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30.11.2010

Stolz statt Scham

Der Alltag von Peter K. ähnelt einem Versteckspiel. Damit er keine Listen führen muss, hat der Lagerist gelernt, die Warenbestände seiner Firma in seinem Gedächtnis zu speichern. Ausflüge unternimmt er selten, aus Angst, sich in einer fremden Stadt nicht zurecht zu finden. Und wenn es darum geht, auf einer Behörde einen Antrag auszufüllen, lässt er sich die Fragen vorlesen, weil er seine „Brille vergessen“ hat.

Peter K. ist einer von schätzungsweise 5 000 Menschen in Trier mit einer ausgeprägten Lese- und Schreibschwäche. Sie sind funktionale Analphabeten. Weil viele von ihnen sich dafür schämen, sind sie für Bildungsangebote oft nur schwer zu erreichen. Innovative Konzepte sind gefragt und genau die hat sich eine gemeinsame Initiative der Volkshochschule und der Firma JTI auf die Fahnen geschrieben.

VHS-Leiter Rudolf Hahn und Christoph Schenk, JTI-Beauftragter für soziale  Projekte, setzen vor allem auf selbstständiges Lernen am PC und Kurse vor Ort. So sollen „bildungsferne“ Menschen erreicht werden, die sich nie von sich aus für einen VHS-Kurs anmelden würden. „Ab jetzt gehen wir zu den Leuten hin und warten nicht mehr darauf, dass sie zu uns her kommen“, erklärt Hahn. Dank der finanziellen Unterstützung des japanischen Tabakkonzerns konnten zwei Laptopwagen mit jeweils zwölf PCs und W-Lan-Station angeschafft werden. Die Geräte sind mobil einsetzbar, so dass für den Unterricht am Bildschirm kein speziell ausgestatteter Computerraum benötigt wird. Angeboten werden Alphabetisierungskurse und selbstständiges, spielerisches Lernen mit Hilfe des Internetportals www.ich-will-lernen.de . Die Kursgebühren betragen „soziale“ 20 Euro pro Semester.

Die Laptopwagen werden in den Bürgerhäusern Trier-Nord und Ehrang untergebracht – sehr zur Freude der dortigen Quartiersmanagerinnen: „Es ist prima, jetzt auch im Bildungsbereich vor Ort arbeiten zu können“, sagt Maria Ohlig aus Trier-Nord. „Dieses niederschwellige Angebot passt genau in unsere neu aufgebauten Strukturen“, ergänzt Vera Erasmy aus Ehrang. Auch Trier-West wird in das Projekt einbezogen. Dort kann ein vorhandener Selbstlernraum genutzt werden.

Bürgermeisterin Angelika Birk steht voll hinter dem Projekt: „Die Zahl der Betroffenen wird häufig unterschätzt. Wir wollen sie ermutigen, ihre Energie dafür einzusetzen, diesen Makel zu überwinden, und nicht dafür, ihn zu verstecken.“ Christoph Schenk von JTI betont: „Bei Menschen mit Leseschwäche kann mit relativ geringem Aufwand ein großer Erfolg erzielt werden. Wir wollen die Scham in Stolz verwandeln.“