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17.11.2015

Die Schlipsfarbe zeigt die Zunft an

OB Leibe mit Wandergeselle Tim Klütz
Der Tischler Tim Klütz ist seit einem Jahr und zwei Monaten auf der Walz. OB Wolfram Leibe empfängt ihn in seinem Büro und überreicht dem jungen Mann eine kleine Reiseunterstützung.
Jeden Monat kommen etwa zwei bis drei Wandergesellen, die auf der Walz sind, in das Vorzimmer des Oberbürgermeisters, um dort einen Obolus für ihre weitere Reise zu erbitten. Drei Jahre und einen Tag müssen sie unterwegs sein, um die strengen Vorgaben ihrer Zunft einzuhalten.

Tim Klütz ist als „rechtschaffener Fremder“ auf der Walz und vertritt damit eine von vier Zunft-Vereinigungen der Handwerksgesellen. An diesem Tag im November ist er zu Besuch im Rathaus, um sich vorzustellen und er hat Glück. Wolfram Leibe begrüßt ihn persönlich und nimmt sich sogar die Zeit für ein Foto in seinem Büro. Eine Ausnahme, denn im Jahr kommen einige hierher und erhalten ein kleines Wegegeld.

Auf den ersten Blick sehen alle gleich aus. Auch Klütz trägt die schwarze, robuste Kluft der Wandergesellen:  Manchesterhose und -weste mit acht Knöpfen, für den Acht-Stunden-Arbeitstag. Darunter die Staude, das kragenlose Bliesenhemd mit schwarzem, gehäkeltem Schlips, auch „Ehrbarkeit“ genannt. Nur wer im Besitz eines Gesellenbriefes, nicht älter als 30 Jahre alt, unverheiratet, kinderlos, schuldenfrei und nicht vorbestraft ist, darf die „Ehrbarkeit“ tragen. Die Farbe des Schlipses zeigt die Zunft an. Als Tischlergeselle trägt Klütz eine Krawattennadel mit seinem Handwerkssymbol, dem Zirkel mit Hobel. Das gleiche Symbol trägt er auf der Koppel seines Gürtels. Zur Kluft gehört auch der Hut als Zeichen des freien Mannes, der nur zum Essen und Schlafen abgenommen wird. Tim Klütz trägt die Melone, Zimmerleute den Schlapphut, Maurer und Steinmetze einen Zylinder. Mit seinem gedrehten Stock, dem „Stänz“, ist Klütz, der aus Heide in Norddeutschland kommt, schon seit einem Jahr und zwei Monaten unterwegs. Fast die Hälfte seiner Zeit hat er schon geschafft. Die hohen Anforderungen der Handwerksgesellen auf der Walz besagen, dass man sich seinem Heimatort nicht mehr als 50 Kilometer nähern darf. Auch ein Handy ist tabu. Geschlafen wird dort, wo man unterkommt. Das Gepäck von Klütz ist übersichtlich. Im „Scharlottenburger“ auch „Chary“ genannt, einem quadratischen bedruckten Tuch, hat er sein Hab und Gut zusammengeschnürt.

800 Handwerksgesellen sind deutschlandweit unterwegs, davon zehn Prozent Frauen. In der zweiten Hälfte ihrer Wanderjahre gehen sie ins Ausland, um die dortigen Fertigkeiten kennenzulernen. Diese Erfahrungen seien Gold wert, so Klütz, denn viele Techniken seien in Deutschland nicht mehr so geläufig. 

Für Tim Klütz und seine Kolleginnen und Kollegen auf der Walz beginnt jetzt die unangenehme Zeit des Jahres, in denen ihnen Kälte und die frühe Dunkelheit immer wieder zu schaffen machen. Sein nächstes Ziel Dresden darf er nur zu Fuß oder per Anhalter erreichen. Geld dafür darf er nicht ausgeben. In seinem Wanderbuch, in dem Arbeitszeugnisse und Siegel der besuchten Städte gesammelt sind, ist noch Platz für viele weitere Ziele. An Weihnachten trifft er sich mit anderen Gesellen. Ort und Zeit  hierfür sind schon lange ausgemacht. Jac