Sprungmarken
23.02.2010

"Ich bin richtig elektrisiert"

Wenige Minuten nach seiner Ankunft in Trier kommt Horst Köhler im Rautenstrauchpark mit Gartenarbeitern des Bürgerservice ins Gespräch.
Wenige Minuten nach seiner Ankunft in Trier kommt Horst Köhler im Rautenstrauchpark mit Gartenarbeitern des Bürgerservice ins Gespräch.
Auch nach acht Stunden straffem Programm hört Bundespräsident Horst Köhler noch genau hin, hinterfragt und analysiert das Gehörte und man sieht förmlich, wie er sich im Geiste Merkzettel und Notizen für Berlin macht. Mit den Menschen ins Gespräch kommen, das sei für ihn das Wichtigste überhaupt, antwortet er auf die Frage, warum er in regelmäßigen Abständen die so genannten „Regionalbesuche“ unternehme.

Und dass das kein bloßes Lippenbekenntnis ist, konnte jeder, der den deutschen Bundespräsidenten auf seinem Besuch in der Region begleitete, auf Schritt und Tritt erfahren. Neugierig, authentisch, respektvoll, kommunikativ, wertschätzend, gelassen und gut gelaunt absolviert Köhler das bis ins kleinste Detail vorbereitete Informations- und Besichtigungsprogramm. Und er lässt sich weder von einem engen Zeitplan noch von protokollarischen Zwängen in seinem Elan zügeln. Wenn ihn etwas interessiert, verlässt der 67-Jährige den vorgeschriebenen Weg, spricht Mitarbeiter und Passanten direkt an, fragt nach Befindlichkeiten, Problemen, Ansichten – und er hört den Leuten wirklich zu.

So steht Horst Köhler schon kurz nach seiner Ankunft in Trier völlig ungeplant mitten im Rautenstrauchpark im aufgeweichten Erdreich, schert sich nicht um sein Schuhwerk und unterhält sich mit Arbeitern vom Gartenbaubetrieb des Trierer Bürgerservice. „Sind Sie zufrieden mit ihrer Arbeit? Wie lange machen Sie das schon? Was haben Sie vorher gemacht?“ Und schon nach kurzer Zeit ist keine Distanz zwischen dem ersten Bürger und den anfangs doch noch etwas verlegenen und gehemmten Männern in den grünen Arbeitsoveralls zu spüren. Im Blitzlichtgewitter der Fotografen entspinnt sich ein Gespräch über Arbeit, Familie, Zukunftsperspektiven.

Für den ihn begleitenden Tross aus Sicherheitsbeamten, Stab und persönlichen Mitarbeitern offensichtlich ein gewohntes Szenario. Unaufgeregt und professionell schirmen sie das deutsche Staatsoberhaupt ab, reagieren schnell und flexibel auf die spontane kleine Programmänderung.
Und das Programm ist ambitioniert. Nach der Visite bei der Bitburger Brauerei am Vormittag folgen in Trier Firmenvorstellungen und Besichtigungen. Neben dem zum Trierer Bürgerservice gehörenden Warsberger Hof besucht Köhler das Trierer Unternehmen alwitra Flachdachsysteme.

Dabei überall das gleiche Bild: der Bundespräsident hört zu, hakt ein und fragt nach. Mitglieder der Geschäftsleitung, Arbeiter, Angestellte, Auszubildende: Jeder kommt zu Wort. Und noch etwas ist anders, fällt aus dem Rahmen der üblichen Firmenbesuche. Alle Beteiligten haben offensichtlich Spaß. Angefangen von einem sichtlich gut gelaunten Bundespräsidenten über einen entspannten Oberbürgermeister Klaus Jensen und einen vergnügten Ministerpräsidenten Kurt Beck, ringsum sieht man lächelnde Menschen. Wenn ein alt gedienter Handwerksmeister den Bundespräsidenten und einen Ministerpräsidenten in die hohe Kunst des Dachabdichtens mit einem selbst fahrenden Heißluftschweißgerät einzuweihen versucht und die Belegschaft mit Kommentaren nicht spart – das ist schon für einige Lacher gut. Und wenn nach getaner Arbeit beide eine Urkunde, die sie zu „alwitra-Fachverlegern“ kürt, erhalten und Horst Köhler das öffentlich mit „ ...wenn unsere Amtszeit endet, können wir ja einen Job bei alwitra annehmen“, kommentiert – das kommt allenthalben gut an.

Doch bei allem Spaß ist klar, dass Köhler hier ist, um für das ganze Land Ideen zu sammeln, um einen Mehrwert nach Berlin mitzunehmen. Es scheint so, als ob Köhler alle neuen Eindrücke sofort darauf prüft, ob, wie und wo sie andernorts gewinnbringend für Deutschland eingesetzt werden können. Daher reagiert er auf manche Informationen geradezu euphorisch: „Ich bin richtig elektrisiert“, ruft er, als ihm beispielsweise Bürgerservice-Geschäftsführer Horst Schneider das erfolgreiche integrative Konzept des Unternehmens erläutert. Ein offenes Ohr hat er daher auch für Staatsministerin Malu Dreyer, die in diesem Zusammenhang mehr Unterstützung vom Bund einfordert.

Zwischen den beiden Firmenbesuchen in Trier bleibt Zeit für einen kurzen Stadtrundgang. Oberbürgermeister Jensen führt vom Hauptmarkt bis zur Porta Nigra. Und war der Besuch bisher eher ein Arbeitsbesuch, wächst er sich spätestens in der Fußgängerzone zu einem kleinen Staatsempfang aus. Die Menschentraube aus Sicherheitspersonal, Journalisten und Fotografen um Host Köhler und seine Frau Eva Luise, um Oberbürgermeister Jensen und die prominenten Gäste wächst minütlich an. Ungläubige Blicke, unsicheres Fragen, aufgeregte Gesten begleiten die Delegation auf ihrem Weg durch die Simeonstraße. „Du glaubst nicht, wer gerade an mir vorbei gegangen ist“, ruft ein ungefähr 30-jähriger Mann in sein Handy. „Ich schick dir gleich ein Foto!“  Immer wieder bleibt der Bundespräsident stehen und spart nicht mit Lob für Trier. Er sei erst einmal in jungen Jahren hier gewesen. „Ich bin wirklich froh, dass ich diese schöne Stadt jetzt noch einmal besuchen kann. Sie gehört zu den klassischen Städten mit einer großen Geschichte.“ Und seine Begeisterung nimmt man ihm spätestens dann ab, wenn er vor der Porta – Sicherheitsabstand hin oder her – ausruft: „Wo sind denn hier die Trierer!“ und sie auffordert, näher zu kommen.

Oberbürgermeister Klaus Jensen sieht es mit Freude, zumal er das deutsche Staatsoberhaupt eingeladen hat, im Jahr 2012 zur Heilig-Rock-Wallfahrt wieder Trier zu besuchen. Eine feste Zusage gibt es natürlich noch nicht. Aber Horst Köhler scheint der Gedanke durchaus zu gefallen.

Ralf Frühauf