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21.12.2010

"Einen Stillstand hat es 2010 nicht gegeben"

Für OB Klaus Jensen gehört die Begegnung mit den Menschen nach wie vor zu den schönsten Erlebnissen seines Amtes.
Für OB Klaus Jensen gehört die Begegnung mit den Menschen nach wie vor zu den schönsten Erlebnissen seines Amtes.
Der geplante Haushalt 2011 wurde vergangene Woche vom Stadtrat knapp abgelehnt und der Schritt hat großes Aufsehen erregt. Haushaltsfragen sind von immenser Bedeutung für die Zukunftsgestaltung einer Stadt und die Finanzlage bleibt für Trier auf jeden Fall außerordentlich schwierig. Doch zum Glück gibt es, so Oberbürgermeister Klaus Jensen, auch noch eine andere Seite der Medaille. In vielen Bereichen wurde die Stadt im vergangenen Jahr fortentwickelt. Im Gespräch mit der Rathaus Zeitung (RaZ) zeigt Triers Stadtoberhaupt auf, dass es in den zurückliegenden zwölf Monaten keinen Stillstand gegeben hat.

RaZ: Herr Jensen, wie beurteilen Sie mit etwas Abstand die Haushaltsablehnung in der vergangenen Woche?

OB Jensen: Mir ist völlig unverständlich, wie man einen so wichtigen Plan, gegen den man in den Beratungsgremien keine vernehmbaren Einwände erhoben hat, in der entscheidenden Abstimmung unangekündigt fallen lässt. Ich bezweifle, dass es hierbei tatsächlich um die Sache ging. Da spielen wohl auch noch ganz andere Dinge eine Rolle. Die Konsequenzen dieses Verhaltens sind schon gravierend für unsere Stadt. Aber wir sollten jetzt gemeinsam einen neuen Anlauf nehmen und uns zusammenraufen, damit Trier möglichst schnell einen Haushalt bekommt. Ohne ihn läuft nichts. Der Etat ist der Motor des Ganzen.

Lassen wir dieses Ereignis einmal außen vor: womit begründen Sie Ihre unter dem Strich letztlich doch positive Bilanz für das Jahr 2010?

Unsere Stadt hat im zurückliegenden Jahr eine in der Krise kaum erwartete Entwicklung vorzuweisen. Ich erinnere an eine seit Jahrzehnten nicht mehr erreichte niedrige Arbeitslosenzahl in Trier und Umgebung. Die heimische Wirtschaft hat sich von der Wirtschafts- und Finanzkrise schneller als erwartet erholt. Trier bleibt weiter Großstadt mit über 100.000 Einwohnern, was wir auch den Hochschulen, die Rekordeinschreibungszahlen vermelden, verdanken. Landesweit sind wir bei den Städten Spitze bei den Baugenehmigungen. Kurzum: Es ist überall eine positive Grundstimmung festzustellen.

Wie bringt sich das Rathaus in diesen Prozess ein?

Neue Ideen und Initiativen sind gefragt. So konnte das Rathaus bei einer Reihe von Wettbewerben erfolgreich abschneiden. Allein die Aktion „Kommunen im neuen Licht“ brachte uns eine Förderung für die notwendige Sanierung der Beleuchtungsanlage des Schulzentrums Mäusheckerweg von bis zu zwei Millionen Euro. Das Preisgeld beim Wettbewerb „Coolstes Rathaus“ ermöglicht uns eine neue energiesparende Beleuchtung im Rathaus. Und in diesen Tagen hat uns das Land mitgeteilt, dass wir 1,5 Millionen Euro für die Renaturierung des Aveler Baches erhalten. Wenige Beispiele von vielen.

Auch wenn der Stadt für eigene große Investitionen oft die Mittel fehlen, wird an vielen Stellen dennoch saniert oder sogar neu gebaut. Wie ist das möglich?

Zunächst bleibt festzuhalten, dass wir grundsätzlich einen in den vergangenen Jahrzehnten entstandenen Sanierungsstau in dreistelliger Millionenhöhe abzuarbeiten haben. Ich erinnere hier an unsere Schulen, an Kindertagesstätten, vom Zustand der Straßen ganz zu schweigen. Aber wie schon lange nicht mehr, konnten vor allem durch die Konjunkturprogramme an vielen Stellen Verbesserungen erzielt werden. 14 von 20 Projekten im schulischen, sportlichen und baulichen Bereich, aber auch auf der Ebene der Weiterbildung. wurden bewilligt. Von 10,5 Millionen Gesamtvolumen werden 7,4 Millionen Euro gefördert. Eine Reihe unserer Schulen wird endlich energetisch saniert. Die Unesco-Welterbestätten sollen besser präsentiert werden, darunter der Porta Nigra-Vorplatz oder das Umfeld der Römerbrücke. Unser Baudezernat kann derzeit die Fülle der notwendigen Planungen kaum mehr bewerkstelligen. Von Stillstand kann also keine Rede sein.

Daneben gibt es die so genannten „weichen Standortfaktoren“, die die Lebensqualität einer Stadt ausmachen. Welche Projekte stehen hier auf der Haben-Seite Ihrer Bilanz?

Zunächst möchte ich an die Fertigstellung des modernisierten Südbads im Mai nach nur eineinhalb Jahren Bauzeit erinnern. Die Schwimmfreunde und Sonnenanbeter haben sich mit Begeisterung diese wunderschöne Freizeitoase zurückerobert. Wir sind dabei, das Fluidum unserer attraktiven Innenstadt stetig zu verbessern. Hierzu gehört die geplante neue Platzgestaltung hinter dem Dom, aber auch die von der Stadt erfolgreich betriebene neue inhaltliche Ausrichtung des Altstadtfestes, die qualitativ fortentwickelt werden soll. Mit dem Projekt „Winterliches Trier“ verschaffen wir der City auch in den weniger attraktiven Monaten zusätzliche Anreize. Auch im Bereich Kultur bieten wir eine Fülle von hoch interessanten Angeboten, die erfreulicherweise sehr gut angenommen werden.

Was man von den Antikenfestspielen nicht sagen konnte...

Ich bedauere das sehr, aber wir konnten uns nicht länger der Tatsache verschließen, dass das künstlerisch hochwertige Konzept des Festivals nicht angenommen wurde. Wir müssen uns jetzt die Zeit nehmen, über neue Möglichkeiten der kulturellen Nutzung unserer einzigartigen Denkmäler nachzudenken. Kultur in Trier ist aber keineswegs auf die Bespielung der antiken Stätten beschränkt, wo wir ja mit „Brot und Spiele“ eine außerordentlich attraktive und einmalige Veranstaltung anbieten. Wir konnten in diesem Jahr das 25-jährige erfolgreiche Bestehen der Tufa feiern und denken über innovative Angebote zur Zukunftssicherung unseres alternativen Kulturzentrums nach. Ganz toll ist die Entwicklung im Stadtmuseum Simeonstift. Die Ausstellungen, beispielsweise über die Eifel und die Ardennen oder über Max Lazarus waren absolute Publikumsmagneten. Jetzt laufen viel versprechende Vorbereitungen für die hochkarätige Präsentation zum Thema „Armut“ und dann bereiten wir uns schon auf kulturelle Rahmenangebote für die Heilig-Rock-Ausstellung 2012 vor.
Ich möchte aber nicht nur die „High-lights“ erwähnen. Genau so wichtig ist die Arbeit der Bibliotheken oder des Medienzentrums mit der Musikschule im erstmals eigenen renovierten „Karl Berg“-Gebäude. All das gehört zur Leistungspalette der Stadt, auch wenn es nicht die Schlagzeilen beherrscht.

Die Partizipation der Bürgerinnen und Bürger an politischen Prozessen ist in unseren Tagen, nicht zuletzt aufgrund der Ereignisse in Stuttgart, zum großen Thema geworden. Welchen Stellenwert messen Sie diesem Anliegen bei?

Seit meiner Amtsübernahme habe ich die Entscheidungsfindungen einem breiten Interessentenkreis zugänglich gemacht und die Prozesse offener und transparenter gestaltet. Partizipation, eine Kultur des verstärkten Miteinanders über die üblichen Gremien hinaus, lässt sich allerdings nicht verordnen, sie muss mit viel Verständnis von allen Beteiligten eingeübt werden. Ein großer Schritt bleibt der Bürgerhaushalt, der zum zweiten Mal erfolgreich die Möglichkeit bot, sich mitgestaltend in die Haushaltsdebatte einzubringen. Mehr Bürgerfreundlichkeit bietet auch die neue einheitliche Behördennummer 115 von Stadt und Kreis. Dem Ziel, Bürgeranliegen kompetent und schnell zu erledigen, sind wir mit dieser modellhaften Einrichtung erheblich näher gekommen.

Bleiben bei den innovativen Formen einer verstärkten Bürgerbeteiligung traditionelle Möglichkeiten, sich einzubringen, nicht doch langsam auf der Strecke?

Nein. Das allgemeine ehrenamtliche Engagement in den unterschiedlichsten Bereichen ist und bleibt für unsere Gesellschaft und für unsere Stadt von größter Bedeutung. Ohne die Bereitschaft vieler, sich freiwillig und ohne Entlohnung für die Belange des Gemeinwohls aktiv einzusetzen, könnten wir einpacken, gäbe es kein soziales Miteinander mehr. Das wollen wir auch entsprechend würdigen, beispielsweise mit einer neuen, offeneren Form des Bürgerempfangs.

Eine Besonderheit des zurückliegenden Jahres war sicherlich auch die Vereinbarung einer neuen Städtepartnerschaft mit der chinesischen Metropole Xiamen. Hat Sie die partielle Kontroverse hierüber gestört?

Nein, natürlich nicht. Wir sind alle dazu aufgerufen, die Frage der Menschenrechte auf der ganzen Welt wach zu halten, aufzurütteln. Ich bin seit
43 Jahren Mitglied bei Amnesty International und diesen Anliegen nach wie vor eng verbunden. Aber ich glaube, dass sich mit Kontakten und Gesprächen insgesamt mehr erreichen lässt als durch Blo-ckaden oder Gesprächsverweigerung. Wir sind uns unserer Verantwortung in dieser Frage bewusst. Wir wollen die Kontakte auf wissenschaftlicher, kultureller und wirtschaftlicher Ebene stetig aufbauen. Davon werden beide Seiten profitieren. Und nach fünf Jahren werden wir Bilanz ziehen und über die Fortsetzung dieses nach meiner Einschätzung höchst spannenden neuen Miteinanders befinden. Ein hervorzuhebendes Beispiel in diesem Zusammenhang ist das von der Stadt initiierte Projekt zur Einrichtung eines „Europäisch-Chinesischen Zentrums für Ausbildung und Forschung in Entwicklungs- und Raumplanung (ECER)“. Mit diesem Netzwerk werden wir in Zukunft tausende von Studenten, leitenden Beamten und Wissenschaftlern aus ganz China mit Trier in Verbindung bringen.

Städtepartnerschaften wurden vor allem nach dem Krieg geschlossen, um ehemals verfeindete Länder über die Menschen in den Städten zusammen zu bringen. Hat dieses Modell eigentlich noch Zukunft?

Ich bin für das nicht nachlassende und vielfältige Engagement zur Ausgestaltung unserer Städtepartnerschaften sehr dankbar. Sie sind alles andere als ein Auslaufmodell, sondern ein wunderbares Instrument, Menschen zusammenzuführen und durch Freundschaften Vorurteile abzubauen. Die Verbindung mit Pula in Kroatien erfährt jetzt durch die neu gegründete Partnerschaftsorganisation eine Renaissance oder womöglich ein erstmaliges Aufblühen. Ein herrliches Erlebnis war auch die Mitgestaltung der Veranstaltung „Konstantin lädt ein“ von über 300 Freunden aus unserer niederländischen Partnerschaft ’s-Hertogenbosch. Schöner können Städtepartnerschaften nicht sein.

Das zurückliegende Jahr war auch von einer Beschäftigung mit der jüngeren unrühmlichen Vergangenheit Triers geprägt.

Bei der Aberkennung der Ehrenbürgerwürden für Hitler und Rust durch den Rat ging es mir um ein demonstratives Zeichen, das endgültig und unmissverständlich bestehende Zweifel in dieser Frage ausräumen sollte. Diesen Schritt waren und bleiben wir nach meinem Verständnis den Opfern des Nazi-Terrors schuldig. Juristische Einschätzungen können die Verantwortung jedes Einzelnen nicht ersetzen. Mich hat aber auch das Gedenkbuch „Trier vergisst nicht“ tief beeindruckt, das die individuellen Schicksale von 600 Juden aus Trier und dem Umland aufzeigt. Die meisten von ihnen wurden bekanntlich in Vernichtungslager deportiert und ermordet. Ich bin für diese Erinnerungsarbeit besonders dankbar und mein Dank gilt auch der jüdischen Kultusgemeinde für das gute, ja freundschaftliche Einvernehmen, das unser neues Miteinander nach den Schrecknissen der NS-Zeit prägt.

Nun sitzt ein NPD-Vertreter im Stadtrat und von Ihnen wird zuweilen ein energischeres Vorgehen gegen dessen Verhalten im Bürgergremium verlangt.

Wir sind Demokraten und halten uns aus innerer Überzeugung an die bestehenden Gesetze unseres freiheitlichen demokratischen Rechtsstaats. Das schließt die uneingeschränkte Anwendung aller sich bietenden rechtlichen Möglichkeiten ein, rechtsradikale Äu-ßerungen oder Verhaltensweisen zu unterbinden. Dies praktiziere ich konsequent. Die Handhabung ist zugegebenermaßen nicht immer einfach. Die uneingeschränkte Unterstützung aller übrigen Ratsmitglieder in dieser Frage und die vielen Aktivitäten gegen jede Form von Extremismus in unserer Stadt sind aber sehr ermutigende Zeichen.

Was bereitet Ihnen mit Blick in das neue Jahr denn am ehesten Sorgen?

Natürlich bleibt die Bewältigung der schwierigen Haushaltslage und der neu einzubringende Etat ganz allgemein eine große Herausforderung. Sorgen bereiten mir die Ankündigungen, wonach die Zuwendungen des Bundes für verschiedene Projekte gekürzt oder sogar ganz gestrichen werden könnten. Ich erinnere hier nur an das Projekt „Soziale Stadt“. Unsere Vorhaben in Trier-West, -Nord und Ehrang sind gefährdet. Hiergegen werden wir uns nach Kräften wehren.

Wenn Sie das zu Ende gehende Jahr Revue passieren lassen, was waren dann für Sie als Oberbürgermeister die schönsten Ereignisse?

Hierzu gehört zweifellos die Wiedereröffnung des Südbads im Mai. Die vielen Begegnungen mit den Menschen in unserer Stadt, vor allem mit älteren Mitmenschen, die einem aus ihrer reichen Lebenserfahrung viel mitgeben können, gehören immer wieder zu den schönen Erlebnissen. In guter Erinnerung bleibt mir der Besuch des früheren Bundespräsidenten Köhler im Februar. Aber auch die Schulentwicklung mit den erweiterten Angeboten der Realschule plus und die Realisierung der ersten integrierten Gesamtschule gehört dazu.

Das Gespräch führte Dr. Hans-Günther Lanfer