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11.04.2023

„Politik für alle, nicht für die Lautstärksten“

Ein Mann im Anzug sitzt an einem Schreibtisch. Er hat einen Stift in der Hand und schreibt etwas auf einem Stapel Unterlagen, die vor ihm liegen. Dabei blickt er lächelnd in die Kamera.
Andreas Ludwig geht am Schreibpult in seinem Büro im Rathaus die Unterlagen für seine letzte Stadtratssitzung durch.

Noch einmal Ausschuss, einmal Stadtrat, dann die Abschiedsfeier in der Viehmarkttherme: Die Amtszeit von Baudezernent Andreas Ludwig (CDU) neigt sich dem Ende entgegen. Ab dem 1. Mai übernimmt Dr. Thilo Becker den Posten im Stadtvorstand. Im Interview mit der Rathaus Zeitung (RaZ) blickt Ludwig auf durchaus turbulente Jahre in Trier zurück.

RaZ: Herr Ludwig, Sie standen in mehreren Städten mehr als 26 Jahre in politischer Verantwortung. Sehen Sie sich eigentlich eher als Kommunalpolitiker oder als oberster Architekt der Verwaltung?

Andreas Ludwig: Beides. Du musst dein Fachgebiet einordnen in die Gesamtsituation und du musst ein bestimmtes Menschenbild haben. Was nützen mir die schönsten Wünsche, wenn ich sie nicht bezahlen kann oder wenn es den Menschen überhaupt nichts bringt? Ich habe verinnerlicht: Ich mache meine Arbeit für die Menschen und zwar nicht für die, die sich am lautstärksten melden, sondern für alle. Auch für die, die vielleicht jetzt noch gar nicht geboren sind. Aber ich erwarte auch von einem Baudezernenten, dass er eine Ahnung von Architektur, von Verkehr, von Wohnen hat. Sonst besteht die Gefahr, sich an Moden und Trends zu orientieren und nicht an der inneren Überzeugung. Bei manchen Kolleginnen und Kollegen, die ihr Studium abbrechen und in die Politik gehen, frage ich mich, ob die nötige Ernsthaftigkeit vorhanden ist oder ob eher die Karriere und die
Eitelkeit die Triebfedern sind.

Gleich zu Beginn Ihrer Amtszeit musste die Stadt aus Sicherheitsgründen zehn Turnhallen sperren. Das war ja sicherlich nicht der Start, den Sie sich gewünscht hatten?

Vor Problemen habe ich keine Angst. Wenn etwas nicht in Ordnung ist und du kannst einen Weg finden, das in Ordnung zu bringen – dann ist das eine lohnende Aufgabe. Und bei den Hallen ist es ganz gut gelungen. Wir haben zügig repariert, saniert und drei Hallen haben wir neu gebaut: West, Feyen und am Mäusheckerweg. Mäusheckerweg war der schwierigste Fall: Wir wollten zuerst sanieren. Ich bin von Natur aus sparsam und möchte nicht unnötig Geld ausgeben. Aber wir konnten diese 80 Prozent Kosten, die eine Sanierung im Vergleich zum Neubauwert nicht überschreiten darf, nicht einhalten. Es wurde also zweimal geplant. Heute frage ich mich, ob ich nicht gleich den Mut für einen Neubau hätte haben sollen.

Wir haben dann noch das Exhaus „entdeckt". Das ist eine Herzensangelegenheit, ein Stück Trierer Identität. Das Gebäude war erkennbar sanierungsbedürftig, doch zunächst ging es nur um Brandschutz und Barrierefreiheit. Dann kam eine Negativüberraschung nach der anderen, wo Balken in der Luft hingen, wo Brandschäden einfach verkleistert worden waren. Das hat mir einige schlaflose Nächte gebracht. Wir mussten also diese Maßnahme abbrechen, weil es finanziell ein Fass ohne Boden war. Es war und ist eine große Herausforderung, die noch nicht gelöst ist. Das Gebäude ist ein Denkmal, das wir nicht einfach so vergammeln lassen können.

Trier-West ist Ihr Wohnort geworden und ist zugleich aktuell der dynamischste Trierer Stadtteil. Wie beurteilen Sie die Entwicklung insgesamt?

Natürlich habe ich Trier-West städtebaulich als eine der Hauptaufgaben gesehen. Wir hatten mit der Sozialen Stadt und dem Stadtumbau große Förderprogramme und es ging darum, sie umzusetzen. Es ist gut, dass die ganzen Aufgaben in ein Dezernat gekommen sind, um es zu koordinieren. Vieles ist gelungen: die Entlastungsstraße, der Römerbrückenkreisel, die Eisenbahnüberführung mit dem geplanten Baustart im Mai, die Weststrecke, die hoffentlich 2024 an den Start geht.

Dann die Lokrichthalle: Vier Wochen nach meinem Amtsantritt hatte ich den ersten Termin mit dem damaligen Eigentümer und habe dann drei Jahre mit einem kooperativen Ansatz versucht, eine Entwicklung anzustoßen. Aber es kam nichts dabei heraus. Aus der Kooperation wurde Konfrontation und die Stadt musste schließlich mit einer großen Klage drohen. Das brachte den Durchbruch für den Verkauf des Areals. Was jetzt geplant ist, halte ich für eine sehr ordentliche Entwicklung mit 700 Wohneinheiten und ich hoffe, dass die Marktentwicklung und die steigenden Zinsen das Ganze nicht zum Stoppen bringen.

Für die Jägerkaserne, das andere große Wohnbauprojekt im Westen, haben wir das Vergabeverfahren abgeschlossen. Die EGP wird das übernehmen. Für den Bebauungsplan gibt es noch kleinere Fragen abzuklären, aber im Grunde ist das Thema gelöst.

Trier-West könnte in den nächsten Jahren zum Trendviertel werden. Sehen Sie die Gefahr einer Gentrifizierung?

Wir wollen die Leute natürlich nicht vertreiben und das haben wir mit der Aufwertung und den Ansiedlungen rund um die Gneisenaukaserne auch bewiesen. Man braucht die Durchmischung. In der Jägerkaserne ist ein Drittel sozialer Wohnungsbau vorgeschrieben und wir versuchen über die neue kommunale Wohnungsbaugesellschaft WIT, die zum Beispiel in der Magnerichstraße schöne Sanierungen gemacht hat, die Leute zu halten. Andererseits: Ein Quartier wie Bobinet tut dem Westen gut, denn es geht auch darum, den Stadteil weiterzuentwickeln und nach vorn zu bringen. In diesen Prozess müssen die Leute, die dort traditionell wohnen, inte-
griert werden. Ich glaube, es ist nach wie vor ein unterschätzter Stadtteil, der leider immer noch mit Vorurteilen zu kämpfen hat.

Der Ausbau der Radverkehrs-Infrastruktur hat sich in den letzten Jahren spürbar beschleunigt. Trotzdem gibt es Fahrradfans und Klimaschutzaktivisten, denen es nicht schnell genug geht. Wie begegnen Sie dieser Kritik?

In der Stadt fahre ich im Normalfall bei Entfernungen bis vier oder fünf Kilometer selbst mit dem Fahrrad. Daher weiß ich auch, dass es noch viele Schwachstellen gibt. Dennoch: Die Hälfte der Radwege, die jetzt im Trierer Netz vorhanden sind, sind in den letzten acht Jahren entstanden oder erneuert worden. Mein Nachfolger hat einige Förderbescheide für wichtige Projekte vorliegen, die wir erarbeitet haben und die er umsetzen kann. Wir haben zur Zeit im Bau den Radweg Metternichstraße und wir haben Bewilligungsbescheide über 2,7 Millionen Euro, um bis Ende 2024 die Moselradwege zu erneuern. Und es gibt die Ankündigung, dass an den neuen Haltepunkten an der Weststrecke mit Fahrradboxen, Fahrradservice-Stationen und Abstellanlagen eine mustergültige intermodale Anbindung geschaffen wird. Dem Stadtrat liegt jetzt noch ein Grundsatzbeschluss für die Verkehrsplanung rund um die Porta Nigra vor. Damit würden wir auch eine gute Lösung für die Anbindung der Engelstraße und von Trier-Nord bekommen. Diese Dinge brauchen Zeit, aber wir haben kontinuierlich daran gearbeitet.

Ein prägendes Ereignis im negativen Sinn war die Kyll-Flut 2021. Sie waren in Ehrang in der Hochwassernacht sozusagen live vor Ort.

Ich habe an diesem Tag die heftigen Regenfälle beobachtet und allen Leuten gesagt, dass sie sich für die Nacht bereithalten sollen. Um 22.15 Uhr kam der Anruf. Ich habe dann meineGummistiefel geschnappt und bin mit meinen Mitarbeitern Alexander Hammel und Wolfgang van Bellen raus nach Ehrang gefahren. Die größte Gefahr drohte zunächst an den drei Brücken: Wenn sich dort Treibgut sammelt und den Durchfluss verstopft, sucht sich das Wasser andere Wege. Alexander Hammel hatte die Idee, bei einem Unternehmer anzurufen, der uns dann mit seinem Schreitbagger sehr geholfen hat. Damit konnte das Treibgut von den Brückenpfeilern entfernt werden. In den Morgenstunden zeichnete es sich ab, dass das Wasser zurückgeht. Ich bin dann eigentlich mit einem guten Gefühl nach Hause gefahren, um mich drei, vier Stunden hinzulegen. Wie wir wissen, kam es leider anders.

Welche Lehren sollte Trier aus dem Geschehen ziehen?

Das Thema Hochwasser darf nicht von der Tagesordnung verschwinden. Wir hatten für Ehrang Schutz für ein 100-jähriges Ereignis, 2021 war aber ein 500-jähriges Hochwasser. Das kann keiner halten. Aber dennoch müssen wir uns der Aufgabe stellen, den Schutz im Rahmen der Möglichkeiten zu verbessern. Wir haben jetzt erstmal den Verlauf der Kyll bis Kordel neu vermessen. Auf dieser Basis wird untersucht, wo neue Mauern sinnvoll sind, wo vielleicht etwas abgerundet werden muss. Wir dürfen aber auch nicht den Fehler machen, dass jede Kommune vor sich hinwurstelt, sprich: Jeder mauert sich ein, das Wasser läuft ab und landet dann aber umso schneller in Zell, Koblenz oder Köln. Ich kann nur dafür werben, die Planungen aufeinander abzustimmen und einen Zweckverband mit den Landkreisen entlang der Kyll zu gründen. Wenn in Gerolstein oder Bitburg Retentionsflächen entstehen, dann hilft das auch Ehrang. Wir müssen den Fluss als Gesamtsystem begreifen.

Was planen Sie für die Zeit nach Ihrem Abschied aus Trier?

Natürlich ist es mir wichtig, jetzt wieder mehr Zeit mit meiner Familie in Kreuznach zu verbringen. Ich will mich aber aus dem Berufsleben nicht komplett zurückziehen und nur noch gärtnern. Als ich 2011 die Wahl in Kreuznach verloren habe, habe ich mich zunächst selbständig gemacht. Diese Firma könnte ich jetzt wieder aktivieren. Ich sehe ein Potenzial für Machbarkeitsstudien für größere Bauprojekte, wo gleichzeitig Expertise zum Tiefbau, zur Stadtplanung, zum Hochbau und zum Denkmalschutz gefragt ist. Was ist realistisch, was nicht und was kostet das ungefähr? Da sehe ich einen Markt und wenn mich jemand mit so einer Aufgabe betrauen möchte, würde ich mich nicht wehren.

Haben Sie in den acht Jahren in Trier einen Platz, einen Ort entdeckt, den Sie besonders ins Herz geschlossen haben?

Ich zeige allen meinen Besuchern die Krypta unter St. Matthias mit den Sarkophagen der ältesten Trierer Bischöfe und dem Apostelgrab. Da spürt man, was das Christentum bedeutet. Auch die römischen Gräberfelder unter St. Maximin habe ich für mich entdeckt. Das sind Stellen, die ich großartig finde. Ein weiterer Lieblingsort ist der Kreuzgang mit dem einzigartigen Blick auf den Dom und die Liebfrauenkirche.

Das Gespräch führte Ralph Kießling

Stationen

  • Andreas Ludwig wurde 1961 in Idar-Oberstein geboren. Er studierte von 1982 bis 1989 Architektur an der TU Kaiserslautern.
  • 1992 trat er als technischer Leiter der Bauabteilung bei der Kreisverwaltung Südliche Weinstraße in den Öffentlichen Dienst.
  • 1995 wurde er als Kandidat der CDU zum Baudezernenten in Bad Kreuznach gewählt. 2003 folgte die Wahl zum Oberbürgermeister der Stadt.
  • 2011 trat Ludwig zur Wiederwahl an, verlor aber gegen Heike Kaster-Meurer (SPD).
  • Von 2013 bis 2015 war Ludwig Bürgermeister mit dem Fachgebiet Bauen und Umwelt der Stadt Eisenach.
  • 2015 trat er die Nachfolge von Simone Kaes-Torchiani als Baudezernent in Trier an.