Sprungmarken
22.12.2015 | Interview mit Wolfram Leibe

"Entscheidungen müssen nachvollziehbar sein"

Foto: Wolfram Leibe in seinem Büro im Rathaus.
Wolfram Leibe in seinem Büro im Rathaus.
Zum ersten Arbeitstag von Triers neuem Oberbürgermeister Wolfram Leibe am 1. April dieses Jahres hatte der Deutsche Wetterdienst Unwettermeldungen herausgegeben. Hinter den Mauern des Rathauses am Augustinerhof ging es an diesem Tag mit dem neuen Chef von Rat und Verwaltung aber erheblich ruhiger zu. Ein Dreivierteljahr nach seinem Amtsantritt zieht Wolfram Leibe im RaZ-Interview eine erste Bilanz über die zurückliegende ereignisreiche Zeit.

RaZ: Herr Oberbürgermeister, können Sie sich noch daran erinnern, wie Sie sich gefühlt haben, als Sie an Ihrem ersten Diensttag das Rathaus als oberster Repräsentant der ältesten Stadt Deutschlands betraten?

Wolfram Leibe: Ja, das war ein Gefühl der Zuversicht und der Vorfreude, aber auch des Respekts vor einer neuen und sehr verantwortungsvollen Aufgabe.

Bei Ihrer offiziellen Amtseinführung am 24. März hat Ministerpräsidentin Malu Dreyer allgemein die Funktion eines Oberbürgermeisters als „Taktgeber“ beschrieben, dessen „Stil und Dynamik die Arbeitsweise der Verwaltung bestimmt“. Welche Zielvorstellungen haben Sie für die Stadtverwaltung Trier, der Sie vorstehen?

Wir wollen Dienstleister für die Menschen in unserer Stadt sein. Es läuft nicht alles perfekt, aber die aktuelle Flüchtlingsproblematik als große Herausforderung an die Verwaltung zeigt doch auch, wie leistungsfähig wir insgesamt sind. Ganz greifbar wird hier Verwaltung von der breiten Öffentlichkeit als existentiell notwendig und funktionstüchtig eingestuft. Das setzt natürlich qualifizierte, motivierte und zufriedene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Rathaus voraus. Mit ihnen gemeinsam möchte ich als Impulsgeber darauf hinarbeiten und die Verwaltung optimieren. Ich bin überzeugt davon, dass das Trierer Rathaus-Team viele Ideen zur Weiterentwicklung des Hauses hat.

Warum messen Sie so ausdrücklich der Kommunikation und Transparenz einen ganz hohen Stellenwert bei?

Beides sind nach meinem Verständnis Grundvoraussetzungen, um Entscheidungen der Verwaltung oder des Rates nachvollziehbar zu machen. Ohne Kommunikation und Transparenz kann ich keine Akzeptanz erwarten. Deshalb möchte ich die Gremien möglichst frühzeitig über aktuelle Entwicklungen informieren und in die Entscheidungsfindung einbinden. Kommunikation und Transparenz gelten für mich aber auch gegenüber der Öffentlichkeit und den Medien. Das erwarten die Menschen völlig zu Recht von einer modernen Verwaltung.

Im Stadtrat verfügen Sie als Sozialdemokrat bekanntlich über keine klare „OB-Mehrheit“, vielmehr gibt es eine „Verantwortungsgemeinschaft“ von CDU und Grünen. Wie klappt es da mit der Zusammenarbeit?

Sie funktioniert! Alle wichtigen Entscheidungen wurden von der großen Mehrheit des Rates mitgetragen, beispielsweise der Flächennutzungsplan, nachdem Andreas Ludwig, unser Baudezernent, sehr gute Vorarbeit geleistet hat. Der Stadtrat ist mir offen, fair und mit einem Vertrauensvorschuss gegenübergetreten. Und die offene, vertrauensvolle Zusammenarbeit ist auch meine Maxime. Das schließt Auseinandersetzungen über politische Inhalte ja nicht aus. Letztlich geht es immer um das Wohl unserer Stadt und nicht um irgendwelche Partikularinteressen.

Klassische Themen wie die Sanierung von Schulen und Hallen, die Verbesserung der innerstädtischen Mobilität, die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum, die Konsolidierung des maroden Haushalts oder Aspekte der Stadtentwicklung finden sich in Ihrer Antrittsrede wieder. Das aktuelle Megathema, die Flüchtlingsherausforderung – auch in unserer Stadt – zu meistern, taucht nicht auf. Wie beurteilen Sie die momentane Situation?

Das Thema ist ganz schnell zu der größten Herausforderung unserer Tage geworden. Ich bin da zuversichtlich, da alle Beteiligten, die Verantwortungsträger, aber eben auch die Bürgerschaft, mithelfen, die Sache zu meistern und die Not der Flüchtlinge zu lindern. Eine ganz spezielle Trierer Aufgabe sehe ich darin, den hier konzentriert untergebrachten unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen Schutz und eine Perspektive für ihre Zukunft zu bieten. Integration ist nicht nur eine Verpflichtung, sondern auch als eine Chance für unser Land zu verstehen. Ich bin richtig stolz darauf, wie die Menschen in unserer Stadt diese Herausforderungen annehmen und Aktivitäten des rechten Spektrums eine eindeutige Absage erteilen.

Dennoch stellt sich die Frage,wieviele Menschen überhaupt noch aufgenommen werden können?

Klar ist, dass unsere Aufnahmekapazität von maximal 3200 Personen in den beiden Aufnahmeeinrichtungen und der Personen, die während der Abwicklung ihres Asylverfahrens über längere Zeit in Trier wohnen werden, begrenzt ist. Die letztgenannte Gruppe umfasst momentan rund 700 Menschen. Pro Woche kommen etwa 50 Flüchtlinge hinzu. Für sie benötigen wir noch zusätzlichen Wohnraum. Wer hier weiterhelfen kann, sollte sich bitte bei uns melden.

Welche weiteren kommunalpolitischen Themen rangieren für Sie im kommenden Jahr ganz oben?

Eindeutig die Wohnungsproblematik. Wir haben die Zahl von 110.000 Einwohnern überschritten und die Frage nach bezahlbarem Wohnraum wird immer drängender. Hierzu werden, auch mit Unterstützung eines Programms der Landesregierung, die notwendigen Schritte vorbereitet. Die Umsetzung des Flächennutzungsplans ist hierbei eine Voraussetzung für zukünftige Projekte.

Was bereitet Ihnen die größten Sorgen?

Kein primär stadttrierisches Problem, aber eine bedenkliche Entwicklung, die auch Auswirkungen auf Trier haben wird: Es ist der aktuelle Zustand der EU. Ich habe das auch bei meinen Gesprächen mit den Oberbürgermeistern der QuattroPole-Städte Saarbrücken, Metz und Luxemburg gespürt. Die Europäische Union mit ihren großen Errungenschaften wird eigentlich nur noch als Krisenphänomen empfunden. Dabei ist ein funktionierendes Europa auch für unsere Stadt essentiell. Wir profitieren von den offenen Grenzen nach Luxemburg, Frankreich, Belgien oder Holland, vom Miteinander eines ungehinderten Austauschs auf annähernd allen Ebenen. Wenn der europäische Vereinigungsgedanke zurückentwickelt wird und nationalstaatliche Bestrebungen wiederbelebt werden, wird unsere Stadt spürbar an Attraktivität einbüßen.

Wie sieht es mit der Bahnanbindung Triers, dem sanierungsbedürftigen Gebäude und Umfeld des Hauptbahnhofs aus?

Mit diesen Themen habe ich mich seit dem ersten Tag meiner OB-Tätigkeit beschäftigt. Das sind zugegeben sehr schwierige Fragen und wir werden hier nur durch gemeinsames Auftreten des Landes, der Stadt und unter Mitwirkung unserer Bundestagsabgeordneten in Berlin weiterkommen. Dabei bleibt der Einfluss Luxemburgs mit seiner bedeutenden europäischen Hauptstadtfunktion gefragt. Immerhin gibt es jetzt inhaltlich und städtebaulich einen ersten Erfolg. Die Stadtwerke haben das Bahnhofsgebäude, in dem die Fahrradstation untergebracht ist, gekauft und werden es im Rahmen eines Ausbaus auf Vordermann bringen. Mit der Gesamtsanierung des Bahnhofbereichs, einer unbedingt wieder zu verbessernden Fernverbindung und dem Ausbau der Westrecke bleibt noch genug zu tun. Aber ich versichere: Wir bleiben dran.

Welchen Stellenwert hat für Sie die vieldiskutierte Anbindung der Innenstadt an die Mosel mit einer attraktiveren Gestaltung des Ufers, beispielsweise in Zurlauben?

Eine schönere Ufergestaltung und eine verbesserte Anbindung der Innenstadt an die Mosel stehen unverändert auf der Prioritätenliste. Und in Zurlauben ist ja auch schon einiges geschehen. Aber für die große Gesamtlösung fehlt das Geld. Ich möchte aber mit ganz konkreten Projekten, die wir auch umsetzen können, schrittweise spürbare Verbesserungen erzielen. Ich möchte einen Spielplatz an der Mosel haben. Weitere Ideen wären ein temporärer Sandstrand und ein Ausleger auf die Mosel. Und wir brauchen darüber hinaus eine attraktive Gestaltung der Flusslandschaft, etwa durch die kontinuierliche Pflege der Böschung.

An welche Ereignisse in den zurückliegenden neun Monaten Ihrer OB-Tätigkeit erinnern Sie sich besonders gerne zurück?

Da ist mir die Amtseinführung in der Europahalle in bester Erinnerung. Sehr gefreut habe mich über die Mitwirkung unseres Philharmonischen Orchesters. Die Leitung der ersten, von mir zu leitenden Stadtratssitzung war selbstverständlich auch ein ganz besonderes Erlebnis. Und als Basketballfan habe ich natürlich dem Saisonstart unserer „Gladiators“ entgegengefiebert, zumal ich nicht ganz unbeteiligt daran war, dass die Mannschaft nach dem Abstieg aus der ersten Liga wieder auf dem Spielfeld steht. Aber auch der 11.11. um 11.11 Uhr auf dem Kornmarkt mit dem Start in die närrische Session hat viel Spaß gemacht, genauso wie das Schmücken des Tannenbaums im Rathaus mit den Kindern der Kita Kernscheid. Man sieht, die Tätigkeit eines OB ist sehr abwechslungsreich.

Gibt es auch Dinge, die Sie überrascht haben?

Also, ich hätte nicht gedacht, wie man als Oberbürgermeister überall wahrgenommen wird. Die Menschen der Stadt würdigen es, wenn man sichtbar und direkt ansprechbar ist. Das spüre ich jeden Tag und das ist ein gutes Gefühl.

Welche Seiten haben Sie neu an Trier oder den Trierern entdeckt, seit Sie OB dieser Stadt sind?

Die Trierer sind sehr neugierig und wollen wissen, wie es mit ihrer Stadt weitergeht. Und sie wollen mit dem OB ins Gespräch kommen, ohne sich dabei aufzudrängen. Ich empfinde es geradezu als fürsorglich, wie man mit mir umgeht. Diese eher zurückhaltende Art schätze ich sehr. Man muss allerdings auch schon etwas investieren, um die Trierer von etwas zu überzeugen. Aber dann hat man sie auf seiner Seite.

Die OB-Tätigkeit ist mit einem überbordenden Terminkalender erfahrungsgemäß mehr als ein „Fulltime- Job“. Sind bei Ihnen zwischenzeitlich schon Hobbys „auf der Strecke“ geblieben und wie schaffen Sie es, abzuschalten?

Es stimmt: Die OB-Tätigkeit füllt einen total aus und manchmal hat selbst die Familie das Nachsehen. Für Theater- oder Konzertbesuche, aber auch für sportliche Aktivitäten fehlt einfach die Zeit. Aber das war mir und meiner Familie bewusst, als ich mich zur Wahl stellte. Es braucht mich auch niemand zu bedauern, wenn ich Termine beim vielzitierten Kaninchenzucht- oder Kleingartenverein wahrnehme. Im Gegenteil. Das sind oft die schönsten Termine. Die Leute freuen sich, wenn man zu ihnen kommt und damit ihr Engagement wertschätzt.

Verraten Sie uns noch, wie Sie die Feiertage verbringen und mit welchen guten Vorsätzen Sie ins neue Jahr starten?

Da gibt es zu Silvester seit vielen Jahren immer ein Treffen mit Freunden und deren Kindern aus Kiel. In diesem Jahr kommen sie zu uns. Und für das neue Jahr ist als guter Vorsatz ein freier Tag pro Wochenende für die Familie ganz klar gesetzt.

Das Gespräch führte Hans-Günther Lanfer