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11.04.2023

Revolution hinterlässt tiefe Spuren

Auf vergibltem Papier sind handschriftlich die Namen von Personen niedergeschrieben. Zwei Stempel der "Stadtbibliothek Trier" prangen auf dem Schriftstück.
Die Liste mit Geflüchteten aus Frankreich von 1792 ist das „Objekt des Monats“ der Wissenschaftlichen Bibliothek.
Seit gut einem Jahr ist kaum eine Woche vergangen, in der es keine Nachrichten über die Zuwanderung Geflüchteter aus der Ukraine gab. Das stellt Deutschland und andere EU- Staaten vor gewaltige Aufgaben, angefangen bei der Sicherstellung grundlegender humanitärer Hilfen. Sie gestaltet sich schwierig in einer insgesamt krisenbehafteten Zeit, doch zeigt die Stadtgeschichte, dass Trier schon in früheren Jahrhunderten mit derartigen Herausforderungen konfrontiert war.

Als „Objekt des Monats" stellen die Wissenschaftliche Bibliothek und das Stadtarchiv eine Liste mit Geflüchteten von 1792 vor. Damals befand sich Trier in einer vergleichbaren Situation. Kurz nach dem Ausbruch der Französischen Revolution im Jahr 1789 war die Stadt von einer der größten Migrationen betroffen, die man bis dahin kannte: Schätzungsweise 160.000 Menschen flüchteten aus Frankreich, wo die staatliche und gesellschaftliche Ordnung zusammengebrochen war. Unter teils schwierigen Bedingungen überquerten sie damals auch die Grenze zwischen beiden Ländern.

Die Geflüchteten stammten aus allen sozialen Gruppen, unter ihnen befanden sich Tagelöhner, Handwerker, Bauern, Geistliche und Adlige – Männer, Frauen und Kinder. Manche waren aus politischer Opposition emi-griert, andere suchten Schutz vor Gewalt, Verfolgung und Unterdrückung. Viele der „émigrés" kamen in den grenznahen Städten unter. So auch in Trier, das sich bald zu einem Flüchtlingszentrum entwickelte. Die damals rund 8000 Einwohner der kurtrierischen Landstadt hatten zu dieser Zeit schon seit längerem mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen. Über kurzfristige Kapazitäten zur zentralen Unterbringung der „émigrés" verfügte man damals nicht, sodass die Geflüchteten quer über das Stadtgebiet verteilt unterkommen mussten.

Auf Vorsorge bedacht, beschloss der Trierer Stadtrat im September 1792, die Namen und die Anzahl der Flüchtlinge zu ermitteln. Beamte gingen also damals von Tür zu Tür, befragten die Einwohner und traten an die „émigrés" heran.

Die Ergebnisse der damaligen Visitation wurden in einer Liste vom 19. September 1792 (Abbildung oben: Wissenschaftliche Bibliothek) dokumentiert. Deren ungleichmäßiges Schriftbild lässt heute noch erahnen, wie die Geflüchteten auf Geheiß der Beamten eine Schreibfeder in die Hand nahmen und sich in die Liste eintrugen. Hinter ihre Namen notierten die „émigrés" jeweils die Nummern der Häuser, in denen sie damals wohnten.

Man liest in diesem historischen Dokument die Namen von Priestern wie Nicolas Lopin (Nr. 258), Studenten wie Jean Baptiste Lemoine (Nr. 85), Familien wie de Lambertye (Nr. 424) oder Militärpersonen wie de Hamzelin (Nr. 278). Die Schreibunkundigen unter den Flüchtlingen diktierten ihre Namen. Insgesamt umfasst die Liste über 200 Personen. Sie ist nur eine von vielen, die aus der Revolutionszeit überliefert sind.

Ohne Reserven und ohne Perspektiven erwies sich das Alltagsleben im Exil mehr als drei Jahre nach dem Revolutionsausbruch als zunehmend schwierig. In Frankreich waren sie als vermeintliche Revolutionsfeinde geächtet und kriminalisiert worden. An eine Rückkehr war nicht zu denken, für eine Niederlassung im grenznahen Ausland waren die Aussichten ebenfalls viel zu unsicher. Als Trier dann im Sommer 1794 zum Schauplatz des Ersten Koalitionskrieges (1792-1797) wurde, flüchteten die „émigrés" weiter in östliche Richtung, völlig im Unklaren darüber, ob und wann sie ihre Heimat jemals wiedersehen würden.

Tatsächlich sollte es noch bis zur Herrschaft Napoleons (ab 1799) dauern, bis allmählich Voraussetzungen für eine Remigration der Geflüchteten geschaffen wurden. Bis dahin hatten die „émigrés" ihr Überleben im Exil gesichert, unter anderem mit Hilfe der Unterstützung von Zufluchtsstädten wie Trier.