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20.06.2006

Verzweiflungstat einer Außenseiterin

"Medea"-Premiere bei den Antikenfestspielen

Medea sucht Zuflucht beim Chor (Alexander Ourth, Hille Beseler, Manfred-Paul Hänig, Tom Olrik Stöneberg und Claudia Felix, v. l.).
Medea sucht Zuflucht beim Chor (Alexander Ourth, Hille Beseler, Manfred-Paul Hänig, Tom Olrik Stöneberg und Claudia Felix, v. l.).
Fürsorgliche Mutter und kaltblütige Mörderin: Mit einer packenden Inszenierung der „Medea“-Tragödie starteten die neunten Trierer Antikenfestspiele bei bestem Sommerwetter am Samstagabend in den Kaiserthermen. Regisseurin Bettina Rehm interpretiert das fast 2500 Jahre alte Stück des Athener Dichters Euripides als Krimi: Medea lebt mit Argonautenheld Iason nach langer Irrfahrt in Korinth zusammen und hat zwei Kinder mit ihm.

Dann wirbt aber Iason um Glauke, Tochter des korinthischen Königs Kreon. Durch eine Heirat würde Iason zum Bürger Korinths. Sein pragmatisches Argument, den Kindern aus Fürsorge ein Leben als Flüchtlinge ersparen zu wollen, treibt die durch den Verrat ohnehin tief gekränkte Medea in einen tödlichen Racheplan: Sie tötet die junge Braut ihres Mannes, deren Vater ebenfalls durch ihr Gift stirbt. Um Iason an seiner empfindlichsten Stelle zu treffen, bringt sie schließlich auch die Kinder um.

Kompromisslose Leidenschaft

Medea, von Heike Trinker mit großer Vielseitigkeit und Ausdrucksstärke gespielt, ist aber nicht nur eine grausame und kaltherzige Intrigantin: Sie bewegt sich gleichzeitig in einem tragischen, unauflöslichen Zwiespalt, weil sie auch durch die politischen Verhältnisse zur Mörderin wird. In Korinth bleibt sie eine Außenseiterin, weil sie sich nicht ins politische System einfügen will. Diese Gesellschaft ist auch durch den Reichtum ihrer Bewohner geprägt. Er wird durch ein protziges blaues Hochhaus symbolisiert, das das Bühnenbild von Manfred Breitenfellner dominiert.

Die scheinbar starken männlichen Helden sind Medeas Raffinesse nicht gewachsen: Ehemann Iason erkennt den wahren Charakter seiner kompromisslos-leidenschaftlichen Frau erst nach dem Tod der Kinder. In dem bewegenden Finale, in dem nach dem Hereinbrechen der Dunkelheit die Kulisse der Kaiserthemen besonders eindrucksvoll wirkt, geht es fast nur noch darum, ob Iason die Leichen der Söhne bestatten darf. Düstere Todesahnungen durchziehen das ganze Stück: Wenn Medea zu Beginn nur aus dem „Off“ spricht, klingt das wie eine Stimme aus dem Totenreich. Am Ende erinnert sie in ihrem weißen Gewand an einen Todesengel. Das Treffen Medeas mit Athens König Aigius kann das tödliche Verhängnis nur verzögern, denn er ist zu clever, um sich mit der Außenseiterin zu verbünden.

Ein wichtiger dramaturgischer Gegenpol zur rasenden Rache Medeas ist der Chor, der das Geschehen nicht nur kommentiert, sondern ihr auch ihre Untaten vorwirft. Er symbolisiert gleichzeitig die Wankelmütigkeit der öffentlichen Meinung in Korinth, denn phasenweise findet Medea dort auch Verständnis. Kurz vor dem Finale raubt der Chor den Zuschauern auch die letzten Illusionen: Als Iason noch glaubt, alles könne sich zum Guten wenden, kündigt der Chor schon das Ende der Kinder an.

Percussion begleitet das Geschehen

Bettina Rehms Trierer „Medea“-Inszenierung wird abgerundet durch eine spannungsreiche Musik-Performance, die Claas Willeke komponiert hat. Percussionist Jochen Krämer nimmt das Geschehen auf der Bühne teilweise vorweg, wenn zum Beispiele dumpfe Kriegstrommeln neues Unheil ankündigen. Spannung entsteht auch durch zarte Xylophon-Töne, die die Welt der unschuldigen Kinder von Medea und Jason symbolisieren, während die Zuschauer schon ahnen, dass die beiden nicht mehr lange zu leben haben.

Zwei weitere Aufführungen

Die Zuschauer der „Medea“-Premiere“ honorierten nicht nur die eindrucksvolle Leistung von Hauptdarstellerin Heike Trinker mit langanhaltendem Applaus. Intendant Gerhard Weber bedankte sich anschließend beim Land, der Stadt und den Sponsoren, „ohne deren Unterstützung das Festival nicht möglich wäre“. Im Unterschied zur Premiere sorgte das Wetter bei der zweiten „Medea“-Aufführung am Sonntag für eine Zitterpartie: Nach einem Regenguss am frühen Abend folgte ein weiterer heftiger Schauer zu Beginn der Open-Air-Vorstellung, die aber dennoch zu Ende gespielt werden konnte. Wenn das Wetter ähnlich wechselhaft bleibt, können sich die Zuschauer für die weiteren Vorstellungen am Freitag, 30. Juni, und Sonntag, 16. Juli, 21 Uhr, jeweils bis 18 Uhr über eine Hotline (0651/718-1817) informieren, ob die Vorstellung in den Kaiserthermen stattfindet oder ins Theater verlegt wird.

Ariadne auf Naxos


Als zweite Premiere der Antikenfestspiele 2006 präsentiert das Theater am Sonntag, 25. Juni, 21 Uhr, erstmals die Oper „Ariadne auf Naxos“ von Richard Strauss nach einer Vorlage von Hugo von Hofmannsthal.

Im Auftrag eines reichen Theatermäzens soll die Oper „Ariadne auf Naxos“, Erstlingswerk eines jungen Komponisten, aufgeführt werden. Der Musiker und sein Lehrer wollen aber verhindern, dass direkt danach die Posse einer Komödianten-Truppe gespielt wird. Als der Geldgeber anordnet, beide Stücke gleichzeitig aufzuführen, einigen sich alle, das Beste aus der Situation zu machen. Die Oper beginnt. Verlassen von ihrem Geliebten Theseus, lebt Ariadne in völliger Abgeschiedenheit. Nur drei Nymphen bemühen sich, ihren Schmerz zu lindern. In diese Szenerie platzt der Auftritt der Komödianten unter Führung der koketten Zerbinetta. Erst die Ankunft von Bacchus bessert deutlich die trübe Stimmung von Ariadne.

Persiflage auf den Opernbetrieb

Die Strauss-Oper verbindet die klassische griechische Mythologie mit der Commedia dell’arte-Tradition, verpackt in eine Persiflage auf den modernen Opernbetrieb. Eine wichtige Rolle in dem 1912 uraufgeführten Werk spielt der Konflikt zwischen Muse und Mammon. Die Titelrolle der Trierer Inszenierung von Kornelia Repschläger übernimmt Vera Wenkert. Als Komponist steht Chariklia Mavropoulou auf der Bühne, die schon in Bellinis „Norma“ und Wagners „Rienzi“ bei den Antikenfestspielen auftrat. Sopranistin Carmen Fuggiss, die als Eurydike in „Orpheus in der Unterwelt“ 2001 zu sehen war, übernimmt die Rolle der Zerbinetta. Weitere prominentes Ensemble-Mitglied ist René Kollo als Haushofmeister.

Das Philharmonische Orchester der Stadt Trier spielt unter Leitung von Generalmusikdirektor István Dénes. Weitere Termine: Samstag, 1., Dienstag, 11., und Samstag, 15. Juli, jeweils 21 Uhr, in den Kaiserthermen.