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01.03.2011

Ran an die Führungspositionen

Angelika Winter.
Angelika Winter.
Der Internationale Frauentag feiert in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag. Die Rathaus Zeitung (RaZ) sprach mit der städtischen Frauenbeauftragten Angelika Winter über unterschiedliche Erwartungen an beide Geschlechter, den Kinofilm „We want sex“ und die Aktualität des Aktionstags.

RaZ: Während zunächst die Forderung nach dem Wahlrecht im Vordergrund stand, dann unter anderem eine regelmäßige Schulspeisung und legale Abtreibung gefordert wurde, steht der Frauentag heute oft unter einem bestimmten Motto. Ist er ein Abbild dessen, was Frauen aktuell bewegt?

Angelika Winter: Zum Teil. Gerade jüngere Frauen können mit dem Internationalen Frauentag oft wenig anfangen. Für sie sind die Erfolge der Frauenbewegung schon eine Selbstverständlichkeit. Um so wichtiger, dass Frauen und Männer an diesem Tag die Errungenschaften der Frauenbewegung wertschätzen.

Der aktuelle Kinofilm „We want sex“ erzählt die Geschichte des ersten Arbeiterinnenstreiks 1968 in Großbritannien. Darin erkämpfen sich die Näherinnen einer Ford-Autofabrik gegen viele Widerstände das Recht, genauso entlohnt zu werden wie ihre männlichen Kollegen. Ein immer noch aktuelles Thema?

Ja, und wie. Nach wie vor sind wir hier noch von der Gleichstellung der Einkommen weit entfernt. Deutschland nimmt im Vergleich einen der hinteren Ränge ein. 23 Prozent Lohnunterschied im Jahr 2011 – nein, das ist leider kein Witz.

Die Gesellschaft bewertet die Geschlechterrollen immer noch unterschiedlich. Niemand fragt beispielsweise, ob Väter mit kleinen Kindern berufstätig sein sollten. Wie kann man die Menschen zum Umdenken bewegen?

Zum einen wird der Druck der Wirtschaft steigen, Frauen als berufstätigen Müttern mehr Chancen auf dem Arbeitsmarkt einzuräumen. Genauso nehme ich wahr, dass heute die Männer ihre Vaterrolle mehr und mehr (aus)leben wollen. Das ist eine Entwicklung, die auf eine partnerschaftliche Teilung der Verantwortungsbereiche Familie und Erwerbsarbeit hinausläuft, was erfreulicherweise zu mehr Chancengleichheit führen wird.

Männer dominieren immer noch die Führungsetagen. Die Diskussion um die Frauenquote entzweit die Regierung. Wie ist Ihre Position?

Warum tun wir uns so schwer, von den Nachbarländern zu lernen? Norwegen macht es uns doch vor. Und die Wirtschaft ist deswegen ja auch nicht zusammengebrochen, nur weil jetzt mehr Frauen durch die gläserne Decke stoßen. Im Gegenteil. Ich bin davon überzeugt, dass die Quote den Prozess beschleunigen würde. Die Mischung beider Geschlechter führt zu mehr Erfolg. Auch ein wissenschaftliches Ergebnis. Also ran!

Es gibt Frauen, die definieren sich nur über Äußerlichkeiten und Klischees, wie beispielsweise Daniela Katzenberger oder Paris Hilton – und haben damit Erfolg. Ein Rückschritt für die Frauen?

Nein, Rückschritt würde ich nicht sagen. Wir haben genug authentische und kluge Frauen in Politik, Bildung und Gesellschaft. Es gab immer schon Frauen, die Klischees bedient haben. Sie stellen für mich keine Gefahr dar. Vielleicht sollte man(n) diesen Klischees auch nicht so viel Aufmerksamkeit schenken.

„Solange wir einen Frauentag feiern müssen, bedeutet das, dass wir keine Gleichberechtigung haben“, bekundete zumindest die luxemburgische EU-Kommissarin Viviane Reding im Jahr 2008. Teilen Sie diese Auffassung?

Die tatsächliche Gleichberechtigung, die sich im Alltag der Frauen zeigt, haben wir noch nicht. Grund genug, um den 8. März anzugehen.

Warum ist der Weltfrauentag auch nach 100 Jahren noch so wichtig?

Ganz wichtig scheint mir, dass wir die Meilensteine der Frauenbewegung nicht vergessen und vor allem der jüngeren Generation begreiflich machen. In der Schweiz dürfen Frauen erst seit 1972 wählen gehen. Das ist noch keine 40 Jahre her! Und auch heute gibt es noch viele Baustellen. Beispielsweise die mangelnde Vereinbarkeit von Familie und Beruf, insbesondere für allein erziehende Elternteile. Von zehn sind neun Frauen. Viele von ihnen leben auf Hartz IV-Niveau. Die Kinderarmut ist für mich ein Armutszeugnis unserer Gesellschaft.

Wie bewerten Sie die Situation für Frauen in Trier?

Wir haben in Trier noch mit einem sehr tradierten Rollenbild zu kämpfen. Das Familienmanagement liegt hauptsächlich bei den Müttern. Diese Doppelbelastung, den Spagat zwischen Familie und Beruf zu meistern, ist schon eine echte Herausforderung. Existenzsichernde Jobs sind eher rar. Frauen finden sich häufig im Niedriglohnsektor und als Zuverdienerin wieder, was oftmals zu einer wirtschaftlichen Abhängigkeit führt, sei es nun vom Partner oder auch von Hartz IV. Beides ist dem eigenen Selbstwertgefühl nicht dienlich. Was die Beratungslandschaft anbelangt, also die Stellen, an die sich Frauen in den verschiedensten Problemlagen wenden können, zum Beispiel bei Gewalterfahrungen, sind wir in der Stadt gut aufgestellt. Diese Strukturen aufrecht zu erhalten, ist Teil meiner Aufgabe. Gerade unter dem Spar-druck der Kommune.  Für die wachsende Gruppe von allein erziehenden Frauen und wenigen Männern müssen dringend weitere Strukturen zur Entlastung geschaffen werden.

Wenn eine Ihrer Nachfolgerinnen in 100 Jahren auf die heutige Situation zurückblickt. Wie sieht ihr Fazit dann aus?

Das Fazit könnte sein, dass zum einen die Gleichstellungspolitik ganz selbstverständlich von Frauen und Männern gestaltet wird, sprich die  Nachfolgerin quasi auch männlich sein könnte,  und zum anderen die Erkenntnis, dass wir frei von Geschlechterstereotypen partnerschaftlich die verschiedenen Lebensphasen gestalten. Die Gleichstellung in Bezug auf Entgelt, Positionen, Verteilung von Fürsorgeaufgaben wäre erreicht.

Was wünschen Sie künftigen Frauengenerationen?

Eine Steigerung der Solidarität unter den Frauen. Männer, die sich in der Familie engagieren. Dass die „Rabenmutter“ aus dem Sprachgebrauch verbannt wird. Wirtschaftliche Unabhängigkeit. Spaß an Machtpositionen.

Das Gespräch führte Tanja Jost