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18.07.2023

Unverhoffter Bestseller

Werner Schättgen freut sich über die Übergabe des wertvollen Kochbuchs an die Wissenschaftliche Bibliothek der Stadt Trier. Auf dem Titel (rechts) ist eine Köchin beim Servieren eines Gerichts zu sehen.
Werner Schättgen freut sich über die Übergabe des wertvollen Kochbuchs an die Wissenschaftliche Bibliothek der Stadt Trier. Auf dem Titel (rechts) ist eine Köchin beim Servieren eines Gerichts zu sehen. Foto: Anja Runkel

Der einzige jüdische Autor aus Trier, der im 19. Jahrhundert einen Bestseller geschrieben hat, war eine Frau: Bertha Gumprich. Seit dem Jubiläum „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland" vor zwei Jahren versuchte die Wissenschaftliche Bibliothek vergeblich, eine in Trier herausgegebene Ausgabe des Kochbuchs zu erwerben. Das einzige damals aufgetauchte Exemplar war die 1910 veröffentlichte sechste Auflage. Kürzlich wurde der Bibliothek die fünfte und letzte in Trier gedruckte Auflage übergeben, die nun als „Objekt des Monats" vorgestellt wird.

Das Kochbuch trägt Benutzungsspuren und enthält viele Zeitungsausschnitte mit jüdischen Rezepten und Kalenderblättern aus den Monaten April und Mai 1938. Es scheint, dass das Buch einer Familie gehörte, die erst 1938 aus Deutschland ausgewandert ist, möglicherweise aus Aach bei Trier. Aus diesem Ort stammte die Gastgeberfamilie, bei der die Tochter von Stifter Werner Schättgen vor 20 Jahren als Au-Pair gearbeitet hat.

Die junge Frau erhielt das Buch, um es zum ursprünglichen Entstehungsort zurück zu bringen. Es war über zwei Dekaden lang im Familienbesitz bis Schättgen Heinz Ganz-Ohlig von der Trierer Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit kontaktierte, der sofort die Bedeutung dieses seltenen Kochbuchs erkannte. Er empfahl, die Rarität der Wissenschaftlichen Bibliothek der Stadt Trier zu übergeben.

Das in Trier erschienene Werk ist ein Zeichen für die Assimilation und Emanzipation der Juden in Trier. Bertha Gumprich hat ihre Kochkünste dazu verwendet, um das jüdische kulinarische Erbe sowie regionale Speisen bekannt zu machen. Allein der Titel macht schon klar, dass es sich um ein ambitioniertes Werk handelt: „Vollständiges Praktisches Kochbuch für die jüdische Küche, selbst geprüfte und bewährte Rezepte zur Bereitung aller Speisen, Getränke, Backwerke und alles Eingemachten für die gewöhnliche und feinere Küche". Das Buch war als Geburtstagsgeschenk für junge Mädchen auch aus christlichen Familien sehr beliebt.

Die Autorin Bertha Gumprich hat nur bis zum zwölften Lebensjahr die Schule besucht und erst mit 56 ihr Buch geschrieben. Die Gründe erklärt sie selbst: „Es soll an dieser Stelle gewiss nicht geleugnet werden, dass die vorhandene, ziemlich reiche Kochbuch-Literatur viel Nützliches und Brauchbares enthält, an einem guten jüdischen Kochbuch ist aber entschieden Mangel. Die derartigen vorhandenen Kochbücher sind entweder nicht jüdisch oder nicht praktisch". Sie brachte ihr Werk 1888 im Selbstverlag heraus. Die große Auflage von 1000 Exemplaren war in wenigen Jahren ausverkauft, ihre Kochkünste wurden offenbar hoch geschätzt.

Das Kochbuch enthält insgesamt fast 950 Rezepte. Um 1890 gab es in Trier zirka 100 jüdische Haushalte, vermutlich erwarben also auch viele nichtjüdische Köchinnen das Buch. „Das vor einigen Jahren herausgegebene Kochbuch für die jüdische Küche" – schrieb die Autorin im Juli 1896 – „hat überall so freundliche Aufnahme gefunden, dass in wenigen Jahren rund tausend Exemplare der ersten Auflage ohne Hilfsmittel irgendwelcher Reklame abgesetzt wurden. Schon dieser Umstand beweist zur Genüge, dass die Herausgabe des Kochbuches einem wirklichen Bedürfnis entsprach. Auch in Fachkreisen wurde meine Arbeit rühmlich anerkannt".

Die ersten fünf Auflagen von 1888, 1896, 1899 und 1900 wurden in Trier veröffentlicht. Nach dem Tod der Köchin 1902 wurden weitere in Frankfurt am Main und Köln gedruckt, die letzte 1924. Viele Exemplare gingen dann während der Zeit des Nationalsozialismus verloren, die erhaltenen Werke sind demnach äußert selten. Umso größer ist die Freude, dass die fünfte Auflage des Kochbuchs, erschienen im Verlag von Kaufmann & Co. in Trier, nun den Bestand der Wissenschaftlichen Bibliothek der Stadt Trier bereichert.

Dr. Magdalena Palica