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11.11.2008

Die Erinnerung wach halten

Benz Botmann, Vorsitzender der Jüdischen Kultusgemeinde (Mitte), OB Klaus Jensen (r.) und Rabbiner Gérard Rosenfeld bei der Kranzniederlegung an der Stele am Zuckerberg, dem früheren Standort der Synagoge.
Benz Botmann, Vorsitzender der Jüdischen Kultusgemeinde (Mitte), OB Klaus Jensen (r.) und Rabbiner Gérard Rosenfeld bei der Kranzniederlegung an der Stele am Zuckerberg, dem früheren Standort der Synagoge.
Es ist 5 Uhr früh am Morgen des 10. November 1938: Unter der Losung „Antreten zum Kälbertreiben“ schickt SS-Sturmbannführer Ambrosius seine bewaffneten Schlägertrupps auf die Straßen Triers. Sie schänden daraufhin die Synagoge am Zuckerberg, zerstören deren Innenbereich und setzen Thora-Rollen in Brand. Zudem plündern und zerstören die Nazis jüdische Geschäfte und Wohnungen. Mehr als 100 jüdische Bürger werden verhaftet, viele von ihnen werden misshandelt.

Zahlreiche Menschen gedachten am vergangenen Sonntag, dem 70. Jahrestag der Pogromnacht, in Trier der nationalsozialistischen Verbrechen und dem Völkermord, dem insgesamt mehr als sechs Millionen Juden zum Opfer fielen. Benz Botmann, Vorsitzender der Jüdischen Kultusgemeinde Trier, erinnerte daran, dass viele Trierer damals die Augen verschlossen oder sich gar an den Verbrechen beteiligt hatten: „Diese Barbarei war nicht zu übersehen, nicht zu überhören. Das Weinen der Kinder und das Klagen der Gepeinigten konnte nicht unwahrgenommen bleiben.  Leider haben die meisten weggeschaut oder mitgemacht“, sagte Botmann.

Daher sei es umso wichtiger, so OB Jensen, die Geschehnisse nicht in Vergessenheit geraten zu lassen und sich der Verantwortung  zu stellen. „Nur im Bewusstsein der Vergangenheit und dessen, was an Unvorstellbarem dennoch geschehen ist, sind wir sensibel genug, heute auf die ersten Anzeichen von Antisemitismus, Rassismus, Fremdenhass, Intoleranz oder wie auch immer gearteten Angriffen auf die Würde des Menschen zu achten“, sagte der Oberbürgermeister bei der Gedenkfeier im voll besetzten Rathaussaal.

Neue Formen des Gedenkens

Es sei zudem wichtig, ritualisierte und erstarrte Formen des Gedenkens zu überwinden, um die Inhalte in zeitgemäßer Form an die junge Generation weitergeben zu können, so Jensen. In beeindruckender Weise gelang dies den 60 Schülerinnen und Schülern des Friedrich-Wilhelm-Gymnasiums (Leitung: Bernhard Nink, Isabella Cosacchi und Gabriele Braun), die die Feier musikalisch und szenisch gestalteten. Mit dem 1933 von KZ-Häftlingen geschriebenen Lied „Die Moorsoldaten“ sorgte der Männerchor für einen bewegenden Moment. Die Sehnsucht der überlebenden Opfer nach innerem Frieden und deren schwere Last demonstrierten die Schüler mit der eindringlichen szenischen Darstellung des „Chors der Geretteten“, einem Text der jüdischen Schriftstellerin Nelly Sachs.
 
Benz Botmann dankte in seiner Rede der Stadt und den vielen Unterstützern, durch deren Mithilfe eine lebendige und aktive Jüdische Gemeinde in Trier entstanden sei. Dennoch fand er auch mahnende Worte: „Vor 70 Jahren mussten Juden in Deutschland Angst haben. Aber auch heute machen sich Juden in Deutschland mehr Gedanken über ihre Sicherheit als andere Menschen in Deutschland“, sagte Botmann, der auch um den Abbau bestehender Vorurteile gegenüber Juden warb. Dass sich inzwischen viele Menschen für das jüdische Leben in Trier interessieren, bewiesen die zahlreichen Besucher der unterschiedlichen Veranstaltungen am Gedenktag.

Jüdisches Leben in Trier

Mehr als 100 Interessenten nahmen am Sonntag im Stadtmuseum an den drei Rundgängen zum Thema „Jüdisches Leben in Trier“ teil. Kurator Frank G. Hirschmann erläuterte anhand des Stadtmodells die Geschichte der jüdischen Gemeinde während des Mittelalters und der frühen Neuzeit und stellte anschließend zwei Gemälde des jüdischen Künstlers Max Lazarus vor. Lazarus gestaltete die Wandmalereien in der Trierer Synagoge am Zuckerberg und gilt als bedeutendster Vertreter des Expressionismus aus Trier. 2010 widmet ihm das Stadtmuseum eine eigene Ausstellung.

Den thematischen Schlusspunkt des Rundgangs bildete die Judenverfolgung im Dritten Reich. Als Dauerleihgabe der jüdischen Gemeinde ist im Stadtmuseum eine Thora-Rolle aus der Synagoge am Zuckerberg zu sehen, die die Plünderung im November 1938 überstand und während des Zweiten Weltkriegs im Bistumsarchiv versteckt wurde. Eine beeindruckende Opfergedenkwand zeigt die Kennkarten von über 300 Trierer Juden, von denen die meisten nur wenige Jahre später dem Nazi-Terror zum Opfer fielen. An zwei Bildschirmen können sich die Besucher Interviews mit aus Trier stammenden Holocaust-Überlebenden ansehen. Die Filme stammen aus dem Archiv der Shoah Foundation des US-Filmregisseurs Steven Spielberg.

Ökumenischer Gottesdienst

Auch mit einem ökumenischen Gottesdienst in der Konstantin-Basilika wurde der Opfer der nationalsozialistischen Verbrechen gedacht. Pfarrer Guido Hepke und Pfarrer Dr. Siegfried Schmitt erinnerten dabei auch an die Rolle der Kirchen, die während der Verbrechen geschwiegen und nach dem Zweiten Weltkrieg nur zögernd die eigene Mitschuld eingestanden hatten. Sie verwiesen jedoch auch auf den jungen Pfarrer Klaus Lohmann von der Bekennenden Gemeinde in Trier: Er hatte in seiner Predigt am 13. November 1938 als einer von wenigen Pfarrern in Deutschland in scharfer und offener Form die Willküraktionen der Nazis gegen die jüdischen Mitbürger gegeißelt. Damit sich die unvorstellbaren Verbrechen nicht wiederholen könnten, sei es wichtig, ein deutliches Zeichen gegen Antisemitismus zu setzen und in den Dialog mit den jüdischen Glaubensverwandten zu treten.

Bewegender Zeitzeugenbericht

Für einen sehr emotionalen Beitrag zum Veranstaltungsprogramm sorgte Ze’ev Steinberg: Als 15jähriger musste er 1934 seine Heimatstadt Trier verlassen und konnte nur im Exil in Palästina überleben. Am Montag berichtete er Schulklassen von seinen Erlebnissen und gab gemeinsam mit dem Miyabi-Ensemble Kaiserslautern ein Konzert im Theater. „Mit Ihren Besuchen in Ihrer Geburtsstadt und den Zeitzeugen-Gesprächen mit jungen Menschen setzen Sie Zeichen der Erinnerung und der Versöhnung, für die ich sehr dankbar bin“, sagte Jensen.