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13.08.2007

Mit den Römern auf Du und Du

Schwer bewaffnet marschiert eine Kohorte quer durch das Marschlager in den Kaiserthermen. Mit ihren spitzen Speeren scheint sie die Besucher zu bedrohen.
Schwer bewaffnet marschiert eine Kohorte quer durch das Marschlager in den Kaiserthermen. Mit ihren spitzen Speeren scheint sie die Besucher zu bedrohen.
"Wie weit kannst du zählen? Bis 100? Das reicht.“ Elisabeth Runau betreibt einen Stand im römischen Vicus. Vor ihrem Zelt steht ein dampfender Kessel, im Kreis darum kleine Besucher mit Stöcken in der Hand, Lange braune Wachszöpfe hängen daran. Hier werden Kerzen gezogen. Und nur wer bis 30 zählen kann, darf mitmachen, aber ganz so streng ist die Frau in dem römischen Gewand dann doch nicht. Einmal eintauchen in den Kessel, bis 30 zählen, kurz herausziehen und erneut ab in den Kessel mit dem Stöckchen. Allerhand Geschick, aber auch Geduld muss aufgebracht werden, um eine Kerze von Hand herzustellen. 15 bis 20 Mal wiederholt sich das ganze, bis die Kerze fertig ist. So viel Geduld hat der sechsjährige Robin nicht. Stolz zeigt er, während sein Vater gewissenhaft bis 30 zählt, die Münze mit dem Abbild des römischen Gegenkaisers Magnentius, die er selbst zuvor geprägt hat. Es gibt so viel zu entdecken in den Kaiserthermen beim Römerspektakel „Brot und Spiele“.

Jede Menge Gedränge herrscht gegenüber vom Kerzenstand. Der fünfjährige Johannes probiert sich dort beim Bogenschießen aus. „Ultraschwer“ ist es, den Bogen zu spannen, sagt er. Konzentriert fokussiert er das Ziel, ein Wildschwein aus Plastik in etwa zehn Metern Entfernung. Knapp vorbei geht der erste Versuch, aber bloß nicht verunsichern lassen. Wieder spannt Johannes den Bogen und konzentriert sich auf sein Ziel. Treffer! Der zweite und der dritte Schuss sitzen! Das Wildschwein wäre erlegt. So viel ist sicher.
 
Derweil legt die achtjährige Luise eine Tunika an. Mehrere Schichten hat das römische Gewand. „Ganz schön warm“, meint Luise, aber tapfer wird auch die nächste Schicht der Wollkleidung übergezogen. „Es ist toll, dass man hier so viel ausprobieren kann“, meint sie. Was für die junge Dame
eine schicke Tunika ist, ist für den Herrn das Kettenhemd. Wie schwer das wiegt, probiert der neunjährige Philipp aus. Noch ein Helm und ein Schwert – und gut gerüstet ist der junge Legionär zum Aufbruch aus dem Marschlager. Aber kurze Hose und T-Shirt sind dann doch etwas praktischer. Doch ganz gut, kein römischer Legionär zu sein.

Viele kleine Zelte stehen am Rand der Kaiserthermen. Die Legionen haben hier ihr Marschlager errichtet. In wallenden Gewändern, mit braunen Ledersandalen an den Füßen und einem Waffengürtel um die Taille haben sie es sich vor dem Zelt bequem gemacht und bereiten auf einem heißen Stein ihr Mittagessen zu. Immer wieder brechen Legionen zum nahe gelegen Exerzierfeld auf oder marschieren im Gleichschritt quer durch das Lager. Schilde, Schwerter und Speere, reich verzierte Ausrüstungen, mit aufwändigen Wappen bemalt, sind zu bestaunen. Dabei heißt es, vorsichtig sein. Nicht, dass man den meterlangen Speeren in die Quere kommt.

„Hier kann man jeden fragen und bekommt den römischen Alltag erklärt“, zeigt sich eine Familie aus Trier begeistert über die freundliche Art der Akteure. Ein Legionär der Römerkohorte Arenacum klärt die Familie über das Lagerleben auf. Am Eingang seines Zelts ist allerlei angebracht: Feldflaschen, Ledertaschen und ein Topf aus Messing, Sarcina nennt sich das Marschgepäck der Römer. „In der Pera hat der Römer alle wichtigen Dinge verstaut, Handy, Fotoapparat und Taschenrechner“, scherzt der Legionär und deutet auf die Ledertasche.

Ganz in der Nähe feuern jubelnde Massen die Reiter der Gruppe Timetrotter an, die in rasendem Tempo über den Platz jagen. Aus vollem Ritt schleudern sie Speere auf die Heuballen in der Mitte des Platzes. Die große Wucht lässt den Ballen bereits nach dem zweiten Wurf umstürzen. Auch die militärischen Übungen begeistern das Publikum. „365 Tage im Jahr trainierte ein römischer Legionär, etwa zehn Stunden am Tag, wenn gerade keine Kämpfe stattfanden“, erklärt ein Sprecher. Weiter geht die aufregende Zeitreise im Amphitheater, in dem die Gladiatorenkämpfe stattfinden. Kaiser Konstantin lässt in der Arena anlässlich seiner Hochzeit mit Fausta Kämpfe stattfinden. Die Tribünen sind voll besetzt. Genau gegenüber den Zuschauerrängen nimmt die kaiserliche Familie in der Loge Platz. Max und Tobi sind mit ihren Eltern aus Essen angereist und warten schon gespannt auf die Kämpfer. Nichts hält sie auf den Sitzen in der ersten Reihe, sie müssen noch näher an das Spektakel heran. Ein guter Platz ist der Boden direkt vor der Absperrung. Der sechsjährige Max  ist bereits zum zweiten Mal dabei und weiß daher Bescheid über den Ablauf: „Bei den Kämpfen zerdrücken die Gladiatoren Kapseln und dann kommt Blut heraus. Aber kein echtes, nur Kunstblut“, verrät er seinem kleinen Bruder.

Auch wenn es bei den Kämpfen der Mailänder Gladiatoren vom Institut „Ars Dimicandi“ nicht mehr um Leben und Tod geht, warten die Brüder ungeduldig auf die Kämpfe. Die Intrigen, die oben auf der Bühne in der kaiserlichen Loge gesponnen werden, interessieren die Jungs weniger. Sie möchten die Gladiatoren kämpfen sehen. Blauer oder weißer Lendenschutz? Welcher Gladiator wird den Sieg erringen? „Ich wette auf beide“, erklärt Max und freut sich schließlich mit dem „blauen“ Gladiator, der den Sieg davon getragen hat. Auch das übrige Publikum beteiligt sich an dem Spektakel, indem es die Kämpfer lautstark anfeuert und per Handzeichen über Leben und Tod des Verlierers mitentscheidet. Viele ausgestreckte flache Hände sind zu sehen. Das Publikum fordert den Tod des Unterlegenen. Allerdings liegt die letzte Entscheidung bei Konstantin. Der verschont den Kämpfer, zur Überraschung der Zuschauer. Ging er doch, wie die Inszenierung herausstellt, mit seiner eigenen Familie weitaus weniger zimperlich um.

Die Spannung steigt erneut. Die finale Schlacht zwischen Römern und Franken steht kurz bevor. Nichts hält die beiden Jungs auf dem Boden, aus nächster Nähe möchten sie dabei sein, wenn es los geht. Es klirrt und kracht. Pfeile werden geworfen, Schwerter geschwungen, Schilde prallen gegeneinander. „Getroffen, Einer wurde getroffen“, ruft Tobi aufgeregt. Tatsächlich hat es einen Kämpfer des Frankenstammes erwischt. Nicht nur Kunstblut spritzt bei dieser Vorstellung. Doch wie der Sprecher anschließend versichert, habe sich der Franke bloß eine Fleischwunde zugezogen und keine schweren Verletzungen davongetragen. Ein versöhnlicher Ausgang dieses aufregenden Tages, an dem es sowohl für kleine wie große Römerfans einiges zu entdecken gab.

Verena Thimme