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18.12.2007

Jugendliche sind politisch anders

Jugendliche als Stadträte: Schülerinnen der neunten Klasse vom AMG erfuhren 2006 in ihrem Unterricht am Originalschauplatz im Rathaussaal, wie politische Entscheidungen in der Kommune fallen.
Jugendliche als Stadträte: Schülerinnen der neunten Klasse vom AMG erfuhren 2006 in ihrem Unterricht am Originalschauplatz im Rathaussaal, wie politische Entscheidungen in der Kommune fallen.
Mit überraschenden Thesen konfrontierte Dr. Waldemar Vogelgesang, wissenschaftlicher Angestellter im Fach Soziologie an der Universität Trier, die Zuhörer bei seinem Vortrag über „Kommunalpolitisches Interesse und Partizipationsmöglichkeiten Jugendlicher“ im Rahmen der Reihe „Bürgerbeteiligung in der Kommunalpolitik“. Ausgangspunkt der mannigfach dargelegten empirischen Daten und eigenständigen Analysen war die Frage, ob die heutige Jugend, wie oft aufgezeigt, tatsächlich politikverdrossen ist. Nach Vogelgesangs umschriebener Antwort sind die Jugendlichen „nicht unpolitisch, sondern anders politisch“. Weder das soziale Umfeld, noch die soziale Umwelt sei ihnen gleichgültig. „Allerdings lehnen sie die herkömmlichen politischen Strategien, Institutionen und
ihre Repräsentanten beinahe kategorisch ab.“ Als Konsequenz für partizipatorische Tätigkeitsfelder und Handlungsmuster bedeute dies „eine Verlagerung von politisch-gesellschaftlichen zu ehrenamtlich-gemeindlichen Beteiligungsformen“.

Brüche und Widersprüche

Das politische Anderssein bedeute keinen Sonderweg jenseits der demokratischen Ordnung, doch weise die eingeschlagene Richtung „Brüche und bisweilen auch Widersprüche auf, die auf eine starke Verunsicherung im Umgang mit Formen und Personen institutionalisierter Politik“ verweisen würden. Zu konstatieren seien einerseits ein geringes Vertrauen in Parteien und ihre Repräsentanten, Kritik an intransparenten Entscheidungsabläufen, andererseits aber auch geringe Wahlbeteiligungen im Gegensatz zur immer wieder bekundeten Wahlabsicht.

Kurzfristige Bindungen

Vogelgesang untermauerte seine Thesen zum andersartigen politischen Verhalten von Jugendlichen mit den Ergebnissen einer Befragung Waldracher Jugendlicher im Rahmen des Projekts „Jugend und Partizipation im ländlichen Raum“ und parallel mit den Erkenntnissen der jüngsten Shell-Jugend-Studie. So seien in ländlichen Regionen Eltern, Vereine und Lokalmedien wichtige Instanzen der politischen Bildung und Partizipation. Bei (Land-) Jugendlichen zeige sich der eigene Weg der politischen Beteiligung vor allem in direkten und unkonventionellen Formen. Jugendliche „präferieren die spontane und ergebnisorientierte Aktion, die an konkreten Aufgaben oder Problemen ansetzt“, so Vogelgesang in seinem Thesenpapier. Die von Spaß, Geselligkeit und Abgrenzung gekennzeichneten Maßnahmen hätten durchaus Initialcharakter für Wiederholungen, Verstetigungen und Themenerweiterungen, doch fänden „längerfristige Bindungen und Festlegungen, wie sie für die Mitarbeit in Bürgerinitiativen, Jugendparlamenten oder Parteien charakteristisch sind, kaum Zuspruch“.

Heterogene Formen

Insgesamt habe man es mit sehr heterogenen Formen der Beteiligungskultur zu tun. So sei das Politikverständnis der (Land-)Jugendlichen „lebensweltbezogen“. Dies werde bei Themen wie Arbeit und Arbeitslosigkeit, die für die Jugendlichen von existentieller Bedeutung für die eigene Zukunft seien, greifbar. Darüber hinaus gebe es in ihrem sozialem Nahbereich eine Fülle  gruppen- und gemeinwesenorientierter Aufgaben, um die sich die Jugendlichen kümmern würden, „auch wenn sie es vielfach nicht Politik nennen“.Vogelgesang beschrieb im Einzelnen die vielfältigen Handlungsfelder ehrenamtlichen Engagements von Jugendlichen, wobei er die Aktivitäten als „eine Form des Austauschs und der Begegnung und oft auch des gemeinsamen Spaßhabens“ charakterisierte. Das hierbei entstehende Solidaritäts- und Gemeinschaftsgefühl würde von den Jugendlichen bewusst auch „als Gegenentwicklung zur wachsenden Unpersönlichkeit und Anonymität des Zusammenlebens gesehen“. Im sozialen, kulturellen oder ökologischen Bereich böten sich den Jugendlichen in großer Zahl Anknüpfungspunkte für gemeinschaftliches Handeln, auch wenn man dabei nicht selten lieber unter sich bleiben wolle.

Chance der Politik

Im Hinblick auf die Wahrnehmung und Stabilisierung der für das politische System unverzichtbaren demokratischen Strukturen sieht Vogelgesang für die Politik die Chance, die Beteiligungs- und Leistungsbereitschaft von Jugendlichen zu mobilisieren. Dies bleibe jedoch erfolglos, wenn nur die Einfügung in vorgegebene Strukturen gefordert werde. Konservative Appelle allein blieben wirkungslos. Auch werde die politische Mobilisierung nicht gelingen, wenn das politische Ideal allzu sehr dem wirtschaftlichen Druck weiche. „Die moralischen Ansprüche an Politik sind gestiegen, dies ist der positive Kern der so genannten Politikverdrossenheit. Den moralischen Anspruch jugendlichen Lebens wird letztlich nur aktivieren können, wer deutlich macht, dass die Gesellschaft aktive Jugendliche als Ergänzung oder Korrektur von Marktmechanismen und institutionellen Regelungen braucht“, lautet die Abschlussthese Vogelgesangs über das kommunalpolitische Interesse und die Partizipationsmöglichkeiten Jugendlicher.
  • Nächster Vortrag: Prof. Bernd Hamm: „Neue Formen der Demokratie unter Bedingungen der Globalisierung“, Dienstag, 15. Januar, 19 Uhr, VHS-Bildungszentrum, Domfreihof, Raum 5.