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29.04.2008

Das Interesse an Karl Marx hat nicht nachgelassen

Trier in zehn Jahren beim 200. Geburtstag wieder im Blickpunkt

Letzte Ruhestätte mit einem Blumenbouquet der Stadt Trier zur Erinnerung an den 125. Todestag.
Letzte Ruhestätte mit einem Blumenbouquet der Stadt Trier zur Erinnerung an den 125. Todestag.
2008 ist kein ausgesprochenes Karl Marx-Gedenkjahr, auch wenn mit dem 125. Todestag vor wenigen Wochen (14. März) und dem bevorstehenden 190. Geburtstag (5. Mai) zwei durchaus markante Daten zur Erinnerung an den 1818 in Trier geborenen Philosophen gegeben sind. Das merkliche Medienecho, das vor allem der „halbrunde Todestag“ hervorrief, lässt erahnen, was in zehn Jahren auf Trier zukommt, wenn der herausragende 200. Geburtstag des hier geborenen Sozialtheoretikers ansteht. Um zwei Uhr morgens soll Karl Marx in der damaligen Brückergasse 664, der heutigen Brückenstraße 10, das Licht der Welt erblickt haben. Sie sollte der spätere Revolutionär mit seiner Lehre verändern wie kaum ein anderer vor ihm.


Marx’ Lehre in neuem Licht
Schon am kommenden Wochenende werden aus Anlass des 190. Geburtstags in einem hochrangig besetzten Symposium der Trierer Universität und des „Luxemburger Instituts für Europäische und Internationale Studien“ Marxismus-Experten einmal mehr der Frage nachgehen, welche Bedeutung dem Werk des großen Sohnes unserer Stadt „für Europa und die Welt“ zukommt. Kaum vorstellbar, dass sich in zehn Jahren diese Frage nicht mehr stellen wird. Wer annahm, der Marxismus habe sich mit der Beendigung des Kalten Krieges endgültig von selbst erledigt, sieht sich getäuscht. Die weltpolitischen Veränderungen, vor allem die Globalisierung, lassen manche der Marxschen Theorien in einem neuen Licht erscheinen. Seine Thesen sorgen unverändert für lebhaften intellektuellen Gesprächsstoff. Das Scheitern der kommunistischen Systeme, die sich allzu plakativ und platt auf Marx berufen haben, hat auch dazu geführt, sich wieder unvoreingenommener mit den Inhalten seines Werkes auseinandersetzen zu können.

Marx und Trier
Auch in seiner Geburtstadt ist das Interesse an Karl Marx, wie die Veranstaltungen zum 125. Todestag gezeigt haben, keineswegs erloschen. Schon vor vier Jahren erklärten ihn die Triererinnen und Trierer in einer – wenn auch nicht repräsentativen – Umfrage aus Anlass des 2020. Geburtstages der Moselmetropole unangefochten zum „größten bzw. bekanntesten Sohn der Stadt“. Kaiser wie Augustus oder Konstantin, Geistesgrößen wie Friedrich Spee oder Oswald von Nell-Breuning blieb da keine Chance. Allerdings interessiert die Trierer in erster Linie der Mensch Karl Marx mit seinen Stärken, sympathischen Seiten und den allzu offensichtlichen Schwächen seiner an Widersprüchen reichen Biographie. Wie wuchs der junge Karl in der damals gerade einmal 12 000 Einwohner zählenden Stadt zwischen dem späteren Wohnhaus an der Porta Nigra und seinem Gymnasium im heutigen Priesterseminar an der Jesuitenstraße auf? Wie kann man sich seine frühe und langjährige Verbindung mit seiner großen Liebe und späteren Frau Jenny von Westphalen vorstellen? Vor allem aber: Welche sozialen und politischen Einflüsse prägten den jungen Mann in dieser auch von Not und Elend gekennzeichneten Stadt, aus der er mit 18 Jahren wegzog, um die Welt zu verändern?

Neue Schrift über Karl Marx
 Eine Antwort auf  diese und viele andere Fragen vermittelt die jüngst erschienene, 50 Seiten umfassende, reich bebilderte Schrift von Gabriela Böhm „Karl Marx – Revolutionär aus Trier“. Die Trierer Journalistin geht in klar gegliederter Form und mit gut lesbaren Texten komprimiert auf all das ein, was man als Trierer über den bedeutendsten Sohn der Stadt eigentlich wissen müsste bzw. schon immer erfahren wollte. Zwar bleibt die bereits 1973 erschienene grundlegende Studie von Heinz Monz über die Einflussfaktoren des jungen Marx in Trier unverzichtbar, um sich ein umfassendes Bild über die Situation mit ihren womöglich prägenden Faktoren im damaligen Trier auf den heranwachsenden Karl machen zu können, doch gelingt es auch Gabriela Böhm, knapp und mit treffsicheren Formulierungen viele Facetten des ereignisreichen und turbulenten Lebens von Karl Marx zu beleuchten. Dabei bleibt der Focus auf Trier und die Familie Marx gerichtet. Auf eine kurze Zusammenfassung der Grundzüge des Marxismus-Kommunismus wurde, wegen der Kompliziertheit und Komplexität des Werkes nachvollziehbar, verzichtet. 

Tod in London
Karl Marx starb am 14. März 1883 nach langjähriger Krankheit als staatenloser Exilant in London, wo er mit Unterbrechungen seit 1849 an verschiedenen Orten in sehr wechselhaften finanziellen Verhältnissen lebte. Seiner Beerdigung auf dem weit außerhalb des Zentrums im Norden Londons gelegenen „Highgate“-Friedhof wohnten lediglich elf Trauergäste bei, darunter sein Freund und Förderer Friedrich Engels. Zum großen Leid des nur äußerlich robusten Revolutionärs waren schon zwei Jahre vor ihm seine Frau und Lebensstütze Jenny  sowie die Mehrzahl seiner (wahrscheinlich) sieben Kinder gestorben. Aus gesundheitlichen Gründen hatte sich Marx außerstande gesehen, im Dezember 1881 an Jennys Beerdigung teilzunehmen. Engels, der quasi Familienstatus besaß, sprach auch hier die letzten Worte.

Karl Marx folgte seiner verstorbenen Frau in das von einer schlichten flachen Marmorplatte bedeckte einfache Grab, das abseits an einem schmalen Seitenpfad lag. Zu einer ersten von vielen nachfolgenden Großdemonstrationen zu Ehren des verstorbenen Philosophen kam es erst zum Jahrestag seines Todes. Doch den annähernd Sechstausend mit Marx’ Tochter Eleanor an der Spitze wurde der Zutritt auf den Friedhof verwehrt. Schon zu Lebzeiten war Marx als „notorischer deutscher Agitator“ von den britischen Behörden überwacht worden.

Monumentale Büste
Seine bislang letzte Ruhestätte sollte Marx allerdings erst 1956 finden, als die sterblichen Überreste des Familiengrabes an einen besser zugänglichen und repräsentativeren Ort des Highgate-Friedhofs übergeführt wurden. Auf Initiative der Kommunistischen Partei Großbritanniens wurde an der breiten Nord-Ost-Weggabelung ein pompöses Monument errichtet. Der unübersehbare Granitblock, in den die beschriftete Marmorplatte des ersten Grabes eingelassen ist, wird von einem überdimensionalen Marx-Bronzekopf, ein Werk des Bildhauers Laurence Bradshaw, gekrönt. Unterhalb der Büste befindet sich in goldenen Grossbuchstaben auf Englisch der Schlussaufruf aus dem von Marx und Engels verfassten Kommunistischen Manifest „Proletarier aller Länder vereinigt Euch!“ Oberhalb des Sockels wird an Marx’ These erinnert, wonach es entscheidend ist, die Welt zu verändern und sie nicht nur durch Philosophen unterschiedlich zu interpretieren.

Pilgerstätte Highgate
So wie das Karl Marx-Haus in Trier als Geburtsort, so ist die letzte Ruhestätte des Philosophen und Sozialrevolutionärs auf dem Londoner Highgate-Friedhof zu einer Pilgerstätte von Marx-Verehrern und Neugierigen aus der ganzen Welt geworden. Während jedoch in der Moselmetropole die vielen Hinweisschilder, die zum Museum in der Brückenstraße führen, kaum zu übersehen sein dürften, sind zum Auffinden des Marx-Grabes auf dem von einer privaten Freundesorganisation betreuten, romantisch-verwilderten östlichen Teil des „Highgate-Cemetery“ Pfadfinder-Qualitäten geragt. Steht man schließlich vor dem Grab des „großen Sohnes unserer Stadt“, wähnt man sich fast wie zu Hause: Denjenigen, die hierher gekommen sind, ist Trier als Geburtsstadt des berühmten Kapitalismuskritikers fast allen ein Begriff. Viele haben seinen Geburtsort bereits besucht und einige wollen in zehn Jahren zum 200. Geburtstag wiederkommen.

Zum „Highgate Cemetery“, auf dem insgesamt sechs Mitglieder der Marx-Familie sowie viele andere Exilanten beerdigt sind, fährt man am besten mit der Nothern Line der Londoner U-Bahn bis „Archway“. Von dort zu Fuß die „Highgate Hill“-Straße hoch und durch den Waterlow Park (links) zur „Swans Lane“-Straße (ca. 15 Minuten). Nur der östliche Teil des verwunschenen Friedhofs ist ohne Führung zugänglich (Eintritt drei Pfund, werktags 10 bis 17 (Sommer)/16 Uhr, Wochenende 11 bis 17/16 Uhr; www.highgate-cemetery.org