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13.03.2007

"Eine Stadt ist wie ein Organismus"

Trier ist die älteste Stadt Deutschlands und kann es beweisen: Diese Holzscheibe aus einem Pfahl der Römerbrücke, die OB Schröer im April 2005 überreicht wurde, konnte mit Hilfe der Dendrochronologie auf das Jahr 17 v. Chr. datiert werden.
Trier ist die älteste Stadt Deutschlands und kann es beweisen: Diese Holzscheibe aus einem Pfahl der Römerbrücke, die OB Schröer im April 2005 überreicht wurde, konnte mit Hilfe der Dendrochronologie auf das Jahr 17 v. Chr. datiert werden.
Als ich 1989 OB wurde, hatten wir am Viehmarkt ein großes Loch, aber keinen Bebauungsplan“, erinnert sich Helmut Schröer. Die Hängepartie um den Bau einer neuen Tiefgarage, bei dem unverhofft eine römische Thermenanlage entdeckt wurde, begleitete die Trierer Kommunalpolitik rund zehn Jahre. „Es war letztlich eine nationale Aufgabe, diese Kulturgüter zu bewahren“, sagt der scheidende OB heute. Damals gab es Widerstände gegen eine vermeintlich nutzlose dritte Therme in Trier, später auch gegen den vom Volksmund als „Ungers-Vitrine“ bezeichneten Glas-Kubus über der Anlage. Schröer dagegen ist heute noch „stolz, dass wir den weltbekannten Architekten Oswald Ungers nach Trier holen konnten“ und verweist darauf, dass Ungers’ Entwurf von einer Wettbewerbsjury ausgewählt wurde.

Eine weitere „Wunde“ in der Innenstadt, die Schröer Anfang der 90er Jahre „unheimlich beschäftigt“ hat, war der Domfreihof. „Dieser Platz war bei weitem keine adäquate Umgebung für die Weltkulturerbestätten Dom und Liebfrauen“, stellt Schröer fest. Aus dem Domfreihof sollte ein Architekturplatz werden, mit einem Panoramablick nicht nur auf die Doppelkirche, sondern auch auf die angrenzenden Kuriengebäude und das – damals noch sanierungsbedürftige – Palais Walderdorff. So hatte es die von Baudezernent Peter Dietze einberufene Platzkommission aus Experten und Kommunalpolitikern fast einstimmig beschlossen. Unabdingbar für dieses Konzept war die Abholzung der großen Platanen auf dem Domfreihof – und damit nahmen die Turbulenzen ihren Lauf. Das Jahr 1994 war geprägt von heftigen Protesten der Umweltschützer, Baumbesetzungen, gar Drohungen gegen den „Platanenmörder“ Schröer. „Doch der Stadtvorstand konnte sich stets auf eine große Mehrheit im Stadtrat stützen“, betont der OB. Unterdessen drängte die Zeit, denn der Domfreihof sollte zur Heilig-Rock-Wallfahrt 1996 fertig sein. Nachdem ein Gerichtsbeschluss der Stadt grünes Licht signalisiert hatte, wurden die Bäume schließlich im September 1994 gefällt. „Es ist eine wichtige Eigenschaft eines Politikers, in einer schwierigen Situation Entscheidungen herbeizuführen“, kommentiert Schröer heute das damalige Vorgehen. Danach habe sich die Diskussion auch schnell gewandelt, weil viele Trierer „plötzlich ein altes Gebäude, nämlich den Dom, zum ersten Mal richtig wahrgenommen“ haben. „Ich bin überzeugt, dass eine große Mehrheit den Domfreihof heute gut findet.“

Stark verbesserte Urbanität

Viehmarkt, Domfreihof und auch der 2003 umgestaltete Kornmarkt haben nach Schröers Überzeugung die Urbanität der Trierer Innenstadt stark verbessert. Entscheidend sei gewesen, die Plätze den Fußgängern zurückzugeben, aber gleichzeitig mit neuen Parkmöglichkeiten am Alleenring dafür zu sorgen, dass die Innenstadt auch für Autofahrer erreichbar bleibt. „Eine ideologische Verkehrspolitik im Sinne einer autogerechten oder autofreien Innenstadt halte ich für völlig falsch.“
Eine urbane und zugleich historisch geprägte Fußgängerzone, in der das Einkaufen zum Erlebnis wird – das ist für Schröer ein wichtiger Standortfaktor im Wettbewerb der Städte um die besten Köpfe. „Trier muss attraktiv bleiben, damit junge Leute nicht wegziehen und Uni-Absolventen hier bleiben.“ Ein ähnlich zentrales Alleinstellungsmerkmal im Trierer Stadtmarketing ist das Prädikat „älteste Stadt Deutschlands“. Um die Zeugnisse der mehr als 2020jährigen Geschichte stets mit neuem Leben zu erfüllen, engagiert sich das Rathaus bei der Konstantin-Ausstellung, beim Römerfestival Brot und Spiele und seit 1998 bei den Antikenfestspielen. „Antike Stoffe in antiken Stätten“ – wenn es nach Schröer geht, sollte dieses von Festspielgründer Heinz Lukas-Kindermann ausgerufene Motto auch weiter strikt befolgt werden. „Nur wenn wir weiter dieses klare Profil schärfen, können wir uns in der ausufernden deutschen Festspiellandschaft positionieren.“

Die Antikenfestspiele schlagen den Bogen von der Geschichte zur Kultur – einem weiteren entscheidenden Faktor für die Attraktivität und Unverwechselbarkeit einer Stadt. Der frühere Wirtschaftsdezernent Schröer sah sich zu Beginn seiner Amtszeit als OB dem Verdacht ausgesetzt, er würde Kulturpolitik nur unter dem Gesichtspunkt der Profit-Maximierung betreiben. „Das entspricht überhaupt nicht meiner Vorstellung von Kommunalpolitik. Eine Stadt ist wie ein Organismus, der nur gesund bleiben kann, wenn alle einzelnen Organe gesund sind.“ Im Unterschied zu früheren Zeiten habe es in seiner Amtszeit keine Diskussion um die Schließung des Theaters gegeben, betont Schröer. „Das wäre für mich nie in Frage gekommen.“ Schon als Wirtschaftsdezernent hatte Schröer an der Umwandlung des städtischen Schlachthofs zur Kunstakademie mitgewirkt. „Fleisch oder Kunst“ – so lautete das Motto der damaligen Diskussion. Letztlich war es, so Schröer, ein „Segen“, dass der unrentable Schlachthof mit einem jährlichen Defizit von rund 200 000 Mark zugunsten einer europäischen Bildungseinrichtung geschlossen wurde, die mittlerweile über 2 000 Kursteilnehmer pro Jahr verzeichnet.

Immer wieder ging es darum, günstige Rahmenbedingungen für das vielfältige kulturelle Leben in Trier zu schaffen. Dabei seien die vielen Chöre und die alternative Szene in Tufa, Exhaus oder Forum genauso wichtig wie die großen Institutionen Theater oder Stadtbibliothek. Mit dem Ausbau des Simeonstifts konnte zum Ende der Amtszeit Schröers noch eine große Kultur-Baustelle ad acta gelegt werden: „Dank der Konstantin-Ausstellung haben wir auf einmal eine großartige Museumsinfrastruktur bekommen.“

Quantensprung Arena

Einen ähnlichen Quantensprung erlebte die Sportstadt Trier 2003 mit dem Bau der Arena.  „Sie ist eine wichtige Zukunftsinves-tition für unsere Stadt, die damit eine der funktionalsten Mehrzweckhallen in ganz Deutschland besitzt“, betont Schröer. Überhaupt sei der Sport als Standortfaktor kaum zu überschätzen: „Unsere Spitzenklubs, die übrigens alle aus gewachsenen Vereinsstrukturen hervorgegangen sind, sind wichtige Werbeträger und schaffen attraktive Freizeitangebote.“ Dass sein Herz für Eintracht Trier schlägt – daraus macht der einst ambitionierte Hobbyfußballer keinen Hehl. Schon 1979 musste die Stadt mit einem direkten Zuschuss dem finanziell angeschlagenen SVE unter die Arme greifen. Seit dieser Zeit sitzt Schröer im Beirat des Vereins – und rückte 1999, während der durch den Doerfert-Skandal verursachten Insolvenz, für einige Wochen de facto in den Chefsessel auf. Mit dem Trierer Urgestein Paul Linz als Trainer glückte der Neuaufbau, der 2002 zur Rückkehr in die zweite Bundesliga nach 21 Jahren führte.

Trotz des zwischenzeitlichen Rückfalls in die Oberliga bleibe Fußball ein großer Marketingfaktor, unterstreicht Schröer. Aber die TBB-Basketballer und Handball-„Miezen“ werden deshalb nicht vernachlässigt. „Beide Mannschaften standen mehrmals finanziell vor dem Aus und beide konnten sich in diesen prekären Situationen stets auf die Unterstützung der Stadt verlassen.“ Die größte Fördermaßnahme war zweifellos der Bau der Arena, in der die beiden Teams ihre Bundesliga-Heimspiele austragen. Die Wolfsberghalle war dem Ansturm der Handball-Fans auf Dauer nicht gewachsen und die Basketballer hätten mit der Halle am Mäusheckerweg keine Lizenz mehr bekommen.

Hat der Breitensport unter der Förderung des Spitzensports gelitten? Mit rund 25 000 Vereinsmitgliedern habe der Breitensport eine „überragende soziale Funktion“, bestätigt Schröer. Doch nach seiner Meinung lassen sich die beiden Bereiche nicht auseinanderdividieren. „Gerade die Jugend braucht Vorbilder und wenn es die vielleicht sogar im eigenen Verein gibt – umso besser. Übrigens spielen und trainieren in der Arena nicht nur die Profis, sondern auch viele Amateurmannschaften“, unterstreicht der OB.

Altstadtfest und Weihnachtsmarkt

Auch Veranstaltungen und Feste können das Profil einer Stadt schärfen. Zu Beginn der 80er Jahre brachten der Weihnachtsmarkt und das Altstadtfest neues Leben in die Fußgängerzone. 1994 kam das Europa-Volksfest im neuen Messepark in den Moselauen hinzu. Gerade der Weihnachtsmarkt „war von Anfang an eine große Erfolgsgeschichte“, erinnert sich Schröer. Immer mehr Besucher kommen aus dem benachbarten Ausland, um die Atmosphäre auf dem Hauptmarkt und Domfreihof zu genießen. Sie bescheren dem Fremdenverkehr eine echte Wintersaison, die es früher nie gab. Zwar ist das Altstadtfest mindestens so beliebt wie der Weihnachtsmarkt, dennoch wünscht sich Schröer hier für die nächsten Jahre „einen neuen Ansatz und etwas mehr Qualität mit Musik für alle Bevölkerungsgruppen.“

Es wäre jedoch nach Ansicht Schröers gerade in Trier ganz falsch, einseitig auf die Belebung der Innenstadt zu setzen: „Trier ist eine Stadt der kleinen Einheiten, Identifikation entsteht zumeist und zuerst in den Stadtteilen, wo sich die Bürger direkt einbringen können.“ Die Rahmenpläne, die seit 1997 unter Beteiligung der Bürger für alle 19 Ortsbezirke erstellt werden, seien ein wichtiges Instrument, die Stadtteile mit ihren jeweils einzigartigen Strukturen weiterzuentwickeln. Die Umsetzung der meisten Projekte sei allerdings nur langfris-tig möglich. „Entscheidend ist, dass wir in Zeiten knapper Kassen wissen, welche Prioritäten die Bürger haben“, betont Schröer. Bürgerbeteiligung ist für den scheidenden OB auch ein wichtiges Stichwort beim Thema Senioren. „Ich bin überzeugt, dass ältere Menschen nicht nur versorgt werden wollen. Nein, sie wollen Anteil nehmen und sich einbringen. Hier verfügt Trier mit dem Seniorenrat, dem Seniorenbüro und dem gerade neu aufgelegten Seniorenwegweiser über geeignete Strukturen.“

Geschichte, Kultur, Sport, Urbanität, enge Beziehungen zu den Nachbarn in Luxemburg und Frankreich – mit diesen Pfunden kann Trier am Ende der Amtszeit von Helmut Schröer im Wettbewerb der Städte punkten. So kann es vielleicht gelingen, die prognostizierten Verluste durch den allgemeinen Bevölkerungsrückgang auszugleichen.