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07.07.2015

Geißler vermisst Solidarität in Europa

Heiner Geißler bei seiner Dankesrede nach der Preisverleihung
Preisträger Heiner Geißler übertrug bei seiner Dankesrede im Kurfürstlichen Palais grundlegende Aussagen seines "Lehrers“, Pater Oswald von Nell-Breuning, auf die aktuelle Tagespolitik. Foto: Lorig
Der neue Träger des Oswald von Nell-Breuning-Preises der Stadt Trier, Dr. Heiner Geißler, hat sich in seiner Dankesrede für mehr europäische Solidarität in der aktuellen Finanzkrise ausgesprochen. Geißler nahm die Auszeichnung am vergangenen Freitag im Kurfürstlichen Palais entgegen. Die Laudatio hielt Ministerpräsidentin Malu Dreyer.

Mit Geißler würdigte die Stadt einen Politiker, der als rheinland-pfälzischer Sozialminister und Bundesfamilienminister wegweisende Reformen des Sozialstaats auf den Weg gebracht hat und sich auch und gerade nach seinem Abschied aus der aktiven Politik als unbequemer Querdenker für die Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit eingesetzt hat. Dreyer formulierte es in ihrer Laudatio so: „Er ist einer, der bei Ungerechtigkeiten nicht einfach teilnahmslos mit der Schulter zuckt. Vielmehr nennt er sie beim Namen. Wo auch immer sie geschehen, auf anderen Kontinenten oder vor der eigenen Haustür. Heiner Geißler ist einer, der sich nicht wegduckt, wenn‘s brenzlig wird.“ Damit handelt der 85-jährige Christdemokrat ganz im Sinne Oswald von Nell-Breunings, des 1890 in Trier geborenen Jesuitenpaters und Nestors der katholischen Soziallehre.

Mit dem Oswald von Nell-Breuning-Preis, der mit 10.000 Euro dotiert ist und seit 2003 alle zwei Jahre vergeben wird, dokumentiert die Stadt Trier ihre Verbundenheit mit ihrem großen Sohn und früheren Ehrenbürger. Geißler kannte den 1991 verstorbenen Nell-Breuning persönlich und war sich in der Gesellschaftsanalyse mit ihm in vielen Punkten einig. Oberbürgermeister Wolfram Leibe verdeutlichte dies in seiner Begrüßungsrede: Geißler habe in ungezählten Reden, Interviews und Schriften seine hohe Wertschätzung Pater Nell-Breunings, den er auch als seinen Lehrer betrachtete, immer wieder zum Ausdruck gebracht und ihm einen maßgeblichen Anteil am „Versöhnungswerk der sozialen Marktwirtschaft“ zugeschrieben. 2013 hatte Geißler bei der Einweihung einer Gedenkstele am Geburtshaus Nell-Breunings in Trier eine Rede zum Thema „Die neue soziale Frage“ gehalten. Daraufhin, so Leibe, „hatte die Jury gar keine andere Wahl, als Ihnen den Preis zuzuerkennen“.

Finanzmärkte schlechte Ratgeber

In seiner pointierten Dankesrede verortete Geißler die Lehre Nell-Breunings, die auf den untrennbaren Grundpfeilern Gerechtigkeit, Solidarität und Subsidiarität ruhe, im aktuellen Tagesgeschehen. Subsidiarität sei ein wichtiges Prinzip der Europäischen Union, aber zuletzt habe sich im Zeichen der Finanzkrise ein großer Mangel an Solidarität gezeigt. Dies gelte einerseits für Griechenland, das sich nicht an Regeln und Vereinbarungen gehalten habe. „Aber auch wir verhalten uns unsolidarisch, wenn wir unsere Politik von den Finanzmärkten bestimmen lassen. Die Finanzmärkte sind ein schlechter Ratgeber“, betonte Geißler.

Die Übergabe des Preises und die Verlesung der Urkunde hatte OB Leibe zuvor seinem Vorgänger Klaus Jensen überlassen, in dessen Amtszeit die Zuerkennung an Heiner Geißler erfolgt war. Ursprünglich war für die feierliche Preisverleihung ein Termin im März geplant gewesen, der jedoch wegen einer Erkrankung Geißlers verschoben werden musste. Auch der Rahmen war deshalb ein anderer als gewohnt: Statt in der Promotionsaula des Priesterseminars, in dem sowohl Nell-Breuning als auch Karl Marx ihr Abitur abgelegt hatten, fand die feierliche Preisverleihung diesmal im Rokokosaal des Kurfürstlichen Palais statt, wo sich trotz Rekordhitze rund 170 Gäste eingefunden hatten. Für den mit herzlichem Applaus bedachten musikalischen Rahmen sorgte das Swingsextett des Friedrich-Wilhelm- Gymnasiums unter der Leitung von Bernhard Nink.