit setzen?

Zunächst möchte ich unser Profil schärfen. In diesem Haus soll es um alles gehen, was mit Trier und seiner Umgebung zu hat und mit der Geschichte des Schreibens. Dann möchte ich mehr internationale Spitzenwissenschaft ins Haus holen. Da sind wir zum Beispiel jetzt wegen unserer Dante-Überlieferung in eine italienische Datenbank aufgenommen worden und wir haben eine japanische Professorin, die sich mit der Trierer Gutenberg-Bibel – der Trierer, nicht den anderen – beschäftigt. Ganz klar hat dieses Haus aber auch einen weitergehenden Bildungsauftrag. Es ist mir ein Anliegen, diese Institution weiter zu öffnen und den Kreis der Nutzenden erweitern, zum Beispiel für Kinder. Wir wollen auch die Öffentlichkeitarbeit ausbauen und die gesamte gesellschaftliche Wirklichkeit auf wissenschaftlicher Grundlage abbilden, zum Beispiel Themen wie Fastnacht oder Themen der Diversität wie die Queer- Bewegung, generell die kulturelle Bildung. Ich möchte gerne auch ein Format anbieten, bei dem Triererinnen und Trierer mit alten Büchern und Dokumenten kommen und wir ihnen helfen, das zu entziffern und zu schätzen. So etwas wie die Fernsehsendung „Bares für Rares“. 

Sie haben beruflich sehr viel mit alten Dokumenten und Büchern zu tun. Was lesen Sie nach Feierabend? 

Als Wissenschaftler ist es nicht ganz einfach zu definieren, was ein Feierabend ist. Ich mache eigentlich keinen Unterschied zwischen dem, was ich zuhause und hier gerne lese. Was Erzählungen oder Romane betrifft, mag ich vor allem Stefan Zweig und Franz Kafka.

Das Gespräch führte Ernst Mettlach