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03.04.2007

Briefe vom schlimmsten Punkt der Provinz

Professor Dr. Gunther Franz übernimmt den Dokumentenkoffer mit den Briefen im Beisein von Monica Hermann, geb. Wieman, Bernhard Wieman, Franz Wieman, Professorin Dr. Gabriele Clemens und Katharina Jan-Busch, geb. Wieman (v.l.n.r.).
Professor Dr. Gunther Franz übernimmt den Dokumentenkoffer mit den Briefen im Beisein von Monica Hermann, geb. Wieman, Bernhard Wieman, Franz Wieman, Professorin Dr. Gabriele Clemens und Katharina Jan-Busch, geb. Wieman (v.l.n.r.).
Trier im 19. Jahrhundert – oft wird die Stadt in dieser Zeitspanne mit einem sehr beschaulichen, recht gemütlichen, von den großen Ereignisse der Geschichte unberührten Ort gleichgesetzt. Aber dieses Bild trifft nicht zu. Im Gegenteil: Trier war vor fast 160 Jahren, in den Revolutionsjahren 1848 und 1849, eine Hochburg der „Radikalen“. Nur zwölf Tage nach dem Ausbruch der Revolution in Frankreich verabschiedete der Trierer Stadtrat eine Petition mit Reformforderungen an den preußischen König (Trier war seit 1815 eine preußische Stadt und gehörte wie Aachen, Bonn, Köln, Düsseldorf oder Koblenz verwaltungsmäßig zur Rheinprovinz).
Nach Volksversammlungen und Straßenumzügen begann die Bevölkerung am 21. März die Mahl- und Schlachtsteuer, die an den Stadttoren auf Fleisch und Getreide erhoben wurde, zu verweigern. Vom 2. bis 4. Mai kam es zu Unruhen in Trier, nach Schusswechseln und dem Tod von zwei Bürgern wurden mehr als 100 Barrikaden in der ganzen Stadt gebaut. Auf der Gangolfskirche wehte als Zeichen des Aufruhrs eine rote Fahne. Die Kölnische Zeitung schrieb Ende März von einer „trier’schen Schreckensherrschaft“. Für den preußischen Oberpräsidenten stand fest: „Trier ist der schlimmste Punkt in der Provinz!“

Anrührende Zeitzeugnisse

Die Revolution in Trier ist historisch schon gut erforscht und dokumentiert. Doch seit letzter Woche verfügt das Archiv der Trierer Stadtbibliothek über neue, äußerst anschauliche und menschlich anrührende Zeugnisse aus dem revolutionären Trier. Gretchen Huberti, eine junge Frau aus dem Gerbermilieu hat am 26. Oktober einen Brief an den Lohgerber Franz Wieman geschrieben. Sie schildert dem Wandergesellen, der wohl noch vor wenigen Monaten bei ihrer Familie gewohnt hatte, die sich überstürzenden Ereignisse in Trier aus ihrer ganz persönlichen Sicht. Die Anrede und die zarten Andeutungen des im formvollendeten Hochdeutsch mit gestochener Handschrift verfassten Briefs („Theuerster Freund! Endlich! ging die tagtägliche Hoffnung in Erfüllung, und gerade...wo ... ich glaubte von allen Freunden vergessen zu sein, erhielt ich ...Ihren werthen Brief...“) lassen die Vermutung zu, dass Gretchen an den Adressaten ihr Herz verloren hat.

Sie beschreibt die Unruhen Anfang Mai 1848 in Trier sehr plastisch: „...und das Resultat war, daß zwei junge Leute getödtet und einer tödtlich verwundet wurde, es soll wiederum ohne Kommando geschossen worden sein... Für die Bürgergarde wurde Generalmarsch geschlagen man suchte sich zu bewaffnen. Barricaden wurden gebaut (man zählte 133 Barricaden) und läutete Sturm...Todesschrecken für Frauen und Kinder.“

Geschwister Wieman schenken

Vier Nachfahren von Franz Wieman haben im Nachlass ihrer Mutter in einem kleinen Dokumentenkoffer die Briefe an ihren Urgroßvater gefunden. Über die Internetsuchmaschine „Google“ sind sie auf die Trierer Historikerin Professor Dr. Gabriele Clemens aufmerksam geworden, die über die entsprechende Epoche kontinuierlich forscht und veröffentlicht. Über deren Kontakte zur Stadtbibliothek sind die Zeitdokumente jetzt im Trierer Archiv gelandet und dankbar entgegengenommen worden. Professor Clemens wird die Briefe analysieren und die Ergebnisse im Neuen Trierischen Jahrbuch veröffentlichen.