Sprungmarken
16.02.2010

Odyssee endete im Lesesaal

Debattenkultur: Der Stadtrat tagte in den 1960er Jahren im Lesesaal der Stadtbibliothek. Foto: Stadtarchiv
Debattenkultur: Der Stadtrat tagte in den 1960er Jahren im Lesesaal der Stadtbibliothek. Foto: Stadtarchiv
Der Lesesaal der Stadtbibliothek war das erste feste Domizil des Trierer Stadtrats nach dem Zweiten Weltkrieg. Vor genau 50 Jahren fand dort erstmals eine Sitzung statt.

Mit der ersten Sitzung im Lesesaal der Stadtbibliothek in der Weberbach endete für den Trierer Stadtrat eine kleine Odyssee. Da das Rathaus am Kornmarkt dem Bombenkrieg zum Opfer gefallen war, war auch das höchste demokratische Gremium der Stadt „heimatlos“ geworden. Zwar bezog die Stadtverwaltung in den 1950er Jahren nach und nach das ehemalige Kloster und spätere Armenhaus am Augustinerhof. Doch auch dort gab es zunächst keinen angemessenen, repräsentativen Sitzungssaal. So tingelte der Stadtrat in der Nachkriegszeit zwischen der Werkkunstschule am Paulusplatz, dem Augustinerhof und dem Hotel Porta Nigra hin und her. Manchmal mussten die Kommunalpolitiker sogar auf fremdes Terrain ausweichen: ins Landratsamt in der Mustorstraße. Über eine längere Zeitspanne wurde der Festsaal des Simeonstifts bevorzugt, doch auch dieser Raum war nie mehr als ein Provisorium.

Der Lesesaal der 1958 eröffneten Stadtbibliothek in der Weberbach war deshalb von Anfang auch als Sitzungssaal konzipiert worden. Endlich war somit ein fester Tagungsort in Sicht. Im Untergeschoss wurden für die drei damals im Stadtrat vertretenen Fraktionen – CDU, SPD und FDP – eigene Tagungsräume eingerichtet.

Am 25. Februar 1960 war es soweit: In Abwesenheit von OB Josef Harnisch eröffnete Bürgermeister Hans König die erste Sitzung im Lesesaal. Umgeben von den bis unter die Decke reichenden Bücherregalen waren die Bänke der Ratsmitglieder in mehreren Reihen halbkreisartig um die Plätze des Stadtvorstands gruppiert worden. 41 von 47 Ratsmitgliedern  – darunter nur fünf Frauen – waren anwesend. Auf der Tagesordnung standen damals unter anderem die Kosten für die Haltung von Vatertieren, ein Nachtragshaushalt, nicht weniger als sechs Straßenausbauprojekte, und – offenbar ein Dauerbrenner –  Instandsetzungsarbeiten im Nord- und Südbad.

Acht Jahre lang blieb der Lesesaal das feste Domizil des Stadtrats. Im Dezember 1968 folgte der Umzug in den renovierten und umgestalteten Chor der Augustinerkirche, der bis heute als Großer Rathaussaal nicht nur für Sitzungen, sondern auch für Empfänge und feierliche Anlässe genutzt wird.